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SPIEGEL Gespräch Ohne »Amadeus« keine »Penthesilea«

Generalintendant Boy Gobert über Erfolg, Kritik und die Berliner Theatersituation
Von Urs Jenny
aus DER SPIEGEL 40/1983

SPIEGEL: Herr Gobert, am vorletzten Tag der vergangenen Spielzeit, am 29. Juni, wurde Ihnen mitgeteilt, daß Ihr Vertrag als Generalintendant nicht verlängert wird. Waren Sie sehr überrascht?

GOBERT: Ja.

SPIEGEL: Und wie erklären Sie sich diesen jähen Entschluß des Berliner Kultursenators?

GOBERT: Den kann ich mir nicht erklären. Sonst wäre ich ja nicht so überrascht gewesen. Sie müssen sich erinnern, daß der jetzige Kultursenator im neuen Berliner CDU-Senat schon der zweite und erst seit Mitte März im Amt ist. Damals, beim Besuch der »Balkon«-Premiere im Schiller-Theater, hat er mir - wohl eher scherzhaft - gesagt, das sei seine »erste Amtshandlung«. Und er hat mir auch gesagt, daß er in seiner Zeit als Umwelt-Senator noch weniger als früher ins Theater gekommen sei - und früher sei das auch nicht so furchtbar oft gewesen. Daraus entnahm ich, daß ihm die neue Materie noch nicht unter der Haut saß.

SPIEGEL: Aber dann haben Sie doch wochenlang mit dem neuen Senator, Volker Hassemer, über die Verlängerung Ihres Vertrages verhandelt, und allgemein nahm man an, die Sache sei quasi entschieden.

GOBERT: Offenbar war es nicht so. Natürlich ist mir in diesen Gesprächen mit Herrn Hassemer klargeworden, daß ich ihm, aus welchen Gründen auch immer, nicht so ganz gefalle. Ich bin nur nie dahintergekommen, was es denn eigentlich ist. Es wäre mir leichter gewesen, wenn mein Partner gesagt hätte: »Das hat mir gefallen, aber das und das finde ich nicht so gut, warum machen Sie das nicht anders?«

Wenn man aber seit drei Jahren in einer Stadt arbeitet und schon einiges vorgezeigt hat, ist es schwer, wenn man demjenigen, der nun darüber entscheidet, diese dreijährige Arbeit erst erzählen und erklären muß.

SPIEGEL: Sie hatten also das Gefühl, daß nun jemand politisch über die Zukunft des Schiller-Theaters und Ihre Zukunft entscheidet, der nichts von dem, was Sie gemacht haben, gesehen hat?

GOBERT: Ja. Jedenfalls kaum etwas. Ich glaube, das könnte man belegen. Wenn ich noch mal zurückerinnern darf: Ich bin ja von einem SPD-geführten Senat geholt worden und hatte mit dem damaligen Kultursenator Sauberzweig einen Partner, mit dem ich mich über die besonderen Schwierigkeiten dieses Betriebs verständigen konnte.

SPIEGEL: Welches sind denn die Schwierigkeiten? Ist es die reine Größe, die den Apparat unhandlich und schwer macht? Oder das überalterte Ensemble?

GOBERT: Es gibt drei Punkte, die hier schwierig sind, darauf habe ich von Anfang an hingewiesen, und das hat Herr Sauberzweig verstanden: der Etat für Schauspieler, Regisseure, Bühnenbildner, der Etat für die Ausstattung und der Etat für die Werbung.

Für die Werbung hatte mir Herr Sauberzweig gleich mehr Geld zugesagt. Nur wußten wir nicht, daß hier in Berlin auch der sogenannte Geschäftsbedarf zum Werbeetat gehört, also die Büroklammern, Briefpapier usw. - und so war dieses Geld mit den steigenden Papierkosten gleich wieder weg.

Ich will damit sagen: Wenn wir weiter zusammengearbeitet hätten, hätte Herr Sauberzweig, da er mich geholt hat, diese Punkte auch immer mit verteidigt, weil er die Probleme ja kannte. Nun kam der Regierungswechsel, und der erste neue Kultursenator, Herr Kevenig, hat - ich will das mal vorsichtig ausdrücken - diese Problematik anderer Themen wegen erst mal nach hinten gedrängt, bis plötzlich der Eklat da war.

SPIEGEL: Sie meinen, die Aufregung darüber, im letzten Herbst, daß Sie Ihren Etat überzogen hätten?

