Margarete Stokowski

Soziale Ungleichheit Darf man reich sein?

Margarete Stokowski
Eine Kolumne von Margarete Stokowski
Olaf Scholz verdient 16.000 Euro im Monat. Er findet sich nicht reich, laut Statistik ist er es doch. Kann man von jemandem ohne Klassenbewusstsein erwarten, dass er sich für soziale Gerechtigkeit einsetzt?
Olaf Scholz (SPD): Wahrscheinlich können sich die meisten Menschen darauf einigen, dass Reichtum an sich nichts Schlechtes ist

Olaf Scholz (SPD): Wahrscheinlich können sich die meisten Menschen darauf einigen, dass Reichtum an sich nichts Schlechtes ist

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M. Popow / imago images/Metodi Popow

Über Geld spricht man nicht, sagt man. Das gilt aber nicht, wenn man Finanzminister ist, und so musste Olaf Scholz irgendwie antworten, als er in der ARD-Sendung "Bericht aus Berlin" die Frage eines Zuschauers gestellt bekam: "Wie reich sind Sie persönlich, Herr Finanzminister?" Kaum jemand würde wohl erwarten, dass Scholz auf diese Frage die Summe nennt, die sich auf seinem Konto befindet. Er ist ohnehin jemand, der Interviewfragen eher als diffuse Äußerungsanreize begreift denn als tatsächliche Fragen, aber er entschied sich in diesem Fall für eine Antwort , die ihm in sozialen Netzwerken einigen Ärger einbrachte: "Ich verdien' ganz gut. Als reich würde ich mich nicht empfinden."

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Nun ist es mit dem Reichtum so eine Sache. Man kann ihn empfinden oder nicht, aber man kann ihn auch an Zahlen festmachen. Eine Definition, die häufig verwendet wird, ist die, dass Menschen als "einkommensreich" gelten, wenn sie im Monat mindestens das Doppelte des Medianeinkommens zur Verfügung haben. Medianeinkommen bedeutet, dass die Hälfte der Bevölkerung weniger und die andere Hälfte mehr Einkommen hat. Für Deutschland bedeutet das laut dem Institut der deutschen Wirtschaft: Wer als Single mindestens 3892 Euro netto im Monat bekommt, gilt als einkommensreich. Oder als kinderloses Paar 5294 Euro.

Soweit die Statistik. Laut dem Institut der deutschen Wirtschaft finden viele Leute, reich an Einkommen sei eigentlich erst jemand, der mindestens 7000 bis 10.000 Euro im Monat bekommt . Laut dem Bundesministerium für Arbeit (Scholz' ehemaliger Arbeitsplatz) sehen viele Menschen die Grenze bei mindestens 5000 Euro . Welche Definition auch immer man zugrunde legt: Olaf Scholz bekommt im Monat rund 16.000 Euro brutto, seine Frau Britta Ernst verdient rund 14.000 Euro . Sie gehören damit zum einkommensreichsten Prozent in Deutschland.

Was will Scholz damit sagen, dass er sich nicht als reich empfindet? Es ist zwar so, dass in Umfragen immer wieder herauskommt, dass Leute aus der Oberschicht sich gefühlsmäßig viel weiter unten ansiedeln und immer noch in der Mittelschicht verorten (berühmtestes Beispiel: Friedrich Merz). Aber wenn man Finanzminister ist? Und: Wenn man Sozialdemokrat ist, der Kanzler werden will, wäre es nicht, sagen wir mal: taktisch klug, zumindest dazu zu stehen, dass man im Vergleich zu den Leuten, von denen man gewählt werden will, relativ viel Geld verdient?

Er kann ja - wohlwollend betrachtet - nicht mal etwas dafür, denn sein Ministergehalt ist festgesetzt, aber genau so hätte er ja auch antworten können. Er hätte sein Einkommen nennen können, es ist eh öffentlich, und sagen können: "Das ist für einige Menschen sehr viel Geld, das verstehe ich. Aber so viel verdient man als Finanzminister. Man könnte das als reich bezeichnen, aber natürlich gibt es Menschen, die wesentlich mehr verdienen." Alles daran wäre richtig gewesen. Er hätte auch sagen können: "Ja logo, ich hab brutto 16.000, aber ich spende immer mindestens die Hälfte an Sea-Watch und Ärzte ohne Grenzen", aber gut, niemand erwartet das. (Von ihm.)

Höhnische Selbsteinschätzung

Kann man von jemandem ohne jegliches Klassenbewusstsein erwarten, dass er sich für soziale Gerechtigkeit einsetzt, wenn er nicht ahnt, wie seine Selbsteinschätzung auf Leute wirkt, die weniger Geld verdienen – also: die allermeisten?

