SCHALLPLATTEN / NEU IN DEUTSCHLAND Pedantische Träumerei
Er war noch nicht 50, da trat der Virtuose, von seinen Bewunderern als Genie gepriesen, von seinen Gegnern als »pianistischer Oberfeuerwerker« verspottet, von den Psychologen als Beispiel eines durch Präzisionszwänge unterdrückten vulkanischen Temperaments klassifiziert, 1953 vom Podium ab. Menschenscheu und von Nervenkrisen geschüttelt, so hieß es, floh Toscaninis Schwiegersohn in Heilanstalten und Schallplattenstudios.
Zwölf Jahre später, 1965, kehrte er in den Konzertsaal zurück. Er spielte in der New Yorker Carnegie Hall, in öffentlichen Rundfunkkonzerten, im Fernsehen. Die Schallplatten-Überspielung des Konzerts, das er in der Sendereihe »From Coast to Coast« gab, erschien nun -- zum 65. Geburtstag des Pianisten am 1. Oktober -- auch in Deutschland.
Mit dem Perl-Spiel seines Scarlatti oder mit Chopins g-Moll-Ballade, die sich in eine Folge brillanter Einzelheiten zerlegt, bleibt er nur Weltmeister der Miniatur. Diese Einschränkung aber wird mit der aus lauter pianistischen Höhepunkten zur Großform entwickelten fis-Moll-Polonaise sogleich berichtigt. Schumanns »Arabeske« verrät für Augenblicke großer Gelassenheit einen gewandelten, altersreiferen Horowitz. Aber in der »Träumerei« spielt er doch wieder gleichsam die Gänsefüßchen des Titels pedantisch mit und forciert die Schlichtheit dieser Kinderszene.