Zur Ausgabe
Artikel 63 / 83

FILM Ohne Vorbild

Mit Hilfe von vier Fernseh-Kameras hat der amerikanische Musiker Frank Zappa seinen ersten Farb-Spielfilm gedreht -- erst nach Einführung des Kassetten-Fernsehens wird er ganz verständlich sein.
aus DER SPIEGEL 50/1971

Die Handlung ist aus, doch das Kino bleibt dunkel -- auf der Leinwand versammeln sich die Akteure noch schnell zum Gebet: »O Herr«, so geht ihr Singen und Sagen, »sei diesem Film gnädig.

Zum Himmel schreit das ganze Personal des Musikfilms »200 Motels« von Frank Zappa -- Solisten, Choristen, Groupies und ein großes Orchester, maskierte Freaks, lebensgroße Puppen und Beat-Musikanten der Zappa-Band »The Mothers of Invention«. Des Allerhöchsten Beistands sind sie wohl bedürftig.

Denn seit die »200 Motels« jetzt in London, New York, Hamburg, Berlin und München aufgeführt wurden, läuft dieser mit Kameratricks und schrillen Tönen überladenen Kino-Kuriosität »das Gerücht der blanken Unverständlichkeit« voraus ("Süddeutsche Zeitung").

Kritiker nennen den »surrealistischen Dokumentarfilm« (Zappa) »chaotisch« ("Billboard"); auf den Rezensenten der »New York Times« wirkt das Lichtspiel »wie eine Überdosis Novocain«. »Time« nannte es »unverschämt und eklektisch«. Und sogar Zappas Mit-Regisseur Tony Palmer (vor der Endmontage gefeuert) beklagt »200 Motels« als »schlechtesten Film der westlichen Kinogeschichte«.

Sie verdammen das Werk und meinen womöglich den Autor -- jenen 30 Jahre alten Amerikaner griechisch-arabisch-sizilianischer Herkunft, dessen Bild durch einen Poster-Bestseller (Motiv: Zappa auf dem Lokus) weltweit bekannt geworden ist.

Popmusik-Insider dagegen schätzen den Selfmade-Komponisten (Vorbilder: Varèse, Strawinski, Webern), Platten-Produzenten (bisher 13 Langspielplatten) und Gitarristen als Begründer der bislang einzigen Beat-Band, die es fertiggebracht hat, sogenannte E-Musik mit Jazz- und Rock-Formen glaubhaft zu verschmelzen. Seine anfangs politisch-aktivistischen, später immer artifizielleren Bühnenshows haben mit ihrer Mischung aus elektronischem Beat, Musiktheater und obszönem Kabarett den Drogenfeind Zappa zum »ersten Meister der Mixed Media« gemacht ("The New York Times").

Nur durch einen Wechsel in ein neues Medium waren die Auftritte der radikalen, zugleich unterhaltsamen US-Rocktruppe noch zu steigern -- nur durch den Film.

Schon 1958, sechs Jahre vor Gründung der »Mothers«, hatte Zappa mit der Schmalfilmkamera experimentiert. Zwei Spielfilm-Versuche -- »Captain Beefheart« (1963) und »Uncle Meat« (1969) -- scheiterten jedoch schon während der Aufnahmen an Geldmangel; die Musik kam auf Langspielplatten in den Handel.

Beim dritten Anlauf hatte Zappa endlich Glück. Die Firma United Artists -- andere Produzenten waren nach Kenntnisnahme des Drehbuchentwurfs »kreischend weggelaufen« (Zappa) -- investierte 600 000 Dollar in das Projekt »200 Motels« und erhielt dafür nach sieben Dreh- und elf Schneidetagen eine Bild- und Toncollage ohne Vorbild: den verrücktesten Musikfilm seit der Beatles-Groteske »Yeah! Yeah! Yeah!« (1964).

Anders als seine Konkurrenten aus der Rock-Branche ("Woodstock« »Gimme Shelter« » »Monterey Pop") ließ Zappa nicht Konzerte filmen, sondern den Zustand seiner Musiker zwischen den Auftritten bei einer großen Tournee.

In solchen Stress-Wochen gleicht »das Gruppenleben der Band dem Leben beim Kommiß« (Zappa). Die männlichen Mütter, das zeigt Zappa in ironischen Sketches und Songs« wissen dann oft nicht mehr, in welcher Stadt sie eigentlich sind, halten den Mann, der ihnen Bier und Cheeseburgers bringt, glatt für den Teufel und stieren willigen Groupie-Girls sogar mit dem Feldstecher in die Bluse.

Der große Zappa (im Film gespielt von Ex-Beatle Ringo Starr) avanciert dann in den Augen seiner Crew zur verhaßten Vaterfigur, die immer recht behalten will und den ohnehin ausgebeuteten Musikern auch noch die Einfälle klaut. »In gewisser Weise' sagt Zappa »ist die Handlung autobiographisch.«

Authentisch ist im Zappa-Lichtspiel auch der Mütter-Wunsch, das Joch des Alten abzuschütteln und auf eigene Faust Star-Karriere zu machen: Seinem Bassisten Jeff Simmons, der die Band vor Drehbeginn verließ, widmet Zappa in den »200 Motels« eine Witzige Zeichentrick-Einlage« die zugleich Donald Duck, den Pop-Sänger Donovan und das Werbefernsehen veralbert.

Zappa glossiert seine Vorliebe für Puppen, Transvestiten« sexuelle Zoten ("Penis-Dimension"). Er parodiert auf dem »zu 60 Prozent in Motelzimmern komponierten« Soundtrack -- jetzt auch auf Platten zu haben -- das Musical »West Side Story«, moderne Oratorien à la Penderecki und propagiert den Vorschlag, mittelmäßige Philharmoniker in Spezial-KZs zu bessern. In den Ruf »blanker Unverständlichkeit« ist Zappas Debütfilm freilich erst durch die exzentrische Bildtechnik geraten: Wie zuvor der Regisseur Sheldon Rochlin ("Paradise Now") hat Zappa seinen Spielfilm in den britischen Pinewood-Studios simultan mit vier Fernseh-Kameras aufgenommen und dabei alle Raffinessen der Trickschaltung erprobt.

Unentwegt verändern sich die Farben, zerfließen Gesichter, zerhacken Strichraster das oft im Takt der Musik blubbernde Leinwand-Bild. Zwei, drei, vier Szenen werden in- und übereinanderprojiziert -- das End-Resultat (zunächst auf Magnetband gespeichert und dann auf Film-Zelluloid übertragen) ist einem Novocain-Schock durchaus vergleichbar.

Dennoch kann sich der Kino-Debütant Zappa, der demnächst auf Schloß Neuschwanstein gern eine »Alice in Rock-Wonderland« aufnehmen möchte, als Pionier einer neuen Ära der Massenmedien fühlen:

Sein Lichtspiel« komplex und kompliziert, wirkt wie eine Langspielplatte, die erst nach wiederholtem Gebrauch den vollen Genuß gewährt. Als erster Film der Kinogeschichte wird das Zappa-Stück darum wohl erst nach Einführung der TV-Kassette für jedermann verständlich sein.

Mehr lesen über

Zur Ausgabe
Artikel 63 / 83
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten