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SCHRIFTSTELLER / FERNAU Nur noch Sieg

aus DER SPIEGEL 23/1967

»Spätere Zeiten«, so raunte der SS-Kriegsberichter Joachim Fernau Ende August 1944 im »Völkischen Beobachter«, würden es dereinst ganz »klar und deutlich sehen ... daß es auszurechnen gewesen sein mußte, warum Deutschland siegte«. Fernau forderte von den Deutschen eine »letzte große Anstrengung«, denn: »Der Sieg ist wirklich ganz nahe.«

Es war, so erinnerte sich 23 Jahre später in der »Zeit« der Berliner Germanistik-Professor Peter Wapnewski. der »schändlichste Durchhalteartikel dieses Krieges«.

Sein Autor, heute 57, hat das nie so empfunden. »Frieden allein gibt es nicht mehr«, schrieb Fernau 1944, »es gibt nur noch Sieg.« Aber als es keinen deutschen Sieg, sondern Frieden gab, schrieb er dennoch weiter. Und siegte, mit Büchern der »Liebe in Deutschland« und der »Liebe zu Deutschland«, über die »Genies der Deutschen« und über die »deutsche Seele«, auf der deutschen Bestseller-Liste.

Da möchte er nun nicht gestört werden -- etwa durch Hinweise auf seinen Durchhalteartikel. Wer es dennoch tut, wird gebeten, ihn in Ruhe zu lassen. So schrieb Fernau im Januar 1959 an den Hamburger Senator a. D. Ascan Klée-Gobert, der in einem Leserbrief an die »Welt« auf Fernaus Vergangenheit verwiesen hatte: »Und nun möchte ich Sie um den geringen Anstand bitten, mich in Ruhe zu lassen.« Und im Februar dieses Jahres an Professor Wapnewski: »Und nun möchte ich Sie um den geringen Anstand bitten, mich in Ruhe zu lassen.« Zusatz 1967: »Deutschland gehört Ihnen nicht privat.«

Doch es hilft dem Joachim Fernau alles nichts: Seine Ruhe ist hin, seit Wapnewskis Kritik an Fernaus »Sieg«-Artikel und an seinem Nachkriegs-Schaffen -- und seitdem darum gestritten wird, wem Fernau gehört:

Um des einstigen SS-Schreibers Oeuvre, in dem der Germanist Wapnewski »Unbildung«, »schauderhaften Geschmack«, »Instinktlosigkeit« und »Geschichtsfälschung« entdeckte, prozessieren seit kurzem der Münchner (ehemals Berliner) Herbig- und der Düsseldorfer Econ-Verlag.

Erster Friedensgewinnler an Fernau-Werken war der Stalling Verlag in Oldenburg gewesen. Fernau veröffentlichte dort 1952 eine Geschichte Deutschlands »Von Arminius bis Adenauer« (Untertitel): »Deutschland, Deutschland über alles ...«

Zum erstenmal bewährte sich Fernaus Erfolgsformel: Geschichte, wie »am Kamin bei einem Glase Wein« (Fernau) verplaudert, plus Pflege deutscher Sentiments und Ressentiments.

Fernau in »Deutschland, Deutschland ...« über den Ausbruch des Ost-West-Konflikts nach 1945: »Haß und Feindschaft trennten binnen kurzem die Sieger. Welch interessante Tatsache! ... Heute brennt die Welt wieder an allen Ecken und Enden, ohne uns. Da stimmt doch etwas nicht? Nicht doch, nicht doch, meine Lieben! Das stimmt alles tadellos ... Man hat den Falschen, Deutschland, beerdigt ...«

Das laut Fernau-Vorspruch »in Liebe zu Deutschland und Sorge um Europa« verfaßte Werk erreichte bis heute zehn Auflagen von zusammen 74 000 Exemplaren.

Es folgte, 1953, ein Buch über »Die Genies der Deutschen und die Welt von morgen« (Untertitel): » Abschied von den Genies«. Fernau beklagt darin nicht nur, daß »kein Dichter ... mehr für uns Deutsche ein Goethe werden« wird; er bedauert auch, daß Albert Einstein »sich leider dazu verführen (ließ), sich politisch zu exponieren. Er ist Pazifist durch und durch. Er ist Demokrat. Er ist Zionist ...«

Ein Jahr später warf der Ex-Kriegsberichter gleich zwei Bücher auf den Markt: einen heroischen Kriegs-»Bericht von der Furchtbarkeit und Größe der Männer« und -- unter dem Pseudonym »John Forster« -- einen heiteren Band mit Flucht-Abenteuern deutscher Kriegsgefangener, »Heldentum nach Ladenschluß«.

Auch dieses (später verfilmte) Schmunzelbuch ist nicht ohne ernsten Hintersinn. Vorwort: »Die Ausbrüche, die diese Chronik erzählt, waren der Protest eines ganzen Volkes gegen ein Unrecht.«

1958 warb der Berliner Verleger Walter Kahnert den fruchtbaren Stalling-Autor für seinen Herbig-Verlag ab. Und nun begann der Aufstieg Fernaus zum Bestseller-Brüter:

> »Und sie schämeten sich nicht« (1958), eine Fernau-Fibel über das Liebesleben der Deutschen, erreichte eine Auflage von 140 000 Exemplaren;

> »Rosen für Apoll« (1961), ein Geschichtsfeuilleton über die alten Griechen, kam auf 190 000;

> »Disteln für Hagen« (1966), eine als »Bestandsaufnahme der deutschen Seele« (Untertitel) verschmockte Nacherzählung des Nibelungenliedes, wurde zum Dauerseller dieser Saison: Das Buch, in dem Fernau seinen »lieben« Lesern verheißt, daß Hitler »ein Mythos« werden wird, und in dem er die Deutschen ermuntert, sich der »schrecklichen Zutaten« ihres Wesens nicht länger zu schämen, steht seit 33 Wochen auf der SPIEGEL-Bestsellerliste. Auflage bis jetzt: 60 000.

