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Negerplastik am Kurfürstendamm

aus DER SPIEGEL 21/1947

So kommt alles wieder: die abstrakte Malerei, der Symbolismus und nun auch die Negerplastik.

Es fing damit an, daß zu Beginn des Jahrhunderts der Maler Maurice de Vlaminck in einer französischen Hafenkneipe einigen Matrosen um ein paar Liter Wein ein paar geschnitzte Holzstücke aus Afrika abkaufte. So, was man bis dahin kurzweg Fetisch nannte und gelegentlich in Völkerkundemuseen anstaunte (in die sich wegen des Prinzips sammelsüchtiger Ethnologen alle, aber auch ja alle ihre Schätze ausstellen zu wollen, immer nur wenige Leute hineintrauten).

Dem Maler gefiel das schwarze hübsche polierte Holz, die kuriose Formengebung, der rauh schreiende Ausdruck dieser Dinge. Er zeigte sie seinem Freunde Kees van Dongen, der gerade dabei war, sich zu einem in der großen Welt hochgeschätzten Modemaler zu entwickeln.

Der erkannte sogleich, geschäftstüchtig, wie er war, den neuen Dreh: Zurück zum Primitiven, zur ursprünglichen Wildheit, zur Ungebrochenheit. Weg von allem Ueberfeinerten, Ueberspitzten, Dekadenten.

Diese Mode breitete sich rasch aus, natürlich auch über Deutschland. Die Kunsthistoriker bemächtigten sich der Sache. Sie errichteten auf diesem bisher nur von Völkerkundlern und Religionswissenschaftlern beackerten Boden eine Reihe ästhetischer Turngeräte und kletterten darauf herum, meist von keinerlei Sachkenntnis beschwert, nach Herzenslust ästhetisierend und stimmungsschwelgerisch theoretisierend

Die Künstler aber sahen hier ihre Tendenz zur Ursprünglichkeit, zur Primitivität, zum Symbolismus, zur Abstraktion bestätigt. Sie nahmen die neuen Formen begeistert in ihr eigenes Vokabular auf.

In Wirklichkeit handelt es sich bei der sogenannten Negerplastik, zu der auch Indianisches und aus der Südsee Stammendes gerechnet wurde, um sehr verschiedene Dinge. Ihre psychologische und historische Herkunft ist häufig noch ungeklärt.

Vor allem handelt es sich dabei häufig gar nicht um Kunst im bisherigen europäischen Sinne, sondern um Magie, die sich (gelegentlich) künstlerischer Mittel bedient. Manchmal auch um ausgesprochenes Kunstgewerbe mit sichtbarer Freude an der Verarbeitung des Materials. Gelegentlich auch um die Umsetzung europäischer Eindrücke in afrikanische.

Jetzt stellt die Berliner Galerie Rosen am Kurfürstendamm zum erstenmal nach langer Zeit wieder eine geschlossene Sammlung aus. Sie sollen demnächst versteigert werden.

Vor 50 Jahren kaufte M. de Vlaminck Negerplastiken um ein paar Liter Wein

Heute sind Negerplastiken hochgeschätzte Gegenstände des Kunsthandels

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