GOBERT: Ja, es trat ein, was ich immer vorausgesagt hatte, und plötzlich wurde mir das als Etat-Überziehung vorgeworfen. Und wenn der SPIEGEL _(In seinem Büro im Schiller-Theater mit ) _(den Redakteuren Urs Jenny und Hellmuth ) _(Karasek. )

schrieb, ich hätte so um flotte acht Prozent überzogen, war das natürlich auch etwas flott geschrieben: Man sprach nur von den Mehrausgaben, auf die ich immer hingewiesen hatte, aber nicht von den Einnahmesteigerungen.

SPIEGEL: Sie galten in Hamburg als Etatkünstler. Hängen die Berliner Finanzschwierigkeiten mit der Struktur des Großbetriebs »Staatliche Schauspielbühnen« zusammen? Müßte man sie ändern?

GOBERT: Zum Teil sicher. In Hamburg waren wir darin Weltmeister, weil die Rechtsform der Hamburger Staatstheater die GmbH ist. Das hat Vorteile: Wenn der Etat verabschiedet ist, weiß man, was man hat, und kann innerhalb dieses Etats seinem wirtschaftlichen und künstlerischen Verständnis nach schnell handeln. Hier hingegen ist es kameralistisch, jeder einzelne Posten ist festgeschrieben. Und die Mehreinnahmen, die wir in Hamburg immer wieder, wenn wir etwas Publikumsscharfes, Attraktives gemacht hatten, für Experimente oder für die schweren Sachen verwenden konnten ...

SPIEGEL: Das geht in Berlin nicht?

GOBERT: Hier gehen die Einnahmen automatisch in die Staatskasse, und nie spricht jemand darüber. In der ganzen Diskussion um die Etat-Überziehung ist außer von mir nie von den Einnahmen gesprochen worden, die wir ja ganz zweifelsohne gesteigert haben.

SPIEGEL: Dennoch: Ein Laie wird schwer begreifen, daß Ihnen als Leiter des größten deutschen Schauspielbetriebs mit einer jährlichen Subvention von 27 Millionen Mark eine Etat-Überschreitung um rund acht Prozent gewissermaßen von Anfang an unvermeidlich erschien.

GOBERT: Das geht nun weit in die Geschichte des Schiller-Theaters zurück. Sie wissen, daß Boleslaw Barlog hier 26 Jahre Intendant war, eine bewundernswert lange Zeit. Er hat nicht nur das Ensemble aufgebaut, sondern es sind viele Schauspieler schon während seiner Intendanz unkündbar geworden. Das sind keine schlechten Schauspieler - das ist gar nicht die Frage, es sind zum Teil ganz wunderbare Schauspieler -, aber sie spielen natürlich nicht mehr die Rollen, für die sie damals engagiert wurden, sie spielen altersbedingt auch nicht mehr so viel, ihre Gagen jedoch sind mit den Jahren, den Jahrzehnten durch die Automatik der Tariferhöhungen in Höhen geklettert, die mit den Gagen von jüngeren, neu engagierten Protagonisten nicht mehr in Einklang zu bringen sind.

Zu dieser Gruppe von 27 Unkündbaren kommen zehn Schauspieler hinzu, die über 65 Jahre alt sind, die man aber keinesfalls in Pension schicken möchte, weil es die großen Namen des Berliner Theaters sind: Held, Minetti, Berta Drews, Schellow, Raddatz, der ja jetzt von sich aus das Engagement verlassen hat, und noch ein paar andere. Diese Gruppe von insgesamt 37 älteren Schauspielern bindet von den 11,6 Etatmillionen für das künstlerische Personal eine Summe von 3,6 Millionen, über die überhaupt nicht zu reden ist.

SPIEGEL: Also annähernd ein Drittel des künstlerischen Etats.

GOBERT: Ja, und daß das ein kaum lösbares Problem ist, war dem SPD-Senator klar, der mich geholt hat. Es wurde sogar als Problem in meinem Vertrag genannt, und es ist der Hauptgrund für die Etat-Überschreitung.

SPIEGEL: Aber der Hauptgrund dafür, daß die CDU Ihren Vertrag nicht verlängert hat, sind doch wohl nicht die Etat-Schwierigkeiten. Es hat offenbar eine gewisse Enttäuschung stattgefunden, ein gewisser Stimmungsumschlag in der Öffentlichkeit ...

