BIENNALE Parcs Park
Alles ist zu sehen. Bei den Schweden
können Besucher eine nackte Pappfrau nach Hampelmann-Art an Fäden die Beine spreizen lassen. Bei den Belgiern baumelt im Pavillon-Eingang ein metallener Fötus am Strick. Bei den Amerikanern brüllt auf einem metergroßen Comic-Bild »Wumms« ein getroffener Pilot seinem Verfolger zu: »Okay,. Hot-Shot, okay. Ich saufe ab.«
Bei den Japanern werden die Besucher aufgefordert, an einer wandhohen Plastik ihre Finger in elastisch gepolsterte, geschlitzte Löcher zu stekken; aus einigen ertönt dann ein Klingelzeichen. Bei den Osterreichern wirbt eine kürbisgroße Fliege, die eine Trompete trägt, für Musik. Bei den Israelis quillt aus schwarzer Leinwand ein Rudel zerschlagener Kinderköpfe.
In den Pavillons der eben eröffneten 33. Biennale von Venedig, auf der 38 Staaten satzungsgemäß »besonders bedeutsame Äußerungen der, zeitgenössischen Kunst« vorweisen, flackern Neonlichter, rotieren Stahlgebilde und strahlen persiflierte Pin-up-Mädchen leuchtende Kußmünder und untadelige Rundungen von den Wänden.
Baumwurzeln und Chromrohre liegen auf den Böden, ein Strip-tease ist in Fortsetzungen getuscht; Anfang und Ende einer roten Irrgarten-Linie in Tempera sind durch Stecknadelköpfe bezeichnet. Damenschuhe lieben sich auf sonst unöffentliche Art, Modelle gigantischer Zukunftsstädte hängen von der Decke, auf dem Rasen stapeln sich tausend Silberkugeln, mit denen sich Fußball spielen läßt und mit denen gespielt wird.
In diesem Op- und Pop-Panoptikum ist der deutsche Beitrag betont kühl und sachlich. Der Kommissar für den deutschen Pavillon (zum letzten Male: Professor Dr. Eduard Trier vom Kulturkreis im Bundesverband der Deutschen Industrie), wählte
- den Maler Horst Antes, 30, dessen starkfarbige Kompositionen zumeist aus Armen, Beinen und Köpfen mit untereinanderliegenden Augen ihm bereits mehrere Preise gebracht haben (Antes: »Der Fuß ist doch eine prima Sache'); auf der Biennale erhielt er den Preis der Unesco;
- den Plastiker Günter Haese, 42, der aus winzigen Uhrfedern und dünnen Drahtkäfigen sehr zarte, wippende Spiele montiert (SPIEGEL 3/1966); auf der Biennale erhielt er den Preis der amerikanischen Bright-Stiftung für Plastik;
- den Bildhauer Günter Ferdinand
Ris, 38, der erst vor sechs Jahren von der Malerei zur Plastik wechselte und aus Marmor oder Bronze sehr sorgsam geschliffene Figuren rundet.
Kommissar Trier, der Antes »für einen der wenigen jüngeren Vollblutmaler« in Deutschland, Ris »für einen der Wesentlichsten und Originellsten« der jüngeren Bildhauergeneration, Haese für »kinetisch, witzig, undoktrinär, ironisch« hält, muß nach wie vor mit bescheidenen Mitteln für Ausstellung, Transport, Versicherung (Gesamtwert: 1,5 Millionen Mark) und Kataloge auskommen. Der Bund zahlt nur 50 000 Mark; von der Biennale, die bei der Sparkasse der Stadt Venedig ihrerseits mit 1,9 Millionen Mark verschuldet ist, sind Zuschüsse für die ausstellenden Nationen nicht vorgesehen.
Für einen geplanten Ausbau des deutschen Pavillons, der ohne Telephon-. Strom- und Wasseranschluß ist, wurden Mittel nicht bewilligt. Die ausstellenden Künstler sind auf eigene Kosten angereist. Vizekommissar Professor Dr. Alfred Hentzen, Chef der Hamburger Kunsthalle und designierter Kommissar für 1968, empfängt Gäste auf der Steintreppe; ein Aufenthaltsraum existiert nicht. Kommissar Trier: Wenn wir abreisen, hängt alles vom Eifer der italienischen Verwaltung ab.« Die einzige Quelle möglichen Eifers aber sprudelt kaum. Bei Verkäufen partizipiert die Biennale-Verwaltung satzungsgemäß mit fünfzehn Prozent. Ris -Plastiken sind zwischen 1500 und 27 000 Mark zu haben. Ris: »Faustregel: ein Drittel Material und Guß, ein Drittel der Händler, ein Drittel der Künstler.« Von Antes aber sind nur einige Aquarelle (etwa 500 Mark) und von Haese ist überhaupt nichts verkäuflich.
Unfreiwillig unverkäuflich dürften hingegen die Werke eines argentinischen, in Paris lebenden Künstlers sein: die Exponate des Julio Le Parc, 37, Mitglied der seit Jahren in Frankreich operierenden Avantgarde-»Groupe de Recherche d'Art Visuel« (Gruppe zur Erforschung optischer Kunst).
Le Parc hat eine Art Luna-Park aufgebaut; die Besucher können Pingpong-Spiele veranstalten, durch gefärbte Brillen blicken, über Stolperwege an Zerrspiegeln vorübergehen, durch Knopfdruck Maschinen bewegen, die blinken, rasseln und Plastikringe an Stangen herumschleudern.
Für seinen Luna-Park erhielt Le Parc am Vorabend der Eröffnung den Großen internationalen Malerei-Preis der Biennale; der entsprechende Preis für Plastik wurde zu gleichen Teilen dem Franzosen Etienne Martin, 53, und dem Dänen Robert Jacobsen, 54, zugesprochen.
Bereits bei der vergangenen Biennale (1964) hatte die Jury einem krassen Außenseiter den Großen Preis für Malerei verliehen - dem Pop-Art-Erfinder Robert Rauschenberg.
Hoese-Exponat »Seltene Kaktusart«
Im Op- und Pop-Panoptikum ...
Antes-Exponat »Grüne Figur«
... lieben sich Damenschuhe ...
Ris-Exponat »Zweiter Kopf«
... und quellen zerschlagene Kinder