ZUCK ERBÄCKER Pfirsich im Pfeffer
Auf dem dünnen, buttrigen Blätterteig ruhen in einem Bett von Apfelpüree die deftigen Fruchtstücke, mit einem Butterflöckchen obenauf. Wenn sie golden und glänzend aus der heißen Röhre kommen, dürfen die federleichten Apfeldesserts ("Torte Eléonore") noch mit einem Löffel angesäuerter Sahne überträufelt werden, ehe man sie, halbwarm, verzehrt.
Die Empfehlung stammt von dem neuen Großmeister unter den Pariser Kuchenbäckern, von Gaston Lenôtre, 54. Wer heute in Paris einen der schlohweißen, mit braunem Band verzierten Kuchenkartons von Lenôtre über die Straße trägt, der hält zugleich ein Status-Symbol in der Hand: Denn Lenôtre ist im kleinen Klub der neuen französischen Küchen-Stars der einzige Konditor. Bei den Kreuzfahrten, auf denen die Top-Köche seit letztem Jahr jeweils im Mai das Mittelmeer mit 500 Luxus-Fressern durchpflügen, bestückt er die Büfetts mit Butterhörnchen und Petits fours.
In Paris betreibt Lenôtre sieben Patisserien, und am Sonntag kann der Kundenandrang im Stammhaus In Auteuil (wo Balzac mit der Gräfin Hanska hauste) nur mit Tickets und Nummernuhr gebändigt werden.
Während viele Pariser Traditions-Konditoreien in den letzten Jahren kläglich eingingen -- darunter auch eine berühmte »Madame Pompadour« -, breitet sich Lenôtre aus. Er kam erst vor knapp 20 Jahren aus einer kleinen Konditorei bei Deauville nach Paris, mit Frau Colette und zwölf Mitarbeitern. Heute registriert er 380 Angestellte (die Hälfte davon im Party-Küchendienst), und seine Arrangements von Schleckereien auf Silberplatten ließ er sich gesetzlich schützen.
Lenôtre hat den schlanken Trend schon früh erkannt: Den fetten Schichttorten, bei denen die Zähne in der Füllmasse kleben bleiben, sagte er frühzeitig adieu. Denn niemand mag sich mehr an Torten mästen, am allerwenigsten die Franzosen, die Kuchen nicht beim Nachmittagskaffee, sondern als Nachtisch verzehren, oft zweimal am Tag.
Des Meisters Cremes sind leicht, locker, luftig: »Seine »Charlotte Vanille«. schwärmt die »Times« von einer Schaumspeise« »schwebt am Gaumen, anstatt abzusinken wie ein französisches Schlachtschiff.«
Seinen Erfolg führt Lenôtre zuvörderst auf die Zutaten zurück: nur echte Butter (kein Pflanzenfett); Sahne und Eier von seinem Bauernhof in der Normandie; die süßen Mandeln (bittere verwendet er nicht) aus der Provence: Farbstoffe sind aus echten Blättern. Fruchtschalen oder Schildläusen.
Eine andere Besessenheit des Zuckerbäckers ist die, daß alles frisch sein muß: ·Die »Eléonore«-Apfeltörtchen schmurgeln immer nur höchstens zu sechst in seinen Öfen, damit sie stets lebwarm sind; seine Butterhörnchen. die »Croissants«, rücken alle Stunde aus den Öfen -- 5000 in Paris und 2500 (für 95 Pfennig pro Stück) in der Boutique im Berliner KaDeWe (Chef-Konditor Clemence: »Wir könnten noch mehr backen, die Leute kaufen alles auf").
Seine süßen Geheimnisse plaudert der Dessert-Star jetzt, unter dem Lock-Titel »Machen Sie Ihre Patisserie wie Lenôtre«, in einem luxuriösen Rezeptbuch aus; Verleger Flammarion (in seinem Programm: Francoise Sagan und Konrad Lorenz) gehört zu seinen treuen Leckerwaren-Kunden*.
* Gastori Lenstre: »Faites Votre Pâtisserje Comme Lenôtre«. Verlag Flammarion, Paris: 304 Seiten: 75 Franc.
Lenôtre folgt auch hier dem Zug der Zeit: Ein Buch vom Küchen-Papst Bocuse kam soeben auf den Markt; Michel Guérard veröffentlicht im Juni seine Mager-Kochrezepte; dazu erschienen vier Schallplatten mit Rezepten der neuen Küchenkunst -- auch da will Lenôtre bald was hinterhersprechen.
Beim Back-Buch ließ sich Vater Gaston von seiner Tochter Sylvie, 28. helfen. Zwei Jahre lang buk sie ("Vorkenntnisse hatte ich kaum. Wenn wir Kuchen wollen, gehen wir einfach zu Papa") 200 Rezepte bei sich zu Hause nach und berichtete dann über die Schwierigkeiten.
Nun sind alle Spezereien mit kleinen Konditormützen ausgezeichnet: Die mit einer Mütze (etwa Löffelbiskuits, Windbeutel, Sandplätzchen, Crêpes Suzette) sollen »selbst Anfängern gelingen«, die mit zwei (Baisers, Schweinsohren, Rum-Babas und auch Croissants) seien »schwieriger, aber ohne Probleme«, die mit drei Mützen (Blätterteig, die meisten Kremtorten, die fast vergessene Eichenrinde) dürften indes ("sie brauchen Übung") die reinen Amateure schrecken.
Dafür erhaschen die aufmerksamen Leser in Lenôtres Rezeptbuch die neuesten süßen Trends: Leichte Baisers sind wieder im Kommen, und Schokolade, ob bei Pralinen oder heißer Soße, muß pechschwarz und stark bitter sein.
Besonders erfinderisch wird der Meister im Umgang mit Sirup und Kompott. Bei Birnen, die mit Honig, Lorbeerblättern und Nelken gewürzt werden, und bei in Rotwein gekochten Pfirsichen propagiert er ein Löffelchen von gemahlenem schwarzen Pfeffer.
»Diese Gewürze mögen Sie erstaunen«, schreibt er, »aber sie erlauben Ihnen, originell zu sein.«