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IMMOBILIEN Passender Stiefel

Rund 1000 Immobilien der feineren Sorte sind gegenwärtig in Frankreich auf dem Markt: alte Landsitze und Schlösser.
aus DER SPIEGEL 23/1989

Das Büro, an der südlichen Ausfallstraße des Städtchens Montelimar im Rhonetal, mißt höchstens drei mal vier Schritte. Zwischen den spärlichen Möbeln macht eine High-Tech-Telephonanlage Eindruck, virtuos bedient von ihrem Besitzer, Monsieur Jean-Pierre Fougeirol, 58.

Die fiepende Kommunikationszentrale verbindet Fougeirol mit Außenstellen seines Büros im Perigord und Lot, in der Gironde und bei Toulouse. Aber vor allem dient sie ihm als heißer Draht ins Reich der Fabeln und Träume, der Ritter, Burgen und Schlösser.

Ein Tastendruck auf der Apparatur, und Fougeirol ist mit der Herrin auf der »Domaine du Tarn« verbunden, einem prachtvollen Bauwerk aus dem 18. Jahrhundert. Andere Leitungen führen zu einem Schloß im klassizistischen Louis-XVI-Stil, majestätisch im Limousin, der Landschaft um Limoges, gelegen, oder zum »Chateau de Lavagnac« im Languedoc, beide Besitzungen werden derzeit nur von einem Wachmann gehütet. Fougeirol kennt all die fabelhaften Geschichten dieser Bauwerke; das bringt sein Beruf mit sich: »Monsieur Chateau«, wie seine Umgebung ihn nennt, handelt mit alten Schlössern.

Auf diesem besonderen Antik-Markt, erläutert Jean-Michel Reillier, Herausgeber des Pariser Fachblattes »Demeures & Chateaux«, »tummeln sich in Frankreich ein gutes Dutzend Immobilienmakler«. Monsieur Fougeirol ist der bekannteste von ihnen, ein Spezialist für ganz Südwestfrankreich, »der Star des Metiers«, wie unlängst das PR-Blatt »Medias« notierte.

»Schlösser vom 10. bis zum 19. Jahrhundert« - der Makler hat an die 40 solcher erlesenen Immobilien in seinem Katalog. Die Angebotspalette reicht vom verfallenen Steinhaufen aus dem Mittelalter bis zum modernisierten italienischen Renaissance-Schloß des päpstlichen Baumeisters Peruzzi in der Nähe von Rom, das mit wertvollen Antiquitäten vollgestopft ist. Fünf bis sechs solcher geschichtsträchtigen Objekte verkauft der Schloß-Herr jährlich; durch seine Hände fließen dabei mal 500 000 Franc, mal mehr als 20 Millionen. Drei bis vier Prozent vom Kaufpreis bleiben hängen.

Ein pfleglich restaurierter Schloßbau aus dem 10. und 11. Jahrhundert im südfranzösischen Roussillon beispielsweise, mit 63 Quadratmeter großem Waffensaal, halbrundem Wehrturm, 16 Zimmern, einem halben Dutzend Terrassen und 5,8 Hektar Land drumherum, fand zum Preis von umgerechnet etwa 1,5 Millionen Mark seinen Käufer.

Doppelt soviel soll ein bezauberndes Schlößchen aus dem 17. Jahrhundert mitsamt Ländereien und einem mäandernden Flüßchen im Languedoc kosten. Der Makler hat Schlösser mit 1000 Quadratmeter Wohnfläche in seinem Angebot, mit Seen, Wäldern und Weinbergen, aber auch kleine, schloßähnliche Anwesen, sogenannte Manoirs, beispielsweise ein dickes Gemäuer aus dem 15. Jahrhundert mit sechs Zimmern und Swimming-pool, das sich am Rande eines Waldes mit Blick auf die Pyrenäen befindet.

Ein Großteil dieser romantischen Herbergen steht unter dem Schutz des französischen Kulturministeriums, das die Schloßbesitzer zur Erhaltung der Substanz verpflichtet, aber auch einen Teil der nötigen Mittel dazu beiträgt. 50 bis 60 Prozent der Investitionen in Dächer oder Wände kann der Besitzer vom zu versteuernden Einkommen absetzen.

Die Mehrheit der Kundschaft freilich befindet sich in »angenehmen finanziellen Verhältnissen« (Fougeirol). Alter Adel ist darunter und neuer Reichtum, französische Industrielle und ein deutschschweizerischer Bankdirektor, aber auch Familien mit großem Anhang, Liebhaber alten Gemäuers oder schlicht Bastler, die Spaß daran haben, geschichtsträchtige Ruinen wieder instand zu setzen. Zunehmend suchen auch japanische Finanzgruppen in französische Schlösser zu investieren.

Zu den Kunden zählen Freischaffende aller Branchen, Schriftsteller, darstellende Künstler und Werbeleute - »denen«, meint Fougeirol, »scheinen die aristokratischen Stiefel besonders gut zu passen«. Erst unlängst hat der Makler der Jahrhunderte die Wünsche eines ehemaligen sozialistischen Ministers und eines prominenten Schriftstellers erfüllt, auch für die Familie des französischen Bau-Löwen Francis Bouygues ließ sich etwas finden.

Fougeirols Klientel kommt nicht allein aus Frankreich. Viele Schweizer vom Genfer See sind darunter, einige Deutsch-Schweizer, doch wenige Deutsche. Fougeirol: »Die ziehen noch Appartements an der Cote d'Azur vor.« Die Liste der Ausländer führen die Engländer an, vor allem solche, die durch Spekulationen in der Ära Thatcher zu Vermögen gekommen sind. »Die Engländer sind sehr organisiert«, sagt Fougeirol, »sie denken mit 40 bereits ans Alter.«

Die Nachfrage nach den alten Schlössern ist derzeit größer als das Angebot. Verkäufer sind zumeist verarmte Adelige, die die Kosten nicht mehr tragen können, oder deren Nachfahren, die die Gemäuer schnell versilbern möchten. »Demeures & Chateaux«-Herausgeber Reillier schätzt, daß sich von den 1000 Schlössern, die 200 Jahre nach der Französischen Revolution noch zum Verkauf anstehen, die teuersten in der Pariser Region befinden, die billigsten im Zentrum Frankreichs, »wo es meistens regnet«. Fougeirol: »Im Süden muß man die Sonne mitbezahlen.«

»Der Boom steht uns noch bevor«, meint der Schloß-Makler. Wenn in den neunziger Jahren der europäische Binnenmarkt verwirklicht sei, prophezeit auch Experte Reillier, werde »dieser spezielle Immobilienmarkt explodieren«.

Kürzlich erst hatte sich ein Londoner Hotelier, ein gebürtiger Südfranzose, bei Fougeirol für ein Schlößchen an der Rhone interessiert, »am besten mit einem Weinberg drumherum«. Der Hotelier und Gastwirt war bereit, dafür zwei Millionen Pfund auf den Schreibtisch zu legen, die er aus dem Verkauf seines Hotels erzielt hatte.

Fougeirol: »Dem Mann kann geholfen werden.« Demnächst zeigt der umtriebige Franzose, der jährlich 60 000 Kilometer in seinem Renault unterwegs ist, seinem Landsmann von der Themse ein paar Schlösser, »die der nicht so schnell vergessen wird«.

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