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Geschichte Pech und Pulver

Zum 500. Geburtstag von Nicolaus Copernicus geht ein alter Gelehrten-Streit zu Ende: Polen wie Deutsche halten den Astronomen für einen guten Bürger des polnischen Staates.
aus DER SPIEGEL 8/1973

Copernicus studierte in Italien und Polen, hatte schlesische Vorfahren und war dem polnischen König untertan. Als Humanist gehört er Europa und der Welt.«

Mit dieser Kompromißformel hofft der Hamburger Professor Bernhard Sticker, Präsident des deutschen Copernicus-Komitees. den alten und zeitweilig mit maßloser Heftigkeit geführten Streit um die Nationalität des berühmten Astronomen, Juristen, Arztes und Politikers Nicolaus Copernicus (1473 bis 1543) zu beenden.

Bereits im 17. Jahrhundert hatte der polnische Gelehrte Simon Starowolski die polnische Herkunft des Copernicus behauptet. Im 19. und 20. Jahrhundert versuchten die Historiker Ludwig Anton Birkenmajer und sein Sohn Alexander nachzuweisen, daß die »schlesischen Vorfahren« des Astronomen polnischer Nationalität gewesen seien.

Dem widersprachen im 19. Jahrhundert der deutsche Copernicus-Biograph Leopold Prowe und im 20. Jahrhundert vor allem der schlesische Heimathistoriker und Breslauer Oberbürgermeister Georg Bender, der Copernicus als »größten Sohn der deutschen Ostmark und den besonderen Stolz seines preußischen Heimatlandes und der alten deutschen Weichselburg Thorn« feierte. Noch 1954 erregte sich das »Bulletin« der Bundesregierung über »Die Umvolkung des Nicolaus Copernicus durch die Polen«.

Die deutsch-polnische Versöhnung in Sachen Copernicus kommt gerade rechtzeitig zum 500. Geburtstag des Astronomen« der am Montag dieser Woche in aller Welt gefeiert wird. So wird eine Sechs-Meter-Statue des Copernicus in der ermländischen Domstadt Frauenburg aufgestellt. Weiter erinnern Staatsakte in Ost-Berlin und Warschau, Festsitzungen in Akademien und Universitäten, Rundfunk- und Fernsehsendungen, Briefmarken und Gedenkmünzen an die copernicanische Wende, an jene damals revolutionäre Erkenntnis, daß die Erde nicht der Mittelpunkt des Universums, sondern ein Planet ist, der sich um die Sonne dreht.

Mitentscheidend für die Beilegung des Streits um Copernicus sind auch neue Dokumentenfunde des polnischen Historikers Marian Biskup, des zukünftigen Herausgebers der ökonomischen Copernicus-Schriften und eines 500-Dokumente-Bandes.

Zwei neue Dokumente - eines fand Biskup im Staatlichen Archivlager Göttingen - erweisen endgültig, daß Copernicus »ein guter Bürger des polnischen Staates« gewesen ist. So legte Domherr Copernicus im Dezember 1512 vor seinem neuen Fürstbischof Fabian von Lossainen einen Treueid auf den polnischen König ab. Diesen Eid hat er sein ganzes Leben lang gehalten.

Ferner fand Biskup einen Brief des Copernicus aus dem Jahre 1520 an den polnischen König Sigismund 1. Darin erbat Copernicus als Landpropst des Domkapitels in Allenstein im Krieg des Deutschen Ordens gegen Polen (Dezember 1519 bis Februar 1521) vom König Hilfe gegen den Orden und versicherte den Monarchen zugleich seiner »völligen Treue und Loyalität«.

Die Verteidigung Allensteins organisierte Copernicus zusammen mit einer kleinen, vom König geschickten Entsatz-Truppe. Mit den beschlagnahmten Einkünften der nach Danzig oder Elbing geflohenen Domherren ließ er Kanonen, Hakenbüchsen, Pulver, Blei und Pech kaufen. In polnischen Schriften des 19. Jahrhunderts wurde diese Tat zur Heldenlegende stilisiert: Copernicus selbst, hieß es, habe die Kanonen abgeschossen. Aber historische Tatsache ist: Allenstein wurde von den Ordenstruppen niemals belagert. sondern umgangen.

Nach dem Abschluß eines vierjährigen Waffenstillstands im April 1521 wurde Copernicus zum außerordentlichen »Kommissar des Ermlandes« berufen, um die Verwaltung des verwüsteten Bistums neu in Gang zu bringen.

Er leitete die Neubesiedlung der zerstörten Gebiete. Vor allem mußten zahlreiche Bauerngüter neuen Eigentümern oder Pächtern übertragen werden. wobei Copernicus auch polnische Siedler - so Biskup - freundlich aufnahm.

Als der Fürstbischof Fabian von Lossamen im Januar 1523 starb, ließ der polnische König die Bischofsresidenz Heilsberg besetzen. Copernicus, vom Domkapitel zum Generaladministrator des Bistums bestellt, erreichte in wenigen Monaten vom polnischen König, daß die polnischen Truppen das Ermland verließen, was ihm Deutschtümler wieder als Polenfeindlichkeit gutschrieben.

Die politische Tätigkeit des Copernicus, resümierte freilich Marian Biskup, könne nur aus den Umständen seiner Zeit und nicht nach dem Selbstverständnis preußisch-deutscher Nationalisten oder »galizischer Patrioten vom Ende des 19. Jahrhunderts« begriffen werden. Diese Tätigkeit erweist jedoch, daß der Astronom für das Königreich Polen und gegen die Deutschherren des Ordens optiert hatte.

Demgegenüber besagt der historische Streit um das sogenannte Volkstum des Copernicus nur noch wenig. Er gleicht einem Indizien-Prozeß ohne Richter, bei dem sich die Parteien ergebnislos gegenüberstehen.

Copernicus-Biograph Felix Schmeidler 1970: »Eine zweifelsfreie Entscheidung ist schwierig, weil die Quellen zu dürftig sind.«

* Mit Bildhauer Mieczyslaw Walter.

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