Anders als in den USA mit Donald Trump ("I'm really rich" ) wäre es in Deutschland nicht so gut denkbar, dass ein Politiker regelmäßig öffentlich erklärt, wie reich er ist. Obwohl zum Beispiel Bundestagsabgeordnete mit ihrem Einkommen alle nach obiger Definition einkommensreich sind.

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Scholz bekam für seine Antwort Kritik aus diversen politischen Richtungen: Leute aus der FDP , von den Grünen  und logischerweise auch Linke fanden sein Statement realitätsfern und frech. Manche verteidigten ihn aber auch: "Man sollte nicht immer das Schlechteste von Politikern erwarten. Scholz spricht einfach wie alle Deutschen nicht gerne über das Geld und schämt sich", twitterte FDP-Politiker Helmer Krane . Abgesehen davon, dass es eine Pointe ist, dass ein Finanzminister angeblich einfach nicht gern über Geld redet, ist das mit dem Schämen natürlich eine interessante These.

Ist es peinlich, reich zu sein? Warum fällt es so vielen Menschen, die reich sind – ob an monatlichem Einkommen oder an gesamtem Vermögen – so schwer, sich als reich zu erkennen und sich auch so zu nennen? Ist man direkt ein Angeber oder eine Angeberin, wenn man erklärt, reich zu sein? Oder könnte es sein, dass es einen akzeptablen Mittelweg gibt zwischen Prahlerei und Realitätsverweigerung? Wahrscheinlich können sich die meisten Menschen darauf einigen, dass Reichtum an sich nichts Schlechtes ist. Die Frage ist: Woher kommt das Geld und wohin geht es? Also: Hat man es auf ethisch vertretbare Weise bekommen und geht man verantwortungsvoll damit um?

Selbst Leute, die finden, dass Reichtum an sich etwas Schlechtes ist, weil er Ungleichheit bedeutet, können sich vermutlich auf die Idee einlassen, dass jemand, der in dieser Gesellschaft – vor der antikapitalistischen Revolution – durch nicht-kriminelle Umstände zu hohem Einkommen und/oder Vermögen gelangt ist, sich okay verhält, wenn er oder sie einfach genug von dem Geld an andere, ärmere Menschen abgibt.

Ohne Feingefühl für die Finanzen anderer

Das Problem sind nicht reiche Leute an sich. Das Problem sind reiche Leute, die sich ihrer Privilegien nicht bewusst sind und gleichzeitig über die Finanzen anderer, ärmerer Leute entscheiden wollen. Es kann nicht gut gehen. Leute, die viel Geld verdienen, verlieren leider manchmal das Feingefühl dafür, wie wenig Geld andere haben.

Kleine Anekdote am Rande: Ich habe aus Recherchegründen mal ein "Webinar" einer Autorin ("Madame Moneypenny") angeschaut, die sich speziell auf die Finanzen von Frauen spezialisiert hat, es ging um Tipps für einen besseren Umgang mit Geld. Am Ende bekam man einen Merkzettel. Der oberste Tipp darauf war, dass man stets 500 Euro mit sich tragen sollte: "Wenn du immer einen 500-Euro-Schein dabei hast, wird dein Unterbewusstsein darauf trainiert, ein Wohlstandsbewusstsein zu entwickeln."

Kurze Erinnerung zur finanziellen Situation von Frauen in Deutschland : Nur 10 Prozent der Frauen zwischen 30 und 50 Jahren verdienen netto über 2000 Euro im Monat. 500 Euro als Talisman rumzutragen, wäre für die meisten Frauen ungefähr so sinnvoll wie als Achtsamkeitsübung mit geschlossenen Augen über eine Kreuzung zu laufen. Solche Ideen kommen zustande, wenn Reiche den Anschluss nach unten verlieren.

#Protestantische Ethik

Aber zurück zu Scholz: Natürlich kann das Bedürfnis, sich nicht als reich zu bezeichnen, obwohl man es ist, kulturell erklärt werden: Hashtag "protestantische Ethik". Nur ist eben nicht alles, was kulturell erklärbar ist, unveränderbar und gut. Ein Politiker, der dazu stünde, reich zu sein und gleichzeitig erklärte, dass ihm die damit verbundene Verantwortung bewusst ist, käme glaubwürdiger rüber als einer, der sein Geld als "ganz gutes" Einkommen kleinredet. Die meisten Leute wollen Reiche nicht enteignen, sie wollen einfach nur nicht verarscht werden.

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