Neben diesen großen Drei fielen kleinere Fernau-Erfolge wie der Roman »Die jungen Männer« (Auflage: 26 000) oder auch Mißerfolge wie das Lyrik-Bändchen »Suite Nr. 1« kaum ins Gewicht. Mit dem Gedichtband hatte Fernau den modernistischen »Mördern der deutschen Lyrik einen Kartätschenschuß nachsenden« wollen

der Lyriker Fernau, so rezensierte die »Deutsche Zeitung«, »hätte doch lieber zur Artillerie gehen sollen«.

Der Erfolgsautor konnte außer Landes gehen: Fernau, der eine Zweitwohnung in München besitzt, bezog eine Kunst-volle Villa in Florenz.

Und er konnte seinem Verleger gegenüber als starker Mann auftreten: Fernau kassierte Herbigs höchste Tantiemen-Prozente; er setzte durch, daß Herbig zweimal hintereinander ein Fernau-Werk in die verkaufsintensive Reihe »Bücher der Neunzehn« einbrachte.

Und er setzte ebenfalls durch, daß ihm nicht genehme Zeitungen und Zeitschriften keine Rezensions-Exemplare von Fernau-Büchern erhielten. Auf der Schwarzen Liste, die Herbig führen mußte, standen der SPIEGEL, »Die Zeit«, die »Frankfurter Allgemeine«, die »Süddeutsche Zeitung« sowie »Christ und Welt« -- der »Sieg«-Artikler und Autor »stiller Bestseller« (Stalling-Reklame) wollte seine Ruhe haben.

Die Unruhe begann nach dem Tod des Herbig-Inhabers Kahnert und der Übernahme des Herbig-Verlags durch den Münchner Südwest Verlag, im November 1965. Fernau ließ in den Vertrag über seine »Disteln für Hagen« einen Paragraphen aufnehmen, der die »Disteln«-Rechte exklusiv an die Person und Position des damaligen Herbig-Verlagsleiters Hans-Karl Konheiser band; sollte Konheiser ausscheiden, werde Fernau »die Rechte nicht nur dieses Buches, sondern auch seiner anderen bei Herbig ... verlegten Bücher uneingeschränkt« zurückerhalten.

1966 gab der Südwest Verlag den Herbig-Verlag an den Münchner Multi-Verleger Herbert Fleissner (Bogen, Klinger, Amalthea, Langen-Müller) weiter. Konheiser schied aus. Fernau bestand auf seinem Paragraphen, rief die »Disteln« und sämtliche früheren Herbig-Fernaus ab und nahm Verhandlungen mit anderen Verlagen auf.

Er stieß auf starkes Interesse. Der Hamburger Hoffmann und Campe Verlag zum Beispiel (ein Verlagssprecher: »Fernaus großer Leserkreis geht quer durch alle Bevölkerungsschichten") bot 10 000 Mark Vorschuß für ein neues Fernau-Werk und unterbreitete bereits einen Vertrag. Doch es kam nicht zum Abschluß: Fernau wurde mit dem Herrn des Düsseldorfer Econ-Verlags, Erwin Barth von Wehrenalp, handelseinig. Econ begann eigene »Disteln« zu drucken.

Nun brach, im März dieses Jahres. ein multilateraler Rechtsstreit um den Bestseller-Schreiber aus.

Der Herbig-Verlag, dessen neue Herren nichts von der Konheiser-Klausel gewußt hatten, focht diesen Paragraphen vor einem Berliner Gericht als »Verstoß gegen die guten Sitten« an. Herbig besteht auf seinem »Disteln« -Recht und will Econ den »Disteln«-Druck verbieten lassen. Fernau wiederum will per Einstweiliger Verfügung die weitere »Disteln«-Verbreitung durch Herbig unterbinden.

Einsprüche und Berufungen sowie weitere Klagen und Gegenklagen strecken und komplizieren den Fernau-Fall. Endgültige Urteile stehen aus. Aber in der letzten Woche wurden neue Tatsachen geschaffen:

Econ-Verleger Wehrenalp, der nach Professor Wapnewskis vernichtendem Fernau-Verriß Anwandlungen von Unsicherheit gezeigt hatte (Wehrenalp: »Ich recherchiere jetzt erst mal, was damals mit diesem Fernau-Artikel wirklich los war"), annoncierte im »Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel": »Ab sofort wird das Buch von Joachim Fernau »Disteln für Hagen' vom Econ-Verlag ausgeliefert. Wir bitten das Sortiment, alle Bestellungen auf diesen Fernau-Titel nur noch an den Econ-Verlag zu richten.«

Gleichzeitig kam ein Econ-Brief an den SPIEGEL: »"Disteln für Hagen« steht seit Monaten auf der Bestseller-Liste... Dürfen wir Sie freundlichst bitten, ab sofort als Verlag Econ anzugeben. Das Buch wird seit einigen Tagen von uns ausgeliefert und sämtliche Rechte liegen bei uns.«

Eine Anfrage beim Herbig- Verlag ergab: Das Buch wird, nach wie vor, auch von Herbig ausgeliefert. Herbig-Verlagsleiter Klaus P. Rogner: »Wir werden im Börsenblatt gegen Econs Alleingang Stellung nehmen.«

Auf der SPIEGEL-Bestsellerliste (siehe Seite 159) wird Joachim Fernaus »Bestandsaufnahme der deutschen Seele« in dieser Woche ohne Verlagsangabe registriert.

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