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Fernsehen / Telemann OFFIZIERSUNTERRICHT

aus DER SPIEGEL 7/1963

Er wollte niemanden kränken, der Generalinspekteur der Bundeswehr. Er wollte nur auf gut tagesbefehldeutsch verbreitet wissen:

Das Fernsehspiel »Stalingrad« des Brecht-Schülers Claus Hubalek, nach dem gleichnamigen Roman des »damaligen kommunistischen Schriftstellers« Theodor Plievier, zeige ein »erfundenes Bild des Geschehens«, entrate jedweder »Absicht durchgehender Wahrhaftigkeit« und besorge Ost-Propagandageschäfte, indem es den »Kampf auch in aussichtsloser Lage bis zum Letzten: eine Forderung an den Soldaten, die zu allen Zeiten und auch in Zukunft gilt«, als verbrecherisch brandmarke.

Solchen Fingerzeig »im Rahmen der Truppeninformation« hielt Friedrich Foertsch für geboten, weil er - vor der Sendung - das Drehbuch hatte generalinspizieren und aus dessen knäckebrotsprödem Dialog mancherlei Ungedeih herauslesen lassen.

Da war vom »Gehorsam wider Wissen und Gewissen« die Rede. Da wurden Generale als »Lieferanten von Leichen«, schlimmer, als hasenherzige Jawohl-Sager angeprangert. Da wurde der Untergang der 6. Armee nicht aus der Einerseits-andererseits-Perspektive des Kriegshistorikers, sondern aus der simplen Sicht des Landsers dargestellt; lauter Dinge, die einen Generalinspekteur in den Harnisch jagen.

In einem hat General Foertsch gewiß recht: Soldatischer Gehorsam kann niemals bedingter Gehorsam sein. Würde es Untergebenen aller Dienstgrade gefahrlos freistehen, zweifelhafte Befehle zu verweigern käme noch nicht einmal jeder Große Zapfenstreich zustande.

Aber wie es, laut Eugen Kogon, die »produktive Utopie der modernen Demokratie« gibt, jenes mitunter nützliche Dafürhalten, daß, wer da wähle und Steuern zahle, auch über die Geschicke seines Staates bestimmen könne, so sollte dem Bürger in Uniform stets der Hoffnungsfunke innewohnen, daß ihm und seinen Vorgesetzten im Verteidigungsfall kein blinder, sondern höchstens ein argwöhnisch blinzelnder Gehorsam abverlangt werde. Möchte er sich schließlich, wenn er schon eines Hiroshima gewärtig sein muß, ein neues Stalingrad ersparen.

Foertsch hat ihm solche Illusion zerstört. Statt den heiklen Gegenstand auf Zehenspitzen zu umschleichen, trampelte er, durch die »Links-Clique beim Fernsehen« ("Bild«-Zeitung) nervös gemacht, einen Flamenco.

Mehr noch freilich als die Frage der Gehorsamspflicht scheint Friedrich Foertsch die Art gequält zu haben, in der das Fernsehspiel mit der Stalingrader Führerschaft umsprang.

Welchen Eindruck muß es in einem jungen Soldaten erwecken, wenn da hohe Offiziere gezeigt werden, die von ihrem Oberbefehlshaber als von einem »hergelaufenen Lumpenkerl« sprechen, dem sie »immer ganz erhebliche Schwierigkeiten gemacht haben«, die aber zu beschränkt oder zu feige sind, erkennbarem Wahnwitz ein Ende zu bereiten?

Den historisch richtigen Eindruck; denselben, den der TV-Reporter Jürgen Neven-duMont gewann, als er bei der Vorbereitung seiner

- von Foertsch gelobten - Stalingrad -

Dokumentation mit Überlebenden der Paulus-Armee Zwiesprache hielt (1. Februar, Erstes Programm). Klammere man, sagte er mir, die Generale Hoth und von Seydlitz aus, besitze Hubaleks »erfundenes« Jammerbild beträchtlichen Wahrheitsgehalt.

Das Spiel »Stalingrad«, kein Zweifel, kann einer deutschen Generalität so wenig gefallen wie dem Volkswartbund ein Striptease. Aber darf das für den höchsten Offizier der Bundeswehr Anlaß sein, sich als politischer Seelsorger zu gebärden?

Ist es schon ärgerlich, daß die Führer unserer demokratischen »Feuerwehr« ihre Berufserfahrung bei einem Brandstifter sammeln mußten, so ist es gewiß noch ärgerlicher und zudem unangebrachte Kasino-Kameraderie, wenn literarische Hinweise auf diese Hilfsbrandstifter-Vergangenheit als kommunistische Propaganda abgetan werden. Beschämend jedoch ist es, jungen Bundeswehrdeutschen, die in den Volks- und Mittelschulen schon wenig genug über unsere jüngste Vergangenheit erfahren haben, nun, in der »Schule der Nation«, auch noch Offiziersunterricht im Schönsehen zu erteilen.

Für den Fall, daß am nächsten Stalingrad-Gedenktag noch derselbe Generalinspekteur doziert, sei ihm als Truppenlektion zum Thema »Gehorsam« nachstehende Anekdote empfohlen. Sie gibt über die Möglichkeiten und Grenzen militärischer Zivil-Courage erschöpfend Auskunft:

Als in der Schlacht bei Zorndorf (1758) der Reitergeneral Friedrich Wilhelm von Seydlitz, ein Vorfahr des vielumhaderten Stalingrad-Offiziers, befehlswidrig mit der Attacke zögerte, ließ ihm der König durch seinen Adjutanten ausrichten, falls die Schlacht verlorengehe, stehe er, Seydlitz, mit seinem Kopf dafür.

Drauf der Vorfahr: »Sagen Sie dem König, nach der Schlacht kann er über meinen Kopf verfügen. Während der Schlacht aber möchte ich ihn zu seinem Vorteil selbst benützen!«

Die Bataille wurde gewonnen.

telemann
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