GOBERT: Also das ist nun wirklich ganz falsch. Die Haltung der Öffentlichkeit - wenn Sie mal die Kritik ausnehmen - hat sich überhaupt nicht verändert, sonst hätten wir doch nicht solche Zuschauerzahlen. Das Betrübliche oder Typische ist, wie immer: Das Publikum wird in so einem Fall nicht gefragt. Sie müßten die Stapel von Briefen, von Entsetzensschreiben sehen, die ich erhalten habe - die Öffentlichkeit in Berlin steht, glaube ich, ganz woanders als die Politiker.

SPIEGEL: Sie sagen, wir sollten die Kritik mal ausnehmen. Aber das ist doch auch eine Öffentlichkeit, und sie hat Rückwirkung auf die Politiker. Ist nicht in den Medien, in der Presse, der Berliner wie der überregionalen, eine Art Stimmungsumschlag erfolgt?

GOBERT: Das ist auch falsch. Einen Stimmungsumschlag bei der »FAZ« oder der »Frankfurter Rundschau«, vielleicht auch beim SPIEGEL, den hat es doch nie gegeben, die waren doch von Anfang an gegen mich. Den Umschwung, den Sie meinen, könnte es vielleicht in den von Ihnen nicht so sehr geschätzten Springer-Blättern gegeben haben. Aber dazu muß man sagen: Selbst in Hamburg war es mehr eine Mär, daß die Springer-Blätter meine absoluten Liebhaber seien. Da habe ich auch immer wieder ordentlich einen draufgekriegt.

SPIEGEL: Hatten Sie selbst nicht manchmal das Gefühl, ein solcher Schauspielbetrieb mit insgesamt etwa 650 Mitarbeitern - in der Größe nur mit dem Wiener Burgtheater vergleichbar - sei etwas Mammuthaftes, etwas kaum noch Regierbares?

GOBERT: Als mein Vorgänger Hans Lietzau hier weggegangen ist, hat er in einem sehr klugen und sehr deprimierenden Interview gesagt, daß diese Art Staatstheater nicht mehr möglich sei. Vielleicht hat er auch nicht unrecht - nur eine Lösung, wie man das anders machen kann, ist noch niemandem eingefallen. Die Frage hieße: Wie soll eigentlich _(Mit Elisabeth Trissenaar und Bernhard ) _(Minetti. )

das Theater der Zukunft aussehen? Damit, daß man die paar Großbetriebe, die es im Schauspiel gibt, plötzlich verkleinert, ist ja noch nichts getan. Da müßte man schon großgedanklich, großräumig ein ganz anderes Theater-Konzept entwickeln.

Und deswegen komme ich auf Ihre Anfangsfrage zurück. Ich habe geglaubt, bei einem Betrieb von dieser Größe, mit diesen Schwierigkeiten und mit den besonderen Belastungen, von denen wir geredet haben, müßte auch dem Kultursenator klar sein: Zwei Jahre braucht man, um das organisatorisch in den Griff zu kriegen und Verbesserungen einzuleiten. Dann kommt eine Zeit der Konsolidierung, und jetzt würde eigentlich die künstlerische Ernte aus dem, was wir bisher gemacht haben, einsetzen. Und in diesem Moment die Arbeit abzuwürgen und jemanden Neues dranzulassen, der das Ganze wieder von vorn anfangen muß und noch weniger erfahren ist in der Behandlung eines solchen Betriebes - diese Kühnheit habe ich nicht für möglich gehalten. Und deswegen war ich überrascht.

SPIEGEL: Das hat ja kaum jemand für möglich gehalten.

GOBERT: Wenn mein Nachfolger das in der Tat so hinkriegt, wie der Senator hofft, dann hat er als Kulturpolitiker sicher die deutsche Zwölf geschossen. Aber das alles kann sich ja frühestens in drei Jahren herausstellen - zwei Jahre haben wir ja noch vor uns, und dann muß mein Nachfolger zeigen, wie er die Sache anpackt.

SPIEGEL: Sie sind unter den Intendanten der großen deutschen Schauspielhäuser der einzige, der den von Ihrem Vorbild Gustaf Gründgens geprägten Typus verkörpert: den Intendanten, der auf allen Hochzeiten tanzt - Schauspieler, Regisseur und Chef des Theaters. Ist das nicht einfach doch zuviel?

