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RÄUBER-OPER Ohne Spiegelberg

aus DER SPIEGEL 24/1957

Rollende Augen, geballte Fäuste, heisere Aufschreie im Zuschauerraum«, beobachteten Zeitgenossen, als Anfang 1782 im Mannheimer Nationaltheater das Schauspiel »Die Räuber« des dreiundzwanzigjährigen Regimentsarztes Friedrich Schiller uraufgeführt wurde. 175 Jahre später hat der gleiche Text wiederum einen Skandal angestiftet: In der Düsseldorfer »Deutschen Oper am Rhein« wurde am Montag vor Pfingsten eine Oper uraufgeführt, die auf Schillers »Räuber«-Text basiert. Am Ende der Aufführung erhielt der aus Mannheim gebürtige Komponist, der 32jährige Giselher Klebe, nicht nur Beifall, sondern mußte auch Buh-Rufe und Pfiffe mitanhören.

Dabei blieb offen, ob der Protest allgemein dem offenbar als Denkmalsfrevel empfundenen Versuch einer Schiller-Veroperung galt oder ob er sich nur gegen die Art richtete, in der Klebe den originalen Klassiker-Text unter Musik gesetzt hat. Zur Begründung, als Libretto einen Text von Schiller gewählt zu haben, wußte Klebe lediglich seine »Liebe zu den ,Räubern"' zu nennen. Für die musikalische Seite seines Werkes aber hatte sich Klebe einen nicht minder illustren Paten ausgesucht: »Die Oper«, teilte er mit, »ist dem Andenken Giuseppe Verdis gewidmet Die Behandlung der Singstimmen ist vom Stil in Verdis 'Falstaff' beeinflußt.«

Wohlweislich vermied es Klebe, sich für sein Opernwerk auf eine Jugendsünde Verdis zu berufen: auf eine Oper, die der damals 34jährige Verdi in relativ kurzer Zeit auf ein Libretto nach Schillers ,Räubern' geschrieben hatte. Diese Verdi-Oper war auf persönlichen Befehl der Königin Viktoria am 22. Juli 1847, mit der »schwedischen Nachtigall« Jenny Lind, im Londoner »His Majesty's Theatre« zum erstenmal aufgeführt worden, übrigens ohne besonderen Erfolg.

Verdi hatte stets eine so starke Vorliebe für Schiller - Stoffe gehabt, wie sonst nur noch zu Shakespeares Schauspielen. Vor den »Masnadieri«, den »Räubern«, hatte er sich bereits an der »Jungfrau von Orléans« versucht; zwei Jahre nach jener Londoner Premiere brachte er in Neapel eine Oper »Luisa Miller« auf die Bühne, deren Libretto nach Schillers bürgerlichem Trauerspiel »Kabale und Liebe« geschrieben worden war. Erst mit dem »Don Carlos« gelang Verdi endlich ein bleibender Erfolg bei seinen Bemühungen, Schiller zu veropern. Nun besteht in der Tat zwischen dem hohen Pathos des deutschen Dichters und der leidenschaftlichen und effektvollen Tonsprache des italienischen Komponisten eine gewisse Verwandtschaft. Von den

»Räubern« aber scheint auf den ersten Blick kein Weg zu jener »Zwölftonmusik« zu führen, zu der die in fünfjähriger Arbeit entstandene »Räuber«-Oper des jungen Giselher Klebe zählt.

Klebe hat zwar die Originaltexte Schillers für seine Oper nicht umformuliert, aber er hat nahezu drei Viertel dieser Texte gestrichen und das verbleibende Handlungsskelett in seine Komposition eingespannt.

Ende der Klausur

Die Opernbühne in Düsseldorf war in zwei Teile geteilt. Die eine Seite beherbergte die Welt des Karl Moor und dessen Räuberbande, die mit rauher Gewalt gegen die in dieser Welt herrschende Ungerechtigkeit protestieren wollen. Die andere Seite beherbergte das Schloß der Moor-Familie mit den Daheimgebliebenen: den alten Moor, dessen schurkischen Sohn Franz und das Mädchen Amalia. Franz ist es, der den Bruder Karl durch Verleumdung um sein Erbteil und um Amaliens Gunst bringen will ("Franz heißt die Canaille« liest man bei Schiller) und der sich seines alten Vaters zu entledigen versucht.

