KRULL-PARODIE Olympia-Spiele
Als eine »Krull-Parodie« und »spaßhafte Ovation für meinen Freund und Lehrmeister Thomas Mann« wollte der Schriftsteller Robert Neumann seinen neuen Roman »Olympia« verstanden wissen, der in diesen Tagen an die westdeutschen Buchhandlungen ausgeliefert worden ist.*
Obwohl aber Neumann sein Buch ausdrücklich mit der Widmung »Thomas Mann zum Gedenken« versah, hat er bei den Verwaltern des literarischen Mann-Erbes Anstoß erregt. So empfindet der Frankfurter S. Fischer Verlag den »Olympia«-Roman und seine Verbreitung durch den Münchner Desch -Verlag keineswegs als humorvolle Mann-Ehrung, sondern im Gegenteil als einen Fall von geradezu »schmarotzerisch« unlauterem Wettbewerb. Auch die am Züricher See wohnenden Damen Katja und Erika Mann - Witwe und Tochter des 1955 verstorbenen Nobelpreisträgers - haben dem 63jährigen Schriftsteller Robert Neumann, der am oberen Lago Maggiore siedelt, ihre freundschaftliche Gunst entzogen.
Mit dem Roman »Olympia« hat sich der wohlrenommierte Literatur-Parodist Robert Neumann - seine zwei Bände »Mit fremden Federn« gelten seit langem unvermindert als literarische Delikatessen - freilich auf eine auch für Parodisten ungewöhnliche Weise fremd gefiedert. Während seine zu Recht berühmten früheren Parodien ihre literarischen Objekte - darunter auch Thomas Mann - jeweils nur auf wenigen, Buchseiten glossieren, ohne selbst erzählerischen Anspruch zu erheben, lebt »Olympia« doch etwas ausgiebiger auf Kosten ihres Vorbildes, des tiefsinnig-amüsanten Schelmenromans »Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull«, den Thomas Mann als letzten Roman 1954 veröffentlichte.
Die Person seiner Titelheldin hat Neumann diesem Werk entlehnt: Olympia ist die - von Thomas Mann allerdings nur flüchtig erwähnte - Schwester des Felix Krull.
Während nun Neumann für den literarischen Jux, den er sich mit der entliehenen Krull-Schwester machte, das Recht des Parodisten in Anspruch nimmt, will der S. Fischer Verlag dieses Recht nicht so weit ausgedehnt wissen, daß es die Parodierung eines Romans durch einen ganzen Roman erlaubt. Nach Ansicht des Thomas-Mann Verlags ist Neumanns »Olympia« nicht eine Parodie, sondern, wenigstens teilweise, ein Plagiat. Außerdem, so finden die Wahrer der Mann-Rechte, verletze das Buch die »Persönlichkeits-Sphäre« des berühmten Dichters.
Thomas Mann nannte seine Nebenfigur Olympia durch den Mund Felix Krulls »ein dickes und äußerordentlich fleischlich gesinntes Geschöpf, das später nicht ohne Beifall die Operettenbühne beschritt«. Nach dem Tode Vater Krulls wird sie - bei Thomas Mann von einem Freund der Familie, dem Kunstmaler Schimmelpreester, an eine Theater-Agentur nach Köln vermittelt. Bei Robert Neumann findet sich die zur Titelheldin avancierte Olympia als hochstaplerische Edel-Kokotte im Baden-Baden vor der Jahrhundertwende wieder. Sie nennt sich »Olympia de Croulle«, hat unter anderem Affären mit einem Scharlatan, der auf der Bühler Höhe ein Sanatorium errichten will, sowie mit einem Kanonenfabrikanten namens Krupp und schreibt, wie Thomas Manns Felix, ihre Memoiren.
Mit komischer Entrüstung äußert sie über »das Druckwerk meines unglücklichen Bruders«, also über den »Krull« -Ronian Thomas Manns: »Wie spricht er von der Familie! ... Unter dem Banner der Wahrheit - alle diese Dinge schreien nach Korrektur!«
Robert Neumanns Olympia weiß es besser als Thomas Manns Felix. Vater Krull, so enthüllt sie zum Beispiel, starb nicht durch Selbstmord aus Verzweiflung über seinen geschäftlichen Ruin, sondern »eines zwar tief betrüblichen, aber doch immerhin galanten Todes ... in den Armen von Julchen Semmelweis von der Städtischen Bühne, der er im Nebenhaus seit damals schon drei Jahren eine kleine, aber trauliche Wohnung hielt!«
Nur um Mutter Krull zu täuschen, habe sie selbst, Olympia, mit Hilfe Schimmelpreesters den »auf so vornehme Weise apoplektisch Verblichenen« rasch in sein eigenes Zimmer geschafft und »dem teuren Toten den Revolver in die erkaltete Rechte gelegt«.