GOBERT: Das kann man nur ganz individuell entscheiden. Zunächst einmal: Ich bin mit einem jahrelang erprobten, ausgebufften Team hierhergekommen. Und mit all den Hochzeiten, auf denen man angeblich tanzt, das ist ja auch nicht so gewaltig. In den 14 Jahren, die ich jetzt Intendant bin, habe ich 16 oder 17 Rollen gespielt, wobei kleinere Sachen mitgezählt sind. Das heißt, wenn man es über den Daumen peilt, habe ich pro Jahr eine Rolle gespielt. Für einen Schauspieler meiner Qualität und meines heutigen Ranges - wenn ich das mal kühn sagen darf - ist das furchtbar wenig.

Herr Reichmann, Herr Lohner, Herr Benrath, oder wie sie alle heißen, mit denen ich mich gerne messen möchte, weil ich sie so toll finde, spielen pro Jahr mindestens zwei große Rollen, dazu einen Film, ein Fernsehen oder zwei; sie sind ganz anders ausgelastet.

SPIEGEL: Also steht doch der Intendant Boy Gobert dem Schauspieler Boy Gobert im Weg?

GOBERT: Natürlich muß man bei jeder Rolle nachdenken: Lohnt sich das, wenn das die einzige Rolle in der Spielzeit ist? Der fröhliche Quatsch, den man auch mal gern machen würde, oder etwas Ausgefallenes, das einen künstlerisch noch weiter bringt - das kommt zu kurz. Aber ich habe mich für diesen Weg entschieden, und ich könnte nicht, jedenfalls zeitweise, ein fröhlicher, positiver und frischer Intendant sein, wenn ich nicht auch spielen würde. Für einen Theatermenschen meiner Art ist dieser Kontakt mit dem Publikum ungeheuer wichtig.

SPIEGEL: Und wie kommt der Regisseur Boy Gobert zwischen dem Intendanten und dem Schauspieler zurecht?

GOBERT: Ich inszeniere nur einmal im Jahr, und ich inszeniere eigentlich immer nur, was mir gemäß ist. Ich bin ja sicher nicht einer von den Regisseuren, die die Theater-Ästhetik neu formen oder richtungweisende Impulse für die Zukunft geben. Ich meine, ich bin einer von den Regisseuren, die auch ungeheuer wichtig für das Theater sind: Regisseure - wie etwa Hans Schweikart, von dem ich ungeheuer viel gelernt habe -, die aus ihrem Wissen und ihrer Berufserfahrung die Schauspieler dazu führen können, das Werk eines Autors in meinen Augen gültig zu interpretieren.

Die großen Regisseure sind nicht unbedingt die besten Intendanten. Ja, wenn Claus Peymann mein Nachfolger geworden wäre - das hätte ich verstanden und in gewissem Sinne respektiert. Aber manche Leute hier in Berlin wollten Hans Neuenfels an meiner Stelle sehen - und das könnte ich mir nicht vorstellen. Dieser Mann arbeitet wie ein Besessener 10, 12, 14 oder, wenn es ihm schlecht geht, auch nur drei Stunden am Tag an seiner Inszenierung. Wenn nun der Herr Neuenfels selber Intendant wäre, könnte er ja nicht mehr jeden dritten Tag mit Abbruch der Proben drohen - das könnte er dann nur sich selber erzählen.

Und wie um Gottes willen soll er noch wissen, was der Personalrat will, ob die Überstunden genehmigt werden sollen, ob Fräulein Piesepampel einen Fernsehurlaub hat oder ob es im Salzburger Mozarteum guten Nachwuchs gibt? Das kann jemand wie er doch gar nicht schaffen.

SPIEGEL: Auch Sie werden, wenn Sie nun auf diese drei Jahre Berlin zurückschauen, wissen, daß manches nicht geworden ist, wie Sie es sich erhofft hatten.

GOBERT: Selbstverständlich.

SPIEGEL: Woran liegt das? Wie mächtig, wie ohnmächtig fühlt man sich als Intendant des größten deutschen Schauspielhauses? Wieviel von dem, was man gern möchte, kann man verwirklichen?

GOBERT: Sicher konnten wir in den ersten zwei Jahren viel weniger von dem

verwirklichen, was wir vorhatten, als wahrscheinlich von jetzt an, weil wir nun den Betrieb kennen. Bedenken Sie, hier war ein Ensemble mit verklärten Erinnerungen, und eigentlich haben alle erwartet, daß ich vom ersten Tag an wieder die herrlichen Barlog-Zeiten aufleben lasse. Das kann natürlich niemand. Aber es bedeutet, daß man viele sehr wichtige Leute erst nach und nach für sich gewinnen konnte. Und bei manchen ist es mir nicht gelungen, das muß man auch sagen.

