BÜCHER Nur die Liebe
Gegen Ende seines Lebens schrieb der französische Dichter Paul Eluard nur noch selten an die Frau, die ihm als »das einzige Licht« erschienen war. Noch immer beteuerte er ihr: »Wir sind nie wirklich getrennt gewesen«, obwohl sie ihn schon beinahe 20 Jahre zuvor verlassen hatte. »Ganz sicher«, so meinte er nun allerdings, werde sie seine Ansicht teilen, daß es besser sei, »keine Spuren unseres intimen Lebens zu hinterlassen. Ich zerreiße also Deine Briefe ...«
Die Adressatin jedoch tat nichts dergleichen. Eluards einstige Frau Gala, seit 1929 mit Salvador Dali verbunden, hob sorgfältig auf, was ihr erster Mann an sie geschrieben hatte. Schließlich kam das Konvolut, teils als Geschenk bei Lebzeiten, teils als Erbschaft beim Tode Galas 1982, an deren und Eluards Tochter Cecile. Und weil weder die noch etwa der Pariser Verlag Gallimard »einen Toten zensieren« wollte, liegen 272 Eluard"Briefe an Gala« aus den Jahren 1924 bis 1948 nun gedruckt vor. _(Paul Eluard: »Lettres a Gala«. Verlag ) _(Gallimard, Paris; 528 Seiten; 150 Franc. )
Das ist ein wahrhaft intimes, bewegendes Dokument, zugleich für die Kunst- und Künstlergeschichte von vielfältigem Interesse. Denn Eluard (1895 bis 1952) stand mitten in der surrealistischen Bewegung, später in der Resistance, er war unter anderem mit den größten Malern seiner Zeit, von Max Ernst bis Picasso, befreundet und arbeitete mit ihnen zusammen. Seine Briefe stecken voller Berichte und Hinweise aus diesen Kreisen.
Hauptthema allerdings ist die Liebe, in der Korrespondenz wie in der Poesie Eluards, jedenfalls der frühen: »Es gibt kein Leben«, so der Briefschreiber im März 1929, »es gibt nur die Liebe.« Und auf derselben Seite: »Ohne die Liebe ist alles für immer verloren, verloren, verloren.«
Der ekstatische, oft auch bis zur Verzweiflung depressive Ton Eluards wirkt in diesem Briefband um so stärker, als der Autor ins Leere zu sprechen scheint: Schreibend möchte er eine Trennung überwinden, aber die Antworten - von ihm wohl wirklich zerrissen - fehlen. Nur ein paar Briefe, die Gala schon 1916 an Eluard gerichtet hatte, beweisen, daß auch sie sehr wohl zu wortreichen Aufschwüngen imstande war.
So wie damals oder sogar früher stand Gala dem Liebenden noch lange nach dem entscheidenden Bruch vor Augen - noch »immer das verwirrte Kind von Clavadel«.
In diesem Schweizer Kurort nahe Davos nämlich waren die beiden einander 1912 als lungenkranke Sanatoriumspatienten, in »Zauberberg«-Atmosphäre, begegnet: der 17jährige Buchhalterssohn aus Saint-Denis und, als Mädchen vom guten Russentisch, die etwa gleichaltrige Elena Diakonowa, Tochter eines Gutsverwalters an der Wolga. 1917 schlossen sie die Ehe.
Eine besonders bürgerliche Verbindung war das nicht. Mochte Dali später verkünden, er habe außer Gala nie eine Frau berührt - das Paar Eluard einigte sich ungeachtet aller Liebesraserei füreinander, die sehr direkt aus den jetzt publizierten Briefen spricht, auf beiderseitige Freiheit. Und offenbar hat es derlei Lizenzen dann, gemeinsam, auch von Dali in Anspruch genommen: Noch mehrfach trafen sich Gala und Eluard nach dem schicksalhaften August 1929 vertraulich.
»Liebe mich, aber wenn Du Lust darauf hast, nutze Deine Freiheit aus.« »Ich wollte Dir diese Freiheit geben, die keiner sonst Dir gegeben hätte.« Eluard wiederholt solche Grundsätze um so trotziger, je mehr er leidend ahnt, die Gemeinsamkeit könne zerbrechen.