Auch einer anderen Behauptung ihres Bruders - allen »Krull«-Lesern wohl vertraut - tritt Schwester Olympia neumannhaft entgegen: »Er (der Vater) war Fabrikant eines ganz vorzüglichen Schaumweins, den schlechtzumachen, nach so vielen Jahren, nachdem die letzte Flasche getrunken ist (vielleicht anläßlich der Verlobung eines liebenden Paares - der Gedanke läßt mich nicht ungerührt), dem zynischen Griffel meines bekenntnisseligen Bruders natürlich ein leichtes ist.«
Schließlich steuert Neumanns Olympia sogar einige Andeutungen zu jener Lebensphase ihres Bruders bei, über die das Roman-Fragment Thomas Manns - Untertitel: »Der Memoiren erster Teil« - nichts mehr aussagt.
Thomas Mann ließ für immer offen, was mit Felix Krull nach dessen Lissabonner Affäre im Hause Professor Kuckucks geschah - Neumann-Leser aber wissen jetzt mehr: zum Beispiel, daß Felix nicht nur, wie bei Thomas Mann, als »Marquis de Venosta«, sondern später auch noch als »Senhor Eca de Gonzalez«, als »Mynheer van der Cramm« und als »Lord Chesterton« hochstapelte und unter dem letzten Namen ins Gefängnis kam.
Im letzten Teil der »Olympia«, der den Titel »Ein Herr im Ruhestand« trägt, erteilt Neumann sogar dem alten Felix Krull das Wort. Er ist aus Paris wo er in aller Stille seinen Lebensabend verbringt, nach Baden-Baden gekommen, um seiner Schwester bei der Eröffnung eines galanten Etablissements zu helfen. Zum Schluß wird er von einem Kriminalbeamten auf das diskreteste verhaftet. Er hatte auf der Durchreise in Straßburg ein Diamanten-Kollier entwendet.
Erzählt Neumann-Krull: »Und da wir da eben schon drunten in Oos in den Zug stiegen, fügte er (der Kriminalbeamte) hinzu: 'Nach Ihnen, ah, ich bitte darum, nach Ihnen, Monsieur, ganz gewiß!' - 'Charmant' sagte ich, charmant!«
So spaßig sich die Abenteuer der Krull-Schwester und der Thomas Mann nachgedrechselte Stil stellenweise auch ausnehmen - auch freundliche Betrachter können kaum verhehlen, daß Robert Neumann sich mit »Olympia« etwas übernommen hat. Was ein knapper Auguren-Spaß hätte sein können, muß auf 340 Seiten verflachen. Und da Thomas Manns »Krull« unter anderem schließlich selbst eine meisterhafte Parodie - auf den bildungsbürgerlichen Memoiren-Stil der Jahrhundertwende - ist, wirkt Neumanns parodistischer Versuch am untauglichen Objekt zuweilen eher wie eine triviale Imitation.
Friedrich Sieburg schrieb in der »Frankfurter Allgemeinen": »Die holde Gewohnheit, täglich als ein großer Parodist angesprochen zu werden, mag den Autor der 'Fremden. Federn' in den Irrtum getrieben haben, er könne eine Nachfolge oder gar Ergänzung jenes großen Dichters versuchen ... Es ist, als ob er dem köstlichen Manierismus des Originals auf seine bewährte Parodistenart falsche Töne und Kurzschlüsse nachweisen wollte, die der wahre Krull nicht im mindesten hat.« Neumann, so meint Sieburg, habe das »Geheimnis des kritisch-parodistischen Stils, das den Kern der Kunst Thomas Manns bildet«, nicht begriffen.
Der Fischer Verlag begnügte sich freilich nicht mit literarischem Tadel. Er erwirkte am 3. März beim Landgericht Stuttgart eine Einstweilige Verfügung, die dem Desch-Verlag untersagt, sich in der Werbung für »Olympia« an das Renommee des »Krull« anzuhängen.
Nicht zum erstenmal wird damit die humoristische Kunstfigur des Hochstaplers Felix Krull in eine grämlich reale Rechtsaffäre verwickelt:
- 1957 hatte ein deutsch-amerikanischer Schriftsteller namens John Kafka unter Hinweis auf eine von ihm verfaßte Kurzgeschichte »Welt und Kaffeehaus« einen Prozeß gegen die deutschen »Krull«-Verfilmer angestrengt und - verloren.