Aber ein Intendant eines so großen Betriebes kann nicht von allen geliebt werden. Die Verklärung kommt immer erst hinterher. Neulich bei einer Premiere habe ich beobachtet, wie man den damals so angefeindeten Lietzau schon jetzt ganz entzückend behandelt und ihn gar nicht genug streicheln kann - da mache ich mir doch Hoffnung, so 1988 bin ich dran mit dem Geliebtwerden.

SPIEGEL: Wie geht das denn, ein Ensemble für sich zu gewinnen?

GOBERT: Nehmen wir meine Inszenierung von »Der Hauptmann von Köpenick« - da wurde mir eifrig vorgeworfen, daß ich so etwas mache. Und ich bin ganz verdutzt, daß niemand erkennt, daß ich da die Chance hatte, mit 44 Schauspielern des Ensembles zu arbeiten, und daß es für einen Intendanten irrsinnig wichtig ist, auf diese Weise einen Kontakt herzustellen, denn in der Arbeit ist das doch immer viel leichter als über den Schreibtisch. Von solchen Ensemble-Erfahrungen her würde ich denken, daß man jetzt viel, viel weniger Enttäuschungen erleben würde als in der Anfangszeit.

SPIEGEL: Ein Angriffspunkt der Kritik war immer wieder, daß bei Ihnen selten, zu selten bedeutende Regisseure gearbeitet haben.

GOBERT: Das gibt es in der Tat. Ein großes Problem. Aber um nur die begehrtesten zu nennen, Sie wissen doch selbst: Herr Peymann, Herr Flimm, Herr Dorn, Herr Dresen, Herr Rudolph - die haben alle inzwischen ihr eigenes Theater und haben da genug zu tun. Und nun kommt hinzu, daß eine Reihe der bedeutendsten Regisseure hier in West-Berlin nicht inszenieren dürfen, weil sie DDR-Bürger sind. Also Herr Gosch, Herr Dresen, Herr Tragelehn, Herr Karge, Herr Langhoff - die dürfen hier nicht arbeiten.

SPIEGEL: Wird das von der DDR verhindert?

GOBERT: Das weiß der SPIEGEL nicht? Sonst wären wir doch ganz anders dran. Dennoch, im Laufe dieser drei Jahre, wo man viel ausprobiert hat, ist doch manches gelungen. Ich finde es wunderbar, daß Ernst Wendt hier jedes Jahr eine Inszenierung macht und das auch weitermacht, solange ich Intendant bin.

Und ich freue mich, daß ich Hans Hollmann habe, und spiele wieder unter

seiner Regie, dieses Jahr »Das weite Land« von Schnitzler.

SPIEGEL: Und Sie hatten, solange er noch Theater machte, Hans Neuenfels.

GOBERT: Ich habe Neuenfels nach Berlin gebracht, der hatte nie im Leben in Berlin inszeniert. Ich habe die Freiräume geschaffen, daß er hier diese großen Inszenierungen machen konnte. Wenn Sie mich fragen, warum man eigentlich Lust hat, Intendant zu sein, würde ich sagen: Das macht Spaß, großen Leuten die Freiräume zu schaffen, daß sie so arbeiten können, wie sie möchten. Und um auch daran zu erinnern: Immerhin habe ich hier die große Zadek-Aufführung »Jeder stirbt für sich allein« möglich gemacht - in einem Moment, wo es euch vom SPIEGEL mit euren Freunden nicht gelungen war, Zadek auf den Intendantensessel des Hamburger Schauspielhauses zu hieven - was mir damals übrigens sehr gefallen hätte.

SPIEGEL: Um beim Thema zu bleiben: Ihnen ist es nicht gelungen, manche Regisseure, die Sie gern gehabt hätten, nach Berlin zu holen?

GOBERT: Das gilt nicht nur für Regisseure. Es ist ein Berlin-Problem, das man mal bedenken müßte. Früher, als Berlin noch die Reichshauptstadt war, war es für einen Künstler selbstverständlich, daß Berlin das Ziel war und daß er dahin ging, wenn er ein Angebot bekam, ganz gleich, ob er am Tegernsee wohnte oder bei Zürich. Hier in Berlin wollte man sich mit der Konkurrenz messen und besser sein.

SPIEGEL: Ist das nicht immer noch eine Forderung, die man stellen könnte?

