MEDIKAMENTE Neue Notierung
Auf weißem Fell kuscheln sich drei herzige Nackedeis, das Baby-Hemdchen hochgeschoben, die Windelhöschen leicht verrutscht.
»Diese Kinder«, verspricht die Anzeige im Text, »haben ein langes Leben vor sich, 70 Jahre und mehr.« Denn »Pharma-Forscher« der Arzneimittelfirma Hoechst seien stetig auf der »Suche nach neuen und besseren Arzneimitteln«; »viel zäher Forschungswille« sei nötig -- »aber auch Geld«.
Hoechst hat es sich gerade wieder geholt. Zur selben Zeit, da die Image-Anzeige des größten westdeutschen Arzneimittelherstellers in der »FAZ« erschien, mußten Apothekenkunden und Krankenkassen feststellen: Der marktstarke Pillenriese (Hoechst-Chef Rolf Sammet: »Pharma ist unser erklärtes Wachstumsgebiet") hat wieder einmal die Preise erhöht.
Unbeeindruckt von allen Maßhalteappellen der Wirtschafts- und Sozialpolitiker hat Hoechst für rund zwei Drittel seines gesamten Präparat-Angebots die Hersteller-Abgabepreise heraufgesetzt, was sich zwangsläufig in höheren Apotheken-Verkaufspreisen niederschlägt.
Es ist der zweite Preisschub innerhalb weniger Monate. Erst zur Jahreswende hatte die Pharma-Branche kräftig hingelangt; damals war ein Drittel jener 1000 Standardpräparate teurer geworden, mit denen die Apotheke 75 Prozent ihres Umsatzes schaffen.
Angehoben im Preis wurden vor allem die Umsatzrenner (Brandchen-Jargon: »Schnelldreher"), mit denen etwa Hoechst seit eh und je seine Kassen füllt, so die Palette der Insulin-Präparate, die Antidiabetika Euglucon und Rastinon, das Herzmittel Segontin, das Diuretikum Lasix. das Antibiotikum Hostacylin und selbst das bereits 1921 herausgekommene Schmerzmittel Novalgin -- mit Forschungsaufwand hat das wenig zu tun.
Ähnlich hielten es nahezu alle tonangebenden Pharmafirmen der Bundesrepublik bei ihren, wie sie vornehm formulierten, »Preisveränderungen« und »Preiskorrekturen": Weithin ging es bei den neuen »gültigen Notierungen« (Hoechst-Rundbrief an alle Apotheken) um marktgängige Altware. So vergaß Bayer bei seinem jüngsten Preisruck (jedes fünfte Bayer-Präparat wurde verteuert) weder sein fast 30 Jahre altes Schmerzmittel Dolviran noch seinen Welt-Bestseller aus dem Jahre 1899, das Aspirin.
Schering erhöhte den Preis für die Antibabypillen-Schlager Microgynon und Eugynon. Boehringer Mannheim verteuerte seine Umsatzrenner Lanicor, Inensain-Lanicor, Intensain-Lanitop (Herzmittel) und Modenol (Blutdrucksenker).
Boehringer Ingelheim ließ für seine Schnelläufer Buscopan (Krampflöser) Catapresan (Blutdrucksenker) und Sympatol (Kreislaufpräparat) den Preis steigen. Hoffmann-LaRoche, mit seinen Psycho-Pillen längst vielfacher Umsatzmilliardär« bediente sich bei Limbatril, Valium und Librium, aber auch bei seinem Sulfonamid-Präparat Bactrim und seiner Alltags-Wundsalbe Bepanthen.
Ähnlich taten sich auch Ciba-Geigy, Marktführer bei Grippe- und schmerzstillenden Mitteln, und Thomae (Abführ-, Husten-, Schnupfen- und Beruhigungsmittel) an ihrem jeweiligen Bestseller-Teller gütlich, aber auch Nattermann (Venenmittel), Merck (Multibionta forte) und Sandoz (Optalidon). Und warum die Verteuerung schon wieder habe sein müssen, vermochten Branchensprecher nur vage zu erklären.
»Allgemeine Kostensteigerungen« hätten verkraftet werden müssen, so beteuerte der Hauptgeschäftsführer des Pharma-Verbandes, Hans-Otto Scholl, und außerdem habe der Gesetzgeber den Pharmafabrikanten zusätzlich kostentreibende Unbill auferlegt. So müsse beispielsweise jeder Arzneimittelhersteller neuerdings eine Extra-Haftpflichtversicherung abschließen und mehr für die Ausbildung seiner Ärztebesucher tun.
Überzeugend klingt das nicht: Die Rohstoffpreise, bei der pharmazeutischen Industrie ohnehin nur wenig preisbestimmend, haben sich trotz angeblicher Ölkrise kaum verteuert.
Was die zusätzliche Haftpflicht kosten wird, ist noch lange nicht klar. Fest steht bisher nur, daß die Prämie auf jeweils zehn Mark Herstellerabgabepreis bei einem Medikament nur etwa vier Pfennig betragen wird.
Auch der Hinweis auf das zu verbessernde Ausbildungsniveau der Arzneimittelvertreter zieht nicht. Der Gesetzgeber hat großmütig zugestanden: Wer schon am 31. Dezember 1977 als Ärztebesucher tätig war, braucht auch 1978 keine zusätzliche Ausbildung.
Von ihrem Lieblingsargument für Preiserhöhungen ist die Pharmabranche inzwischen selbst abgerückt. Die »industriellen Forschungsaufwendungen«, gab der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie jüngst bekannt, seien bereits 1976 nicht höher gewesen als im Jahr zuvor.
Und auch für 1977 hat der Verband von einer »nennenswerten Steigerung« nichts vernommen.
So brachte das besonders forschungsintensive Unternehmen Bayer jetzt als jüngste Leistung ein »Aspirin junior heraus. Es enthält exakt den gleichen Wirkstoff wie das Standardpräparat aus der Zeit der Jahrhundertwende: Acetylsalicylsäure.
Während allerdings im Alt-Aspirin je Tablette 500 Milligramm der Wirksubstanz enthalten waren, sind es beim »Aspirin junior« nur 100 Milligramm -- eine Ersparnis von 80 Prozent. Jedoch: Das »Junior«-Präparat ist nur 6,5 Prozent billiger.