Denn keineswegs, so zeigt sich, sprengt Dalis göttergleiche Erscheinung unvermittelt eine heile Ehe. Schon vor der Reise zu ihm nach Cadaques empfindet _(Mit einem Objekt des Dadaisten Man Ray, ) _(photographiert von Ray. )
Eluard sein Schicksal als »tragischer denn je«. Gala verbringt Monate in der Schweiz, zumindest zeitweilig in Gesellschaft eines unidentifizierten »B.«, und will den Gatten offenkundig nicht sehen.
Der seinerseits teilt ebenso freimütig wie zartfühlend mit, nur »wenn es Dich gar nicht stört«, werde er zu einer Eisenbahnbekanntschaft nach Berlin reisen. Er fährt dann tatsächlich dorthin und weiter nach Bayern, begleitet unter anderem von einer »sehr schönen und sehr netten, aber zu beschränkten« Dame »voller erotischer Phantasie«. Sein Brief jedoch schweift ab in die detailreich ausgemalte Vorstellung einer Liebesnacht mit Gala. Mit anderen Frauen zu schlafen ("sehr oft, zuviel"), verbucht Eluard als »Zeitvertreib« und »pure Liebhaberei«.
Die Unverblümtheit solcher Zwiesprache macht die gelegentliche Sorge nachvollziehbar, ein »außerordentlich intimer Brief« könne in falsche Hände geraten sein. Rückhaltlos preist Eluard den Besuch im Pornokino als »Entdeckung« einer »wilden Kunst« und wünscht dringend, auch Gala solle dieses Spektakel sehen. Als er sie an Dali verloren hat, beschreibt er ihr die Ersatz-Lust, ihre Aktphotos zu betrachten. Die Erregung seiner Liebesbeteuerungen legt sich noch lange nicht.
Radikal antibürgerliche Haltung färbt auch den Umgang im Künstler-Freundeskreis. Dennoch kann es zum Drama kommen, wenn Eifersucht im Spiel ist - etwa (wie die Brieftexte nur ahnen lassen, die durchweg gründlichen Anmerkungen aber ausführen) 1927 bei einer Auseinandersetzung mit dem »Schwein Max Ernst«.
Dieser »Monsieur Le Porc«, Hausfreund der Eluards in den frühen zwanziger Jahren, hat Eluard an einem Abend beim Obersurrealisten Andre Breton ein blaues Auge geschlagen. Das sieht »widerlich aus«, aber mehr noch quält den Blessierten, daß sein »bester Freund und weit mehr, wie Du weißt«, zu den »Argumenten eines Boxers« gegriffen hat. Er will ihn »NIEMALS« wiedersehen, was einige Zeit vorhält. Im April 1929 endlich besucht Eluard »mit Max, Breton und den Damen« eine Aufführung der »Schönen Helena«.
Noch schwerer muß es ihm fallen, vom August desselben Jahres an nur noch das - durch gelegentliche Rendezvous und spärlicher werdende Korrespondenz versüßte - »überflüssige Leben eines Besiegten« zu führen und sich mit Dali zu arrangieren. Doch er tut das, soweit nachzulesen, souverän.
Beispielsweise schickt Eluard schon im September 1000 Peseten ("das Maximum") nach Cadaques. Später räumt er, ebenso tolerant wie praktisch, dem jungen Glück fallweise seine Wohnung am Montmartre als Pariser Absteige ein und bittet nur um Verständnis, daß auch der Dichter Rene Char ("Er säße sonst auf der Straße") da wohnt. Immerhin sei der Hausgenosse nach entsprechender »Lektion« (durch Gala nämlich) sehr korrekt und hantiere auch mit Mop und Staubsauger. Dabei geht es stets um die Wohnung, die Eluard noch im Juli 1929 für sich und Gala hat einrichten wollen - was »uns einige Fetische und einen großen Chirico kosten wird«.
Dergleichen ist anscheinend reichlich zur Hand und nie genug. Eluard sammelt mit Passion nicht nur Werke seiner Surrealisten-Freunde, sondern er teilt auch deren Neigung für »primitive« Kunst aus Afrika und der Südsee, für »objets« jeder Art, für alte Postkarten und für Tauschgeschäfte (200 Karten gegen einen Dali). Allein während weniger Tage in Berlin 1929 kauft er »für 12 000 Franc Objekte« von peruanischen Silbermasken bis zum »sehr wichtigen« Klee-Aquarell. Bei George Grosz gibt er sein Porträt in Auftrag.