GOBERT: Die können Sie stellen, soviel Sie wollen. Manche prominenten Schauspieler kriegen Sie einfach nicht nach Berlin. Und ein Zuckerschlecken ist das Leben ja nicht in dieser eingeschlossenen Stadt, wo man täglich einmal auf die Mauer stößt. Da lebt man etwa in Hamburg - das weiß ich nun wirklich aus Erfahrung - gemütlicher. Mir gefällt das, mir gefällt dieses tägliche Ins-Bewußtsein-Bekommen, was wirklich auf der Welt los ist, aber viele Leute wollen das nicht täglich wissen.

Aber ich habe ja große Schauspieler nach Berlin verpflichtet: Elisabeth Trissenaar, Nicole Heesters, Elisabeth Rath, Angelica Domröse, Sabine Sinjen, Hermann Treusch, Joachim Bliese, Klaus Schwarzkopf, um nur einige zu nennen. Und inzwischen ist der Schauspieler ja wieder zentral in aller Munde, wie das Jahresheft von »Theater heute« beweist. Wenn der Schauspieler das Wichtigste am Theater ist, dann habe ich in Berlin eine große künstlerische Kraft aufbauen können.

Die Konkurrenz, den Leistungsvergleich, der früher auf den Berliner Bühnen stattfand, das besorgt ihr doch jetzt. Die Kritiker reisen als Schiedsrichter herum. Deswegen kann einer auch in Darmstadt oder sonstwo bleiben, wenn er da top ist, alles kriegt, was er will, und gut an der Weinstraße wohnt. Irgendwann kommt doch eine der Frankfurter Zeitungen hin und beschreibt, wie toll er ist. Wozu soll er da nach Berlin gehen?

SPIEGEL: Sie können doch nicht sagen, daß für neue Leute der Sprung nach Berlin nicht noch immer eine Chance ist?

GOBERT: Hier werden junge Regisseure oder neue Autoren doch sofort abgemäht. Wenn ich mit jemandem befreundet wäre, der Stücke schreibt und mir eines zur Uraufführung anbietet, würde ich sagen: »Bitte, versuche es doch woanders, ich möchte nicht, daß du hier gleich einen drüberkriegst.« _(Mit Elisabeth Trissenaar und Hermann ) _(Treusch. )

SPIEGEL: Sie übertreiben.

GOBERT: »Sehnsucht« von Gerhard Roth mag nicht das beste Stück der Welt sein, aber Gerhard Roth ist doch ein Autor, über den man sich mal unterhalten muß. Für diese Aufführung von einem jungen Regisseur jedoch, als Ensembleleistung ganz hervorragend, gleich in meinem ersten Jahr - da hat der Herr Roth einen drübergekriegt, daß er nie wieder ein Stück schreiben wollte. Das wird hier doch abgemäht, und der Regisseur auch.

Trotzdem: Ein paar tolle junge Regisseure habe ich regelmäßig nach Berlin locken können, wie Harald Clemen, Nicolas Brieger, Klaus Emmerich, Helmut Baumann.

SPIEGET: Wieso war und ist Ihr Verhältnis zum einen Teil der Öffentlichkeit, zur Kritik, so gespannt?

GOBERT: Eigentlich müßten Sie mir das erklären können. Das war immer so, vielleicht, denke ich mir, weil ich in eine Zeit hineinkam, als noch eine ganz andere Art von Theater diktiert wurde.

SPIEGEL: Kann man dieses Theater benennen?

GOBERT: Na ja, also ich habe 69 in Hamburg angefangen, kam aus Wien mit einem dort in zehn Jahren erworbenen Theaterverständnis, und das war damals nicht gefragt. Sie wissen, damals hat ein berühmter Kritiker, der heute auch wieder anders denkt, gesagt: »Es interessiert mich nicht, was einer kann, sondern mich interessiert das Parteibuch.« Oder so etwas. Damals wurde das Gesellschaftskritische gefordert, der soziologische Überbau, die Hinterfragung, die politische Aussage, das Anliegen - ist doch richtig, oder?

SPIEGEL: Ja, ungefähr.

GOBERT: Und da kam ich hinein und machte in Hamburg ein ganz anderes Theater. Ich hatte einen Riesenerfolg, aber ich wurde sofort zum Amüsieronkel von der Alster gestempelt: diese Abwertung, weil man Kunst und Kasse vereinen kann. Das Verständnis für die wirtschaftliche Seite des Theaters ist heute überall größer geworden. Damals ging es uns ja so gut. Sie wissen selber, es gab Theaterleute und auch Kritiker, die es wunderbar fanden, wenn das Theater leer war: »Es ist Wurscht, ob Leute kommen, wir selber müssen uns finden.«

Mit dieser Nabelbeschau hatte ich sehr wenig zu tun. Ich finde, Theater ohne Publikum hat keinen Sinn - das steckt mir im Blut, aus meiner Zeit an Privattheatern, wo ich wirklich nur Gage kriegte, wenn auch jemand kam. Ich habe gelesen, beim Catchen wird immer einer zum Buhmann erkoren. Das machen die Catcher selber, glaube ich, die legen vorher fest: In dem Turnier bist du der Buhmann.

