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Pariser Rouge, schwäbisches Blut

aus DER SPIEGEL 48/1977

Es sind ihr vertrackt vielerlei Gesichter gegeben. Gerade auch im sogenannten wirklichen Leben, und da tut sich Isabelle Adjani gewaltig schwer, den Eindruck zu machen, der ihr auf der Kinoleinwand spielend und hinreißend gelingt.

Auch ohne Verklärung durch die Filmkamera kann sie traumschön aussehen. Und romantisch-kindhaft, und schlicht klassisch, doch ebensosehr, wenn sie wieder einmal ihrem eigenen Geschmack in die Falle gegangen ist und eine Attitüde vorzulegen versucht, verzickt, banal. Meist muß einem schon gesagt werden, wenn sie außerhalb eines Films wo auftaucht, daß das die Adjani ist, die junge Diva, die Franzosen und Amerikanern fast schon zum Mythos geronnen zu sein scheint. Aber nicht anders war es bei der Monroe gewesen.

Isabelle Adjani entstammt kleinbürgerlichen Verhältnissen. Ihre schwäbische Mutter lernte der Vater, Algerienfranzose türkischer Herkunft, als Besatzungssoldat am Bodensee kennen, nahm sie mit nach Paris, wo er sich in einem grauen Vorort als Autoverkäufer dann niedergelassen hat.

Es ist erst kurz her, daß Isabelle Adjani aus der Sozialwohnung ihrer Eltern ausgezogen ist. Sie ist jetzt 22, eine superehrgeizige Eigenbrötlerin, die den Kometen-Aufstieg, der ihr im Film und besonders in Hollywood bevorstehen soll, anpackt wie ein Geschäft. Vor wenigen Jahren hat sie sich noch als frühbegabte Schauspielerin zu Hause vor ihrem vollen, studentenhaften Bücherbord züchtig in Kniestrümpfen, weißer Bluse und Schottenrock photographieren lassen. Inzwischen steht sie auf schwarze Seide und glänzendes, sündiges Lippenrouge. Den Beruf der schwäbischen maman, Hausfrau seit je, bringt sie recht kleinlaut heraus.

Sie sagt, ihre unwahrscheinliche Karriere sei bisher verlaufen, als wäre sie dabei »schicksalergeben einem unsichtbaren« Faden gefolgt, den jemand für sie ausgelegt hat. Sie war 14, als auf dem Lyzeums-Schulhof sie ein Filmregisseur für eine Nebenrolle entdeckte; weitere kleine Filmrollen folgten; dann, mit 15, das Fernsehen, wo sie, als sie in Molières »Schule der Frauen« eine Hauptrolle spielte, zum erstenmal den Kitzel genoß, Liebling des Publikums zu sein.

Mit 17 der große, Aufsehen machende Sprung: Sie wurde, ohne eine Schauspielausbildung zu haben, Vollmitglied im Ensemble des jahrhundertealten Theatertempels Comédie Francaise. Sie spielte zweieinhalb Jahre lang, neben anderem Moliére und Montherlant, und häufig mit triumphalem Erfolg, der legendären Sarah Bernhardt ähnlich. Als der internationale Filmglanz sie mehr lockte und sie den 20-Jahre-Vertrag ausschlug, mit dem die Comédie sie halten wollte, zeterte die Pariser Presse Skandal.

Die Welt ist es nicht, was Isabelle Adjani im Film seither zu spielen gehabt hat. Sechs größere Rollen waren es. Die am meisten umschwärmte hatte sie in dem (kürzlich vom deutschen Fernsehen ausgestrahlten) Truffaut-Film »Die Geschichte der Adèle H.«; darin hat sie bebrillt und in Samt mit Spitzen eine Tochter Victor Hugos dargestellt, die sich in Anbetung eines englischen Leutnants verzehrt -- ein empfindsames Melodram, eindrucksvoll immerhin als »Geschichte eines Gesichts« (Francois Truffaut), des Gesichts der Adjani.

Sie bekam für ihre Adèle H. 1975 den New Yorker Filmkritiker-Preis. Obendrein wurde sie für einen Oscar nominiert. Rasch verschlug es sie nun hoch auf den American way of success. Sie dinierte, wurde hofiert; und bei Sardi"s, Manhattans Restaurant der Bühnen- und Filmprominenz, hielt mütterlich Lilian Gish, von den großen Stummfilmdiven einst die Schönste, ihre Hand und flötete den Reportern für die Klatschspalten zu. was für eine Schönheit die kleine Pariserin sei.

Noch im selben Jahr filmte sie in Paris mit Roman Polanski den »Mieter«. Polanski und die Adjani: ein sonderbares Paar. Als er ihr zum erstenmal begegnet ist, in einer Pariser Kelterdiskothek, war er »ganz weg« von ihr und wußte sofort, daß er eine »wirkliche Schauspielerin« vor sich hatte. Sie war da noch im Bereich jenes zarten Alters, in dem jetzt eine andere Schauspielfavoritin von ihm ist, Nastassja Kinski. Isabelle Adjanis Gesicht, so pummelig es damals war, sagte ihm, was später auch Francois Truffaut entdeckte: Es sei in ihm »etwas Göttliches«; bestimmt für das große amerikanische Kino.