Und wenn Eluard schließlich Gala sogar zur Ehe mit Dali drängt (geschlossen 1935, auch Eluard heiratet wieder), hat das ebenfalls mit Kunstbesitz zu tun: »Falls Dali stirbt« (durchgestrichen: »oder verrückt wird"), hast Du überhaupt nichts. Sein Vater wird alles erben, sogar die Bilder, die DIR gehören (und damit auch mir) - ein unerträglicher Gedanke«.
Aber nein, »verrückt« ist der neun Jahre jüngere Dali, »le petit Darys«, in Eluards Augen sicher nicht. Er wird von ihm als Künstler hoch geschätzt, mit Katalogtexten bedacht ("ein richtiges Vorwort-Gedicht") und über Gala um Werk-Abfälle gebeten, eben was »so an Skizzen herumliegt«.
Und gezielt läßt Eluard einmal vom Krankenhausbett her ausrichten: »Wenn Dali nichts zu tun hat, soll er mir doch kleine, sehr obszöne Zeichnungen schicken - sie könnten mich für kurze Zeit von der Krankenschwester erlösen.«
Während Ehefrau Maria ("Nusch") Eluard sich gegen Lieferung von Wolle und eine »Zeichnung mit den genauen Maßen« erbietet, Pullover für Dali zu stricken, ergreift der Gatte in surrealistischen Fraktionskämpfen für ihn Partei.
Mit hymnischen Tiraden auf Hitler hat Dali 1933 Dogmatiker wie den Schriftsteller Louis Aragon (Eluard verachtet die »Kanaille« als orthodoxen Parteikommunisten) in helle Wut versetzt. Eluard, obwohl gut im Bilde, »was sich in Deutschland tut« (und später selbst KP-Mitglied), nimmt den Wahn seines erfolgreichen Rivalen gelassener auf und weiß »sehr gut, daß er kein Hitlerianer ist«.
Allerdings: »Dali muß unbedingt ein anderes Sujet für sein Delirium finden.« Das »Loblied auf Hitler« werde zur Spaltung und »zum Ruin des Surrealismus führen«. Der Ruin kommt jedenfalls: Zwei Jahre später konstatiert Eluard für sich selbst den »endgültigen Bruch« (der sich freilich hinzieht) mit Breton und dessen Anhängern.
Gegen »Diffamierungen von Breton & Co.« nimmt Eluard den »kleinen Darys« _((c) SPADEM/Bild-Kunst 1985. )
noch nach dem Zweiten Weltkrieg »so gut ich kann« in Schutz. Gern würde er aber, wie er der russisch angeredeten »dorogaja Galotschka« nach New York schreibt, »formell dementieren« können, Dali habe Francos Botschafter porträtiert. »So manchem Dreckskerl das Maul zu stopfen« wird schwierig. Eluard muß wissen, daß auf Dali nicht viel Verlaß und Feingefühl von ihm nicht immer zu erwarten ist.
Schon 1932 hat er auch einmal »Grund gehabt, sich als Künstler von Dali verschaukelt zu fühlen - als der ein Eluard-Gedicht ("Wie zwei Wassertropfen") illustriert. Zwar hat der Poet sich »ja schon oft gedacht, daß er nicht allzuviel davon versteht - aber derart wenig!« Mit dem gezeichneten »Kleiderständer-Phallus-Reiher« hätten die Verse nun wirklich »nicht das geringste zu tun«.
Das Gedicht erscheint unbebildert, und Eluard akzeptiert Dali, »wie er ist«. Er bringt nicht fertig zu wünschen, daß der Nebenbuhler-Freund »auch nur ein klein wenig anders wäre«.
Und die Gefühle für Gala? »Sei jedenfalls immer versichert«, so schließt der Briefschreiber auch diesmal, »daß Du mir unendlich teuer bist.«
Paul Eluard: »Lettres a Gala«. Verlag Gallimard, Paris; 528 Seiten;150 Franc.Mit einem Objekt des Dadaisten Man Ray, photographiert von Ray.(c) SPADEM/Bild-Kunst 1985.