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MEDIZIN / AUGENVERPFLANZUNG Narbe am Nerv

aus DER SPIEGEL 18/1969

Die Meldung aus Houston, Texas, machte Schlagzeilen ("Bild": »Das Wunder des Tages"): Am Houstoner Methodisten-Hospital, einem der medizinischen Pionierzentren der Welt, war am Dienstag vergangener Woche zum erstenmal ein vollständiges menschliches Auge verpflanzt worden.

Die medizinischen Experten aber äußerten sich skeptisch. Neurochirurgen und Augenspezialisten werteten die texanische Augentransplantation als einen Versuch, der kaum glücklich ausgehen könne.

Auch Dr. Conrad D. Moore, der gemeinsam mit Dr. Dan Sigband das Auge überpflanzt hatte, stellte eine vorsichtige Prognose: Es sei schon ein Erfolg, wenn der Patient das Spenderauge -- ohne je etwas damit zu sehen -- werde bewegen können.

Daß bei einem verpflanzten Auge Blutgefäße und Muskeln an den Schnittstellen glatt verheilen, halten die Mediziner in der Tat für möglich. Hingegen scheint es nach dem derzeitigen medizinischen Wissen schier ausgeschlossen, daß ein überpflanztes Auge einen Lichtreiz, geschweige denn ein klares Bild ins Gehirn übermitteln könnte.

Wohl sind bei Fröschen und anderen niederen Tierarten Augentransplantationen schon gelungen; bei Säugetieren jedoch wird dieser Organaustausch, wie Nobelpreisträger George Wald, Sinnesphysiologe an der Cambridger Harvard-Universität, unlängst erläuterte, »für absehbare Zeit« zwar nicht unmöglich, aber sinnlos sein.

In einem erstaunlichen Maße zur Erneuerung fähig sind auch beim Menschen die Nerven des sogenannten peripheren Systems, etwa die Reizleitungen zu den Muskeln oder der Haut. Ein durchtrennter Hauptnerv im Oberarm beispielsweise wächst, wenn er genäht ist, in der Bahn des abgestorbenen Nervenastes bis in die Fingerspitzen nach -- durchschnittlich jeden Tag um einen Millimeter.

Die Zellen des Zentralnervensystems dagegen -- Gehirn und Rückenmark also haben diese Regenerationskraft nicht. Auch wenn der Neurochirurg die verletzten Stränge des Rückenmarks sorgsam aufeinanderpaßt, kann beispielsweise einem Querschnittsgelähmten nicht geholfen werden: Aus dem Stumpf wachsen zwar neue Zellen, aber sie verfehlen offenbar die notwendige Wachstumsrichtung; die Schnittstelle vernarbt.

Der Sehnerv ein nach Art eines leistungsstarken Telephonkabels gebauter Strang, der beständig unzählige Nervenimpulse übermittelt -- gilt den Neurologen gleichsam als »vorgestülpter Teil des Gehirns«; zerstörte Zellen werden nicht mehr durch funktionstüchtiges Gewebe ersetzt.

Wenn der Sehnerv auch nur teilweise verletzt ist, sind häufig bleibende Sehstörungen (zum Beispiel Halbseitenblindheit) die Folge. Und wird der Sehnerv, etwa bei einem Unfall, völlig durchtrennt, so verzichten die Neurochirurgen durchweg schon darauf, die Nerv-Enden zusammenzunähen: Bislang wurde noch nie beobachtet, daß ein menschliches Auge, dessen Sehnervenbahnen zeitweilig unterbrochen waren, seine Sehkraft auch nur teilweise wiedererlangt hätte.

Bei der Einpflanzung eines Spenderauges, wie sie in Houston versucht wurde, müssen die Arzte mit zusätzlichen Schwierigkeiten rechnen: >Die lichtempfindlichen Zellen der Netzhaut sind ähnlich anfällig wie Gehirnzellen; wird die Blutzufuhr längere Zeit unterbunden, sterben sie wegen Sauerstoffmangels ab. > Der Augeninnendruck, der normalerweise durch ein kompliziertes Regulationssystem konstant gehalten wird, könnte bei einem Fremdorgan gefährlich schwanken. > Das Spenderauge ist wie jedes Fremdgewebe durch eine (wenn auch wohl relativ geringfügige) Abstoßungsreaktion bedroht. Einen Vorteil könnte freilich, wie der Houstoner Dr. Moore andeutete, eine Augentransplantation haben: Das Fremdorgan wäre mutmaßlich ein besserer Ersatz als ein Glasauge, wenn es sich auf natürliche Weise bewegt (freilich sind moderne Augenprothesen aus Kunststoff, wenn sie an die Augenmuskeln angenäht werden, ebenfalls beweglich).

Moores Patient im Methodisten-Hospital hat allerdings, trotz schlechter Erfolgsaussichten für die Transplantation, am Ende doch noch eine Chance, wieder sehen zu können -- durch eine andere Verpflanzungsoperation.

Moore plant, in das gleichfalls erkrankte linke Auge des Patienten eine neue Hornhaut einzupflanzen -- eine Operation, die schon in einigen zehntausend Fällen gelang, aber bei dem nun ersetzten rechten Auge zuvor mißglückt war.

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