SPIEGEL: Für wen sind Sie denn der Buhmann?

GOBERT: Na, für die Kritiker: der publikumsfreundliche Amüsieronkel. Ich war abgestempelt, da konnte ich in Hamburg Arrabal spielen oder »Luther und Münzer« oder was auch immer - das blieb so.

SPIEGEL: Und dieses Klischee sind Sie auch in Berlin nicht losgeworden?

GOBERT: Nein. Man wirft mir zum Beispiel - ich kann es schon gar nicht mehr hören - unentwegt vor, daß wir »Amadeus« spielen. Man behauptet, daß ich »Amadeus«, weil es öfter gespielt wird, mehr Zuneigung oder Zuwendung gebe als »Penthesilea«. Das kann doch nur ein ahnungsloser Laie schreiben oder denken. Denn »Amadeus« wird natürlich nicht die Zeiten überleben, aber es ist ein glänzendes Stück Theater. »Penthesilea« aber ist eine wunderbare Dichtung. Und wenn man »Penthesilea« mit Neuenfels macht, müßte jeder, der einigermaßen mal ins Theater hineingerochen hat, wissen, daß das ohne ein Übermaß an Zuwendung gar nicht realisierbar ist.

Die Zuwendung erfährt ja »Amadeus« nicht, weil ich es spiele, sondern weil es 70mal fast immer ausverkauft ist. Es wäre doch verbrecherisch von mir, einen solchen Erfolg abzuwürgen. Eine über vierstündige Aufführung von »Penthesilea« aber ist in Berlin nach 30 Vorstellungen leer, und schon 30 Vorstellungen sind viel in einem 1000-Platz-Theater, enorm viel für eine so schwierige Dichtung und eine so komplizierte, hochinteressante Aufführung - in einer Stadt, die durch ihre geographische und politische Lage immer mehr in die Bredouille gerät.

SPIEGEL: Ohne Entertainment kann also ein großes Haus wie das Schiller-Theater nicht überleben? Ohne »Amadeus« keine »Penthesilea«?

GOBERT: Ja. Oder ohne »Hauptmann von Köpenick« kein »Balkon«. Es ist doch so, daß das, was in genialen Köpfen ausgedacht wurde, auch einmal in die Binsen gehen kann. Bei der »Balkon«-Inszenierung von Neuenfels, obgleich Trissenaar, Minetti, Schellow, Treusch, Drews und und und gespielt haben, waren wir glücklich, wenn 200 Zuschauer im Haus waren. Manchmal wollten die Schauspieler nicht auf die Bühne gehen - dann mußte man sagen: Das ist unser Beruf, da muß man auch mal vor leerem Haus spielen. Das sind die hier schon gar nicht mehr gewohnt.

SPIEGEL: Finden Sie, wenn Sie auf nun 14 Intendantenjahre zurückschauen, daß das Theatermachen in dieser Zeit schwerer geworden ist? Und vielleicht fragwürdiger?

GOBERT: Vor vielen Jahren wurde ich mal von Zürich umworben. Da kam der Stadtpräsident von Zürich nach

Hamburg, zweimal. Ich war sehr erstaunt, weil ich das von einem Politiker noch nicht erlebt hatte, und fragte ihn: Warum? Da sagte er: »Schauen Sie, ich glaube, daß die Kultur und damit auch das Theater für die Kommunen etwas ungeheuer Wichtiges werden, weil sie einen Teil des immer größeren Freizeitbereiches ausfüllen müssen. Und darum müssen wir Politiker uns kümmern.«

Ich glaube, von dieser Sicht sind wir selbst oft noch weit weg, und erst recht unsere Politiker, die immer nur kleinkariert an den Subventionen herumstreichen. Inzwischen müßte doch jeder wissen, zwei Drittel des Etats schmausen nicht die Künstler auf und fahren damit nach Hawaii in Urlaub, sondern das sind tarifliche Kosten eines Betriebs. Wenn man dieses Haus schließt, sind die Schauspieler vielleicht noch am besten dran. Aber das sind 600 Arbeitsplätze, die dann weg wären.