Sie wurden Freunde, keine engen -- zur Jet-set-Mieze hat sie nicht den Funken Talent. Sie hat eher etwas von einer Klosterschülerin, und das und ihr kleinbürgerlicher Ordnungssinn und ihre intelligenzlerische Art, die Dinge zu sehen, hemmten sie, Polanskis Partyumtriebe und rüde Schwofereien verlockend zu finden.

Sie redeten viel über Filme, die sie miteinander machen wollten -- Hollywoodfilme vor allem. Damit wurde es dann auch fast ernst, als Polanski für Hollywoods neuen Produzentenzar Dino de Laurentiis ein großes Piratenspektakel drehen sollte. Isabelle Adjani hätte darin eine schneewittchenschöne Unschuld zu sein, Nichte eines spanischen Admirals, die am Ende, feurig selber den Säbel mitschwingend, aus den gierigen Pfoten unedler Männer gerettet würde; von Jack Nicholson ausgerechnet.

Bei diesen »Piraten«, die schließlich doch nicht vom Stapel gingen, will Isabelle Adjani noch immer dabeisein, darauf muß sie jetzt pochen. Polanski ist mittlerweile nämlich nicht mehr scharf auf sie. »Spielt sich als großer Star auf«, mault er über sie. Die Adjani ist ihm über den Kopf gewachsen, soviel hat er mitgekriegt -- spätestens als er sie kürzlich als »Time«-Titelmädchen sah -, und nun muß er wohl Angst haben, daß sie ihn überschattet mit ihrem ungetrübten Glanz.

Die »Time«-Story hat sie, auf Vorschuß, mit legendären europäischen Hollywoodstars verglichen: Greta Garbo, Marlene Dietrich, Ingrid Bergman. Die amerikanischen Cinéasten täuschen sich freilich, wenn sie sie dazu noch als Inbegriff unverdorbener. europäischer Grazie anhimmeln. Sie ist mindestens so neurotisch wie ihre Hollywoodschwestern, die, weil sie zum existentiellen Exhibitionismus neigen. weiterhin ziemlich ungeliebt bleiben.

Isabelle Adjani will die Natürliche, empfindsam Romantische gar nicht mehr sein, sondern strebt etwas an. das kühl-stilisiert ist, und schielt aufs Ideal des entpersönlichten, aber hintergründigen Glamourgirls, des synthetischen Traumweibs. Das scheint auch neuerdings wieder in Hollywood sehr gesucht zu sein; Comeback der dreißiger Jahre?

Ein paar mächtige Studioväter dort haben das permanente Psycho-Gekrisel vieler ihrer Schauspielerinnen offenbar satt. Sie wünschen sich, die Diva von einst, die nicht die Verwerfungen ihrer Seele, sondern perfekte Posen und eine schöne Haut zu Markte trug, möge wiederkehren. Und nun glauben sie, sie hätten den Rohstoff zu solch einer irrealen movie-goddess gefunden: in Isabelle Adjani.

Einige alte Bosse, so de Lanrentiis und speziell Charles G. Bludorn, Chef des Gulf & Western-Multis, dem Paramount gehört, machen ihr eifrig den Hof. Das Spektakulärste, was sie ihr bieten, ist etwas, das sich im US-Film heute kaum eine Frau, allenfalls noch Barbra Streisand, ausbedingen kann: Isabelle Adjani kann sich für die Wiederverfilmung der 1936er-»Kameliendame« mit ihr in der Greta-Garbo-Rolle den Regisseur selber aussuchen.

Ihren ersten Hollywoodfilm hat sie gerade abgedreht, »The Driver«, ein elegantes, lässig-manieriertes Krimi-Drama, cool, hart, mit Mann-Frau-Duellen à la Bogart-Bacall -- und als geheimnisvolle Pokerprofessionelle mit düstrem, glatten Chic sie, Isabelle Adjani. »Ice Lady«, so nennt man sie in Hollywood.

Sie hat sich aber nicht gänzlich losgemacht vom europäischen Film, dessen künstlerische Schroffheiten, besonders die der Deutschen, sie bewundert. Sie spielt demnächst bei Werner Herzog in seinem Remake des Horrorklassikers »Nosferatu«.

Vorletzte Woche schwebte sie aus Los Angeles in Deutschland ein. Weil ihr letzter französischer Film, »Violette und Francois« -- eine harmlos-amüsante Diebeskomödie, in der sie aber exzellent spielt -, hier in den Kinos jetzt Premiere hat. Aber gejettet ist sie ins Land ihrer Mutter ein wenig auch aus Grusel-Neugier; gegen die Deutschen und ihren Staat hegt sie Ressentiments -- »pauvres terroristes«, sagt sie.

Sie wagte sich dann in eine Löwengrube ihrer Kleinbürger-Klasse, die gleich unglücklich bei ihr durchschien, trotz Hollywood-Haar und raffiniertem Pariser Modellkleid: Sie trat als Gast in Rudi Carrells Fernseh-Familienspiel »Am laufenden Band« auf, und auf einmal stand ihr ihr Glamour gar nicht mehr, und auch ihr Charme war rasch zu Essig geworden.

Es hat ihr keinen Spaß gemacht. Sie dem Zuschauer auch nicht. Das wußte sie so gut wie im voraus. Aber sie hatte sich gesagt -- wörtlich -, für meine Karriere muß ich auch Scheiße machen.

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