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HACKS Natürliche Abentheuer

aus DER SPIEGEL 48/1966

In diesem Lande«, sagte der Ost-Berliner Stückeschreiber Peter Hacks, 38, »werden die Talente geknackt wie Flöhe.« Das so gescholtene Land, die Bundesrepublik, nimmt das Talent Hacks jetzt liebevoll auf die Bühne.

Seit Montag dieser Woche wird Hacks' »Schlacht bei Lobositz« dreimal geschlagen - in Heidelberg (drei Stunden), in Berlin (zweieinhalb Stunden) und Göttingen (zweieinviertel Stunden).

Vier weitere Hacks-Stücke haben in dieser Spielzeit West-Premiere - so

- in Wuppertal das Bodenreform-Stück »Moritz Tassow«;

- in Mannheim die Historien-Persiflage »Das Volksbuch vom Herzog Ernst«;

- in München das Polit-Märchen »Der Schuhu und die fliegende Prinzessin«;

- In Dortmund das Kinderstück »Kasimir der Kinderdieb«.

Zwei Stücke, die bereits über West-Bühnen gingen, werden neu inszeniert - Essen spielt das Kolumbus-Drama »Eröffnung des indischen Zeitalters«, und Göttingen plant den »Frieden« (nach Aristophanes). Über das jüngste Hacks-Spiel, »Margarete in Aix«, wird noch verhandelt.

Die Hacks-Hausse, nach Jahren der Hacks-Abstinenz, hat doppelten Grund: Die etablierten Saison-Matadoren - Ionesco, Beckett, Dürrenmatt, Frisch - brachten neue Werke bislang nicht ins Spiel; und die politische Reserve gegenüber dem begabtesten der DDR-Brechtianer ließ nach.

Der Stückeschreiber hatte Abwehr durch Abkehr erregt. Hacks promovierte 1951 in München über »Das Theaterstück des Biedermeier« und debütierte 1955 an den Münchner Kammerspielen mit der »Eröffnung des indischen Zeitalters«. Im gleichen Jahr sah er im Osten das Morgenrot und emigrierte zu Brechts Ost-»Berliner Ensemble«.

Das »Neue Deutschland« rühmte den Zugang als »lebendiges Zeugnis für die Anziehungskraft des Sozialismus«, und Hacks avancierte zum Dramaturgen an Langhoffs »Deutschem Theater«. Er kürzte die blonden Locken auf Brechtschen Römerschnitt und sang: »Das Deutschland will ich rühmen, wo rote Fahnen wehn ...«

1962 rühmte er es zu wenig. DDRKulturkardinal Alfred Kurella summierte ihn unter jene, die sich nicht entschließen könnten, »unser Leben in feurigen Farben zu schildern und ihm mit begeisternder Stimme Ausdruck zu geben«. Grund: Hacks hatte im Plansoll-Spiel »Die Sorgen und die Macht« den DDR-Kommunismus »grau« genannt, und den idealen Kommunismus ortete er im »Gegenteil« von dem, »was jetzt ist«. Das »Sorgen«-Stück wurde abgesetzt, wie später, wegen ideologischer Abweichungen, der »Moritz Tassow«.

Hacks, der kein Auto mag, bewohnt jetzt mit Frau Anne eine Sieben-Zimmer-Wohnung in Ost-Berlins Schönhauser Allee. Inmitten alter Möbel entwikkelt er Theorien zur Poetik.

Im West-Repertoire kam Hacks nicht voran. Zwar inszenierten die Münchner Kammerspiele ihren Debütanten noch dreimal, durchs Spielplankarussell der West-Bühnen ging aber nur »Der Frieden«.

Dennoch ist der Spielraum für Hacks seit langem präpariert: Das Publikum schätzt den Brecht-Ton, den Hacks virtuos imitiert; die komische Verfremdung historischer Handlungen mildert den Klassenkampf zum Bühnenspaß; und Hacks' Hang zu saftiger Volkstümlichkeit ist auch bürgerlich goutierbar.

Denn so spricht, zum Exempel, der Sauhirt Moritz Tassow zur Bauerntochter Jette:

Klar will ich auf dir liegen, Honighintern.

In einem Ort wohnen, heißt, alle Weiber

Vögeln und mit den Männern allen saufen.

Auf dem Weg nach Westen muß Hacks allerdings Revisionismus befürchten -seine Stücke, oft dialektische Mäander, sind mehrdeutbar. So »Die Schlacht bei Lobositz«.

Vorlage für die Anti-Kriegs-Komödie (1955 geschrieben) waren die Memoiren des schweizerischen Ulrich Bräker aus dem Jahre 1789: »Lebensgeschichte und natürliche Abentheuer des Armen Mannes im Tockenburg«. Bräker gerät treuherzig ins friderizianische Heer und wird, durch Hacks klug gemacht, zum Deserteur.

Das grimmig-groteske Spiel dirigierte der Göttinger Regisseur Eberhard Pieper karikaturistisch und »radikal pazifistisch« - er aktualisierte mit Photokulissen heutiger Schlachtfelder. Heidelbergs Regisseur Claus Peymann mied »kabarettistische Späße, um den aktuellen Ernst der militärischen Einberufung herauszuarbeiten« - zum Schluß treten Uniformierte aller Länder mit Totenköpfen auf.

An der Berliner »Schlacht« (in der Schaubühne am Halleschen Ufer) hat ein einstiger Hacks-Intimus mitinszeniert - der DDR-entlaufene Dramatiker Hartmut Lange ("Marski"). Hier gab es Hacks pur - ganz historisch und, sagt Chefdramaturg Dieter Sturm, »inspiriert von der Zinnfigurenwelt des 18. Jahrhunderts«.

Denn der reine Hacks, meinen Hacksianer, ist sowieso aktuell. Sturm: »Analogien ergeben sich von selbst.«

Dramatiker Hacks

Premiere im gescholtenen Land

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