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NSU-WANKEL Nur noch rund

aus DER SPIEGEL 36/1965

Deutschlands mutigste Automobilfabrik hat sich entschlossen, die populärste Kraftmaschine der Welt im eigenen Hause auszurotten: Nie wieder wollen die Neckarsulmer NSU-Motorenwerke (Marktanteil: 3,45 Prozent) einen Hubkolbenmotor entwickeln.

Als erster Automobilproduzent der Welt will sich NSU nur noch mit modernen Kreiskolben-Triebwerken befassen: mit rotierenden Kraftspendern nach dem System NSU-Wankel.

Zwar präsentiert NSU zur Internationalen Automobilausstellung in Frankfurt (Eröffnung: 16. September) noch zwei neue Fünfsitzer-Personenwagen mit 1100 Kubikzentimeter großen herkömmlichen Hubkolbenmotoren, den »NSU 110« (53 PS) und den »Prinz 1000 TT« (55 PS). Doch die Motoren sind »für uns die letzten ihrer Art«, versicherte NSU-Generaldirektor Dr. Gerd Stieler von Heydekampf. Künftig »geht es bei NSU nur noch rund«.

»Das Prinzip des Hubkolbenmotors ist veraltet«, begründete der NSU-Chef seinen Entschluß.

Der herkömmliche Hubkolbenmotor verwandelt die durch Hin- und Herbewegung seiner Kolben erzeugte Kraft erst auf einem technisch unvernünftigen Umweg mittels Pleuelstangen und Kurbelwelle in Drehbewegung.

Dagegen schien den Technikern von jeher eine Verbrennungsmaschine sinnvoller, bei der ein rotierender Kolben die Antriebswelle unmittelbar mitdreht. Nach jahrzehntelanger Arbeit gelang dem heute 64jährigen Erfinder Felix Wankel, der sich 1951 mit NSU verbündete, die theoretischen vorteile eines solchen Triebwerks praktisch nutzbar zu machen.

In elfjähriger Gemeinschaftsarbeit kultivierten Wankel und die NSU-Ingenieure das Triebwerk für den Betrieb im Automobil. Bei gleichem Verbrauch erzielte Wankels rotierendes Kraftwerk die gleiche Leistung wie ein vergleichbarer herkömmlicher Verbrennungsmotor - war jedoch viel kleiner, um ein Drittel leichter, wesentlich einfacher im Bau -und ruhiger im Lauf.

NSU begann im Herbst 1964, in Kleinserie einen »Spider« genannten Sport-Zweisitzer mit Wankel-Kreiskolbenmotor zu bauen, »um zu beweisen, daß der Wankelmotor im Wagen funktioniert«. Bald preschten Wankel-Spider (Leistung: 50 PS; Höchstgeschwindigkeit: 152 Stundenkilometer; Preis: 8500 Mark) in der Hand von Käufern über Europas Straßen. Auch der NSU-Generaldirektor übernahm einen Wankel-Wagen für einen Dauertest.

Schon damals lag die weitere Entwicklung des NSU-Wankel-Motors nicht mehr bei NSU allein. Bis heute haben 15 in- und ausländische Werke - darunter so angesehene Firmen wie Rolls -Royce, Alfa Romeo, Porsche und Daimler-Benz - bei NSU Lizenzen für Bau und Weiterentwicklung von Kreiskolbenmotoren nach dem System NSU -Wankel gekauft.

Wer - frühzeitig angefragt hatte, brauchte nur relativ wenig zu zahlen,

wie etwa der US-Motorenkonzern Curtiss-Wright (10 Millionen Mark). Neben dieser Aufnahmegebühr für den Nekkarsulmer Rotarier-Klub müssen die Lizenznehmer später für jeden von ihnen gebauten Kreiskolbenmotor drei bis fünf Prozent des Herstellungspreises an die Lizenzmutter NSU abliefern und außerdem mit ihr die Forschungsergebnisse austauschen.