Sehen Sie nach Frankreich: Da liest man in den Headlines immer, Frankreich steht vor der Pleite. Aber Herr Jack Lang streut sein Füllhorn über die Kultur aus. Das ist ja eine tolle Pleite, jedenfalls für die Kultur. Das Geld rauscht nur so in die Kultur.

SPIEGEL: Frankreich hatte da, gemessen an der Bundesrepublik, einen ziemlichen Nachholbedarf.

GOBERT: Deswegen muß man dies Politiker-Streichwesen, dieses kleinkarierte Denken der Kunst und Kultur gegenüber noch lange nicht gutheißen. Was nützt ein enormer Wehretat, wenn die Leute von innen wehrlos sind? Ich glaube, Theater muß nachdenklich machen, muß mahnen und muß hilfreich sein. Das ist eine große Aufgabe des Theaters für die Zukunft.

SPIEGEL: Wie werden Sie die beiden kommenden Spielzeiten in Berlin durchstehen, den Endpunkt immer vor Augen?

GOBERT: An sich sind wir doch beneidenswert dran und in einer Situation, die ich überhaupt noch nie erlebt habe. Ich brauche auf niemanden mehr Rücksicht zu nehmen: Wir können, obgleich eine Entwicklung radikal abgewürgt wurde, doch noch ein paar Sachen machen, zu denen wir wirklich Lust haben. Ich finde, der Senator und der nächste Intendant werden es schwerer haben in diesen zwei Jahren, denn sie sind in derselben Stadt: Sie stehen auf dem Prüfstand, ich nicht mehr.

SPIEGEL: Und wie sieht die Zukunft danach für Sie aus?

GOBERT: Ich für mich brauche mir gewiß keine Sorgen zu machen. Auch dieser Schock, der die Entscheidung des Senators für mich war, hat nicht so sehr mit meiner persönlichen Zukunft zu tun. Der eine Grund ist vielmehr: Man hat sich doch in 14 Jahren daran gewöhnt, verantwortungsvoll für andere zu denken, und es bedrückt mich, daß wohl ein Teil meiner Schauspieler, die ich hierher geholt habe, die Stadt wieder verlassen wird.

Der andere Grund für meine Betroffenheit ist, daß ich es wunderbar finde, hier zu leben. Dieses fast leidenschaftliche Engagement für Berlin, das ich selbst nicht erwartet hatte, ist auch politisch sehr ausgenutzt worden, und ich habe mich gern zur Verfügung gestellt: überall war ich der große Macker für die Kulturpolitik - noch zwei Tage, bevor ich abgeschossen wurde, in einem illustren Kreis für den Regierenden Bürgermeister. Daß das so abgewürgt wurde, hat mich tief getroffen. Um das zu überwinden, habe ich die Ferien gebraucht.

SPIEGEL: Aber jetzt wollen Sie sich diese letzten zwei Jahre mit aller Kraft behaupten?

GOBERT: Das bin ich mir schuldig. Neulich hat der Senator Hassemer zu mir gesagt: »Ich glaube Ihnen, daß Sie sich hier bis zum letzten Moment hundertprozentig einsetzen und nicht resignieren. Das werden Sie schon tun« - ich zitiere -, »um mir zu beweisen, was für ein Doofkopp ich bin.« Ende des Zitats.

Und da habe ich gesagt: »Genau das ist es.«

SPIEGEL: Herr Gobert, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
*KASTEN

Boy Gobert *

hat als Schauspieler, Regisseur und Intendant ab 1969 das Hamburger Thalia Theater auf Erfolgskurs gebracht. 1980 wurde er mit großen Hoffnungen als Generalintendant der Staatlichen Schauspielbühnen nach Berlin geholt. Nun hat der neue Berliner Kultursenator Volker Hassemer beschlossen, den Fünfjahresvertrag des 58jährigen nicht zu verlängern; sein Nachfolger wird der Intendant des privaten Berliner Renaissance-Theaters, Heribert Sasse, 38. Die Entscheidung des CDU-Senators ist bei der Opposition wie in der eigenen Partei auf deutliche Kritik gestoßen.

In seinem Büro im Schiller-Theater mit den Redakteuren Urs Jenny undHellmuth Karasek.Mit Elisabeth Trissenaar und Bernhard Minetti.Mit Elisabeth Trissenaar und Hermann Treusch.

Hellmuth Karasek
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