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ARCHÄOLOGIE Neue Jugend

Ramses II., 3250 Jahre alt, wurde nach Paris übergeführt. Französische Experten wollen den Leichnam, der zu verfaulen droht, retten.
aus DER SPIEGEL 48/1976

Die Ehrengarde präsentierte das Gewehr, eine Militärkapelle intonierte die Marseillaise, eine Staatssekretärin vertrat den Präsidenten. Mit »Ehren, die einem Staatschef zustehen«, meldete der »Figaro«, wurde ein Ägypter am Pariser Flugplatz Le Bourget empfangen -- der Staatsgast ruhte, den Blicken entzogen, in einer Holzkiste.

In der Fracht war ein Großer der Antike: Pharao Ramses 11., rund 3250 Jahre alt und zu Lebzeiten, wie Pathologen und Röntgenspezialisten ermittelten, ein Herrscher mit menschlichen Leiden: Zahnschmerzen. Heute ist er von Schlimmerem geplagt. Insekten, Bakterien und Pilze fleddern an dem Einbalsamierten.

Über das Befinden des Leichnams, verkündete Professor Lionel Balout, Direktor des Pariser »Musée de l"Homme«, würden »keine Bulletins und Fieberkurven« herausgegeben. Doch derart hinfällig sei der Alte, der vermutlich Moses vor dem Aufbruch ins Heilige Land kannte, daß er bis März in einem keimfreien Raum mit Gammastrahlen und sterilen Mullwickeln behandelt werden muß. »In seinen 78 Jahren im Museum. zu Kairo«, befand der Chirurg Maurice Bucaille, der bei Recherchen für sein Werk »Die Bibel, der Koran und die Wissenschaft« die mißliche Verfassung der Königsmumie entdeckt hatte, habe Ramses »mehr gelitten als in den 3000 Jahren in seiner Gruft«.

Nur aus Amerika kam Widerspruch: »Die sind derart eingewickelt«, behauptet US-Experte James Harns von der Universität von Michigan, der die Mumien seit einem Jahrzehnt alljährlich untersucht, »daß eine Infektion praktisch unmöglich ist.«

Die »New York Times« witterte »wissenschaftliche Vorwände für diplomatische Zwecke": Nach der Pharaonenshow des Tutenchamun, der 1967 in Paris über eine Million Neugierige angelockt hatte, wollten die geschichtsbewußten Franzosen auch den alten Ramses haben -- ein Plan, der in Kairo Widerstand hervorrief.

Im April schrieb Valéry Giscard d"Estaing deshalb an seinen Kollegen Sadat: »Im Hinblick auf die ägyptische Sensibilität ziehen wir es vor, von dem (Schau-)Projekt Abstand zu nehmen.« Es sei aber wohl sehr notwendig, den Leichnam »jetzt in einer keimfreien Umgehung zu behandeln« -- eben in Paris.

Tatsächlich dokumentierte Mumienexperte Maurice Bucaille im Archäologenmagazin »Archeologia« über neun Seiten mit Röntgenphotos und Farbaufnahmen, daß die alten Ägypter im luftfeuchten, sonnendurchstrahlten Kairoer Museum »am denkbar schlechtesten Platz ausgestellt werden«.

Pharao Merenre Methousoup I. beispielsweise leidet an fortgeschrittener Verfaulung. Mineptah, einem Sohn des Ramses, entschwanden über die Jahrzehnte unter den Bandagen zwei Drittel des Unterleibes. Das Gesicht des Amenophis II. ist mit weißlichen Pilzen bedeckt, und auch Ramses machen Bakterien am Bauch zu schaffen.

Die Einbalsamierung allein reiche nicht aus, resümierte Maurice Bucaille; die Mumien brauchen sorgsame Pflege, wenn sie nicht verrotten sollen. Lohn für die Mühe, meinte der »Figaro«, sei es, wenn »die französischen Experten dort Erfolg haben, wo die ganze Welt versagte«.

Ähnliche nationale Töne fand »Le Monde«. Frankreich -- schrieb das Blatt -- gebe Ramses, dem Pharaonen, »seine neue Jugend«.

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