Karl wird in Klebes Oper von einem Tenor (Walter Beißner), Franz von einem Bariton (Wilhelm Walter Dicks) gesungen. Fast immer ist entweder die eine oder die andere Seite der Bühne beleuchtet. Nur auf dem Höhepunkt der Oper, vor dem Liebesduett Amalia-Karl, liegen die Scheinwerfer auf beiden Seiten.

Wie viele Musiker, die in den zwanziger Jahren geboren wurden, arbeitet auch Klebe nach Arnold Schönbergs »Methode der Komposition mit den zwölf Tönen« (SPIEGEL 11/1954). Ihr Grundprinzip ist, daß der gesamte Ablauf der Musik von einer einmal gewählten Anordnung, einer »Reihe« aller zwölf Halbtöne** her gesteuert wird.

Schönberg und seine Musik bildeten gewissermaßen das zweite, das Hauptkapitel in jener Art von Nachholkursus, der die jungen deutschen Komponisten seit Kriegsende beschäftigte: Zuvor hatten sie die anderen »Klassiker« der musikalischen Moderne, Igor Strawinsky, Béla Bartók und Paul Hindemith, ausstudiert. Seitdem steht die Neue Musik, vor allem in Deutschland, nach dem Kriege in ihrer dritten Phase, die an den Schönberg-Schüler Anton von Webern (1883-1945) anknüpft.

Webern wurde im September 1945 in Mittersill bei Salzburg von einem Besatzungssoldaten irrtümlich erschossen zu jenem Zeitpunkt, als der Nachholkursus der jungen Komponisten begann. Mit dem gegenwärtig meistdiskutierten »Webernismus« in der Neuen Musik ist dieses zehn Jahre lange Repetitorium beendet; es gibt für die jungen Komponisten theoretisch nichts mehr aufzuarbeiten.

Klebes »Räuber«-Oper ist für diese Situation typisch. Das große Lernen und Diskutieren spielte sich bisher vorwiegend in der nach außen schalldicht abgesicherten Atmosphäre von Experimentier-Studios oder in der ebenso streng geschlossenen Gesellschaft von Neutöner-Tagungen ab. Mit der Düsseldorfer Uraufführung einer zwölftönig gearbeiteten Oper tritt die junge Komponisten-Generation gleichsam aus ihrer selbstgewählten Klausur heraus und präsentiert sich vor dem großen Publikum.

Den beiden dramatischen Polen der »Räuber«-Handlung hat Klebe zwei Zwölftonreihen zugeschrieben, von denen die eine für »Intrige, Lüge, Destruktion«, die andere für- das »Streben nach Wahrheit, konstruktive Ordnung« steht. Je nach dem Stand der Handlung werden diese beiden Reihen miteinander in Verbindung gebracht.

Den Hauptpersonen - deren Anzahl Klebe gegenüber dem Schiller-Text radikal reduziert hat; der sprichwörtliche Räuber Spiegelberg zum Beispiel kommt nicht mehr vor - sind zum Teil bestimmte Orchesterbesetzungen oder Klangfarben zugeordnet. Die Räuberbande tritt musikalisch als vierstimmiger Männerchor in Erscheinung.

Klebe steht mit dieser eigenartigen Mischung aus strenger Konstruktion und freier Klangphantasie auf der Opernbühne nicht allein. In der Woche vor Pfingsten kamen außer seinen »Räubern« noch zwei andere Opern zur ersten Aufführung: in Zürich Arnold Schönbergs nachgelassene Oper »Moses und Aron«, in Köln Wolfgang Fortners »Bluthochzeit«, nach einem Schauspiel des spanischen Dramatikers Federico Garcia Lorca.

Somit brach drei Wochen vor dem offiziellen Sommeranfang auf den deutschsprachigen Musikbühnen ein Opern-Frühling aus, der eine fast gesetzmäßige Konstellation zeigt: Alle drei Opern sind im wesentlichen nach der Reihentechnik des 1951 gestorbenen Arnold Schönberg gearbeitet, alle drei sind die ersten Opernwerke ihrer Komponisten.

** Die zwölf Halbtöne entsprechen den zusammen zwölf weißen und schwarzen Tasten Innerhalb einer Oktave auf der Klaviatur.

Komponist Klebe Widmung an Verdi

Opernszene aus »Die Räuber"*: »Franz heißt die Canaille«

* Szenenbild aus der Aufführung In der »Deutschen Oper am Rhein«, Düsseldorf: Elisabeth Schwarzenberg als Amalia. Wilhelm Walter Dicks als Franz Moor.

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