Ford und VW haben bereits wegen Lizenzübernahmen bei NSU vorgefühlt. Die Russen dagegen scheuten den offiziellen Weg. Sie treiben Wankel-Motor-Entwicklung ohne Lizenz.

Während NSU den Wankel-Spider mit einem Vergaser ausrüstete, experimentierte die Daimler-Benz AG mit Versuchswagen, deren Wankel-Motoren das Benzin eingespritzt wird. Curtiss-Wright konzentriert sich auf einen 200-PSWankel-Motor und auf noch stärkere Triebwerke für militärische Zwecke wie zum Beispiel Hubschrauber. Rolls-Royce bemüht sich, nach dem Wankel-Prinzip einen Vielstoffmotor zu entwickeln.

Testfahrer der deutschen Bundeswehr erprobten einen weiterentwickelten Wankel-Motor im Munga-Geländewagen mit guten Resultaten über Zehntausende von Geländekilometern. Und Porsche prüft das Wankel-Prinzip auf Eignung für sportliche Hochleistung.

NSU hat keine Angst, durch einen der zahlreichen Lizenznehmer in der Entwicklung überholt zu werden. »Wir haben einen Zeitvorsprung«, versicherte der Firmen-Chef, »außerdem kann man bei dieser ersten sprunghaften Weiterentwicklung des Verbrennungsmotors gar nicht genug Bundesgenossen haben.«

Ebensowenig zeigen sich die NSU -Leute über die Möglichkeit beunruhigt, daß andere neuartige Antriebsmittel für Automobile ihre Wankel-Entwicklung entwerten könnten. »Unterhalb der 500 -PS-Grenze kommt uns die Turbine nicht in die Quere, weil sie für Personenwagen nicht wirtschaftlich zu machen ist«, sagte der NSU-Chef. »Zwischen fünf und 500 PS ist Wankel-Feld.«

Die Brennstoffzelle, bei der durch einen chemischen Prozeß Kraftstoff in Elektrizität umgewandelt wird, sei dagegen der Feind nicht nur des Wankel-Motors, sondern aller Verbrennungsmotoren. Sie würde aber bestenfalls in einigen Jahrzehnten betriebsreif sein.

Den Entschluß, sich vom Hubkolbenmotor abzuwenden und nur noch Kreiskolbenmotoren zu entwickeln, faßte NSU nicht zuletzt wegen der guten Erfahrungen mit dem Wankel-Spider. Bei über 1000 Wankel-Spidern, vom Kundendienst sorgfältig beobachtet, ließ sich »kein typischer Wankel-Ärger« feststellen. Stieler von Heydekampf: »Wir wurden mutiger denn je.«

Gemeinsam mit der französischen Firma Citroen hat NSU ein zweites Wankel-Auto entwickelt. NSU stellt das Triebwerk. Die Produktion soll in zwei Jahren anlaufen, das Auto von beiden Partnern vertrieben werden.

Prototypen haben auf dem Versuchsgelände von Citroen schon unzählige Testkilometer gefahren. Wachmänner mit Hunden schirmen das Test-Areal ab. Alarmsirenen heulen, sobald sich Hubschrauber oder Sportflugzeuge nähern. Dennoch ist schon durchgesickert, daß Citroen und NSU eine eher primitive Fahrmaschine nach Art des Citroen 2 CV gebaut haben. Das Triebwerk ähnelt dem Spider-Motor und soll rund 50 PS leisten.

Doppelt so stark ist ein eleganter Mittelklasse-Wankel-Wagen für gehobene Ansprüche, den NSU etwa Ende 1966 oder Anfang 1967 auf den Markt bringen will. NSU rüstete ihn mit einem sogenannten Zweischeiben-Motor aus, gleichsam der Koppelung von zwei Motoren des Wankel-Spiders. Das Auto ist schon fertig, doch NSU will dem Publikum auf der Autoausstellung in Frankfurt nur den Motor zeigen.

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