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KINO Opa Adolf

»Gespräch mit dem Biest«. Spielfilm von Armin Mueller-Stahl. Deutschland 1997.
aus DER SPIEGEL 8/1997

Listig lächelnd linst der Greis aus dem Rollstuhl und schießt seinem Besucher Bohnen ins Gesicht - die Zeit, da er noch die Welt bombardieren durfte, ist lang vorüber: Jetzt hockt er in Kellergrüften unter Berlin, 103 Jahre alt, ein milder Depp, resolut umsorgt von Zweitfrau Hortense, von Kerzen warm umleuchtet, um ihn herum gediegene Möbel, Bücher. Herz, was willst du mehr?

Der alte Herr scheint denn auch recht zufrieden, das Haarkleid ist zwar schütter, sein Schnäuzchen gräulich nun, dafür aber umglänzt ihn die Milde des Alters.

Opa Adolf hat Besuch gekriegt, vom Historiker Webster aus den USA. Der will wissen, ob er Hitler sei und wie sich das beweisen lasse; wie das war mit dem Volk und mit Eva und dann mit Hortense und mit den Weibern überhaupt; und wozu er Doppelgänger gebraucht habe. Hitler sagt dazu irgendwas, dann geht der Historiker wieder, und wenn er zurückkommt, liest man eingeblendet »Zweiter Tag« oder »Dritter«, bis zehn rum sind (und damit anderthalb Stunden).

Über die Frauen sagt der Alte: »Ich hatte sie alle, alle, alle, die besten und schönsten Frauen. Ich konnte jede Nacht viermal. Ich habe den Krieg nur wegen der schönen Frauen verloren, deswegen haßte ich sie.«

Über die Doppelgänger berichtet er: »Goebbels wollte, daß ich überall dort auftauche, wo die Front zusammenbricht. Es war wundervoll. Die Truppen kämpften bis zu ihrer vollständigen Vernichtung.«

Über seine Entnazifizierung: Man »hat mir bescheinigt, daß ich niemals ein Nazi gewesen bin«. Daran ist nicht zu zweifeln, denn dieser Mann ist nicht Hitler, sondern Armin Mueller-Stahl, in seinem ganz eigenen Film: Regie, Hauptrolle, Drehbuch (zusammen mit Tom Abrams) - alles Mueller-Stahl.

Befreien will er sich von »diesem Kerl«, so sagt er, der ihn ein Leben lang verfolgt, nicht zuletzt bei seinen Hollywood-Filmen, ob er dort als Täter oder als Opfer eingesetzt wird.

Kerl? Biest? Im fertigen Film nun noch harmloser: Hitler als Lauser, Bengel, bisweilen mit dem kecken Mutwillen zum Slapstick - der dann versickert.

Chaplin, die Marx-Brothers, Mel Brooks, all die mögen ihm vorgeschwebt sein, Groteske, Farce, bös und schrill. Aber nun ist es eine plappernde Anekdote geworden, die grad mal als Vorfilm taugen könnte oder als Einakter im Kellertheater.

Die Doppelgänger-Idee findet sich grimmiger in Erich Kästners »Schule der Diktatoren« und tragikomischer in Siegfried Lenz' »Das Gesicht«; die Hochzeitsfeier mit Bandenmitgliedern hat Brecht in der »Dreigroschenoper« weitaus skurriler verulkt, als es das gewiß lachhafte Schnauzbartquartett hier erproben darf. Otto Sander, Harald Juhnke und Dieter Laser sind allemal zum Quieken als trottelige HitlerKopien, aber niemand gab ihnen was zu singen und zu sagen.

Mr. Webster, der sich am Ende als Jude vorstellt und Hitler endlich erschießt, hat bis dahin keine Fragen, und Hitler hat nichts zu sagen - erstaunlich.

Mueller-Stahls Manko ist, daß er ein guter Mensch ist (und ein guter Schauspieler); daß er nicht analysiert, nicht reflektiert, nie nachhakt. Er behauptet was und macht nichts draus.

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