- 1958 zwang der Frankfurter Fischer Verlag den Berliner Herbig-Verlag zur Ausmerzung aller direkten »Krull«-Anklänge in einem literarisch anspruchslosen, als Krull-Fortsetzung avisierten Roman »War ich wirklich ein Hochstapler?« von Hans Peter Dorn.
Gegen Robert Neumanns Roman »Olympia« ist der Frankfurter Fischer Verlag bisher nicht direkt vorgegangen, wohl aber gegen einen Prospekt, der für Neumanns Roman werben sollte, und gegen den Umschlag, in den der Roman eingehüllt ist.
Auf die werbenden Formulierungen von Prospekt und Umschlag nimmt denn
auch die Einstweilige Verfügung Bezug, in der das Stuttgarter Landgericht dem Desch-Verlag »bei Vermeidung einer vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Geldstrafe in unbegrenzter Höhe« untersagt, durch »Bezugnahme« auf Thomas Manns Roman und Titelhelden Krull zu werben und Werbebehauptungen aufzustellen wie
»a) das Buch 'Olympia' sei in gewisser Hinsicht als Ergänzung und lächelnde Fortsetzung des 'Felix Krull' angelegt,
»b) der im Buch Olympia auftauchende 'Felix Krull' sei ganz, der alte, der Thomas-Mann-Krull, diesmal aber von Robert Neumann,
»c) die Lesergemeinde Thomas Manns sei Interessent für das Buch 'Olympia',
»d) die Romanfigur 'Olympia' in dem Buch der Antragsgegnerin (Desch) sei die Schwester des 'Felix Krull'.«
Außer mit dieser Einstweiligen Verfügung gegen die Werbung will der Frankfurter Fischer Verlag möglicherweise auch gegen den Neumann-Roman direkt vorgehen, vornehmlich, weil er eine Beeinträchtigung der sogenannten »Nebenrechte« des Mann-Romans befürchtet. Die »Krull«-Hüter wollen ausgeschlossen wissen, daß bei eventuellen »Krull«-Adaptierungen - Fischer-Verlagsleiter Dr. Rudolf Hirsch: »Zum Beispiel als Musical« -, in denen der nicht bei Mann, wohl aber bei Neumann vorkommende gealterte Felix Krull auftritt Neumann und Desch irgendwelche Ansprüche erheben könnten.
Der Fischer-Verlag verlangt daher, daß »Olympia« für die zweite Auflage - die erste hat Desch bereits fast ausverkauft - gewissermaßen entmannt wird: Neumann soll dem »Krull« entlehnte Details eliminieren und vor allem jenen vierten und letzten Teil seines Romans streichen, in dem er Thomas Manns Titelhelden selbst auftreten und sprechen läßt.
Möglicherweise werden sich die Parteien über diese Probleme außergerichtlich einigen. Am vegangenen Montag hat der »Olympia«-Verleger Kurt Desch dem »Krull«-Verleger Gottfried Bermann Fischer bereits mitgeteilt, daß Robert Neumann zu Änderungen, bereit sei.
Inzwischen hat der Verlag Desch auch den Umschlag für Neumanns »Olympia« neu gedruckt, die nun, statt wie bisher in Rosa, in Blaßblau gehüllt wird.
Ein Vergleich der beiden Klappentexte läßt allerdings fraglich erscheinen, ob die Änderungen auch den vom Fischer Verlag gewünschten Effekt machen. In der ursprünglichen rosa Fassung hieß es zum Beispiel: Im vierten Teil endlich taucht er selbst auf, Felix Krull, der nun sozusagen im Ruhestand lebt, aber sonst ganz der alte ist, der Thomas-Mann-Krull, diesmal aber von Robert Neumann.«
Revidiert und auf blaßblau lautet die Stelle jetzt: Im vierten Teil endlich taucht er selbst auf, Felix Krull, der nun sozusagen im Ruhestand lebt, aber sonst ganz der alte ist.«
Beide Klappentexte hingegen zitieren unangefochten einen Ausspruch Thomas Manns über Neumann. Der Parodist Robert Neumann, so schrieb Mann einst, besitze eine »Genialität komischer Einfühlung, die es nicht ein zweites Mal gibt und wahrscheinlich nie gegeben hat«.
* Robert Neumann: »Olympia«, Verlag Kurt Desch, München; 344 Seiten; 15,80 Mark.
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