RUNDFUNK Nicht für Hörer
Der Anruf aus Hamburg überraschte den Regierungschef bei der Morgentoilette. Die NDR-Moderatorin Sybille Weidemann begrüßte den frisch gebadeten Hausherrn mit einer Frotzelei: »Herr Stoltenberg, sind Sie schon trocken hinter den Ohren?«
Die saloppe Frage. Auftakt zu einem Telephon-Interview, ging live über das zweite NDR-Hörfunkprogramm, und gleich nach der Sendung wurde klar, daß niemand ungestraft so despektierliche Scherze mit einem christdemokratischen Landesvater treibt. Ein Herr von der CDU legte fernmündlich Protest ein: Vor dem Programmdirektor mußte die kesse Sybille geloben, künftig manierlicher mit der Obrigkeit zu verkehren. Mit Politik und Politikern ist auch im NDR nicht zu spaßen.
Das haben jetzt auch die Moderatoren des -- mit täglich fünf Millionen Hörern -- beliebtesten deutschen Radio-Magazins, »NDR II von neun bis halb eins«, lernen müssen. Die Funkshow, eine kurzweilige Mischung aus Pop, Schlagern, Nachrichten, Buch- und Verbrauchertips, hat im Hamburger Sender so viel Mißfallen erregt, daß Unterhaltungschef Henri Regnier der »Neun bis halb eins«-Mannschaft eine längere Funkstille verordnete.
Es hatte, im Mai 1971. durchaus harmonisch angefangen. Jovial ermunterte Regnier seine Entertainer, die Musikblocks mit Interviews, Glossen und Satire aufzulockern: »Nun macht mal, Kinder, ihr habt freie Hand.« Unterhaltung, predigte er, »ist alles, was interessant ist«.
Alles nun auch wieder nicht. Zwar durfte Magazin-Star und Blödel-Champion Henning Venske derbste Kasino-Witze ausplaudern, doch als seine Kollegen auch »kritisch mit Kulturbetrieb und Schlagerindustrie« rechteten, kam es zum Streit. Nach einem Spendenaufruf für Chile wurde die Moderatorin Monika Jetter (vorübergehend) mit Sprechverbot belegt. Wolfgang Hahn gab zur Diskussion um den Paragraphen 218 Kästners »Patriotisches Bettgespräch« zum besten ("Wer nicht zur Welt kommt, wird nicht arbeitslos") und spielte danach Qualtingers Song von der Engelmacherin -- CDU-MdB Franz-Josef Nordlohne entrüstete sich, Hahn wurde beurlaubt.
Linke Parolen, noch dazu in der Unterhaltung -- das empfand vor allem der Hörfunk-Chefredakteur Hans Soltau (CDU) als höchst unpassend. Er besann sich auf eine Dienstanweisung der Programmdirektion, wonach ihm alle »Beiträge politischen Inhalts vor der Sendung zur Kenntnis« zu geben seien -- eine Kontrollmacht, mit der er auch in fremde Ressorts hineinregieren kann. Letztes Jahr hatte er etwa versucht, das bundeswehrkritische Hörspiel »Zuginsfeld« abzuschießen.
immer häufiger wurden nun, auf Soltaus Betreiben, Genehmigungen für aktuelle Reports verweigert oder kurzfristig zurückgezogen -- selbst Plaudereien aus der Hamburger Kunstszene waren plötzlich tabu.
Dem Dauerfeuer von rechts konnte der (FDP-nahe) Unterhaltungsboss Regnier nicht standhalten. Denn im NDR schwindet der Einfluß der Liberalen. Mit Radio-Chef Soltau. dem TV-Programmdirektor Friedrich Wilhelm Räuker und dem Stellvertretenden Intendanten Dietrich Schwarzkopf haben die Christdemokraten, die den Sender aufmerksam observieren. wichtige Schlüsselpositionen besetzt. Von den Sozialdemokraten, die in Hamburg immerhin den Intendanten stellen, haben vorwitzige Geister im Funk kaum Rückendeckung zu erwarten.
Zermürbt stoppte Regnier schließlich auch Moderatoren, die Lieder von Biermann oder Degenhardt in die Hitparaden schmuggelten. »Schlager, .Lieder und Chansons mit im weitesten Sinne politischem Inhalt«, dekretierte er. »sollen in dieser Sendung bitte nicht erscheinen.« Das gelte auch »für Kabarett-Nummern«. aber »natürlich nicht für Antiquitäten wie Valentin«.
Als flankierende Maßnahme, so deuten es die Betroffenen, rügte Dienstherr Regnier immer schärfer »Dilettantismus« seiner Mitarbeiter -- insbesondere jener, die sich mit einem harmlosen Disc-Jockey-Job nicht begnügen wollten. Deshalb war es eigentlich nicht verwunderlich, daß der Sendung eine Pause verordnet wurde. Von September an, bis dahin will Regnier das Magazin »mit ein paar Highlights auf Hochglanz polieren«, soll »NDR II von neun bis halb eins« dann »unwesentlich verändert« wieder ins Programm kommen.
Die Moderatoren trauen dem Frieden nicht. Sie fürchten, kaltgestellt und zu simplen Ansagern degradiert zu werden. Denn daß man auf Moderatoren gut verzichten kann, hat ihnen ihr Vorgesetzter schon bescheinigt. Auf das Argument, gerade der Personality-Stil habe die NDR-Show zum Hörer-Hit gemacht, spöttelte Regnier: »Seit wann senden wir denn für die Hörer? Wenn Sie das glauben, sind Sie zu naiv, um Programm zu machen.«