THEATER Phönix mit Fliege
Selbst als er der Öffentlichkeit endlich einmal etwas Erfreuliches mitzuteilen hatte, gab es »Tumulte«, so Die Welt«. Hamburgs Kultursenator Tarnowski hatte letzte Woche der Presse endlich einen möglichen Intendanten für Hamburgs Schauspielhaus genannt, den Regisseur Niels-Peter Rudolph.
Der Senator der großen Worte (Menschen, mit denen er umgeht, nennt er stets »Persönlichkeiten«, Unterhaltungen, die er führt, »hochqualifizierte Gespräche") und der eher kleinen Taten hatte wie in einem Lehrstück vorgeführt, daß man zu richtigen Lösungen kommen kann, auch und gerade dann, wenn man so gut wie alles falsch macht, was nur falsch zu machen ist. Er erschien als Phönix aus der Asche, wenn ein Phönix mit Fliege (Hamburger Presse-Spott: »Kulturpropeller") vorstellbar wäre.
Bis vor wenigen Wochen waren die beiden großen Hamburger Sprechbühnen, das Deutsche Schauspielhaus und das Thalia-Theater, durch das Geschick des als Nachfolger von Professor Biallas berufenen SPD-Mediziners Tarnowski verwaist.
Der Schauspielhaus-Intendant Nagel hatte vorzeitig das Handtuch geworfen. Boy Gobert, der zunächst, von Tarnowski favorisiert, eine General-Intendanz und dann die Intendanz des Schauspielhauses angestrebt hatte, schloß brüskiert und brüskierend mit Berlin ab. In Hamburg tobte ein »Theaterkrieg«, bei dem Bürgermeister Klose die Verlautbarungen und Entschlüsse seines Senators immer mal wieder dementierte. Schauspieler wanderten vom Schauspielhaus ab.
Als der Kultursenator nach Goberts Weggang mit seinem Latein am Ende schien, ließ er sich eine Findungskommission abringen, während er doch bei seiner Amtsübernahme souverän getönt hatte, eine Findungskommission werde es unter ihm nicht geben.
Das 23köpfige Gremium, das sich nun auf die gemeinsame Intendantensuche für beide Häuser machte, fand schnell für das Thalia-Theater in dem Schauspieler Peter Striebeck eine Lösung, die das »Nach Gobert die Sintflut«-Geschrei gegenstandslos machte: Striebeck, wie Gobert Schauspieler und wie sein Vorgänger im Ensemble beliebt und verwurzelt, kann Thalia-Kontinuität garantieren, ohne daß er das zwanghaft gespannte Verhältnis seines Vorgängers zum Schauspielhaus weitertransportieren müßte.
Für das Schauspielhaus stellte die Findungskommission eine Fünfer-Kandidatenliste zusammen, auf der neben Burgtheater-Direktor Benning die Regisseure Rudolph, Dieter Dorn und Benno Besson sowie, als möglicher eigener Nachfolger, der von Tarnowski vielgeschmähte Ivan Nagel standen.
Der Senator, Vorsitzender der Findungskommission, ließ wochenlang die Zügel schleifen, wohl auch deshalb, weil er von der Presse kolportierte abfällige Bemerkungen seines Bürgermeisters nicht recht zu verarbeiten wußte. Drei Wochen lang geschah so gut wie gar nichts, während die Presse in immer neuen Tatarenmeldungen von Kündigungen am Schauspielhaus berichtete. Die von Tarnowski angestrebte Interimsintendanz mit dem Schauspieler Rehberg platzte.
Den Kandidaten Benno Besson vermochte der Senator wochenlang nicht aufzufinden (das »Hamburger Abendblatt« stellte einen Telephonkontakt minutenschnell her), mit Ivan Nagel zu verhandeln, brachte Tarnowski so lange nicht über sich, bis seine briefliche verspätete Einladung an Nagel wie eine Ohrfeige wirken mußte.
Folgerichtig erteilte der amtierende Intendant dem Senator eine schallende Abfuhr und bescheinigte seinem Dienstherrn das Fehlen sowohl von »Sachverstand« als »Anstand«.
Der Senator, von der Presse inzwischen als »Lehrer Lämpel« ("Stern") und »zopfiger Musenprofessor« (Münchner »Abendzeitung") apostrophiert, dem man »notorische Tölpelhaftigkeit« ("Die Zeit") nachsagte und dem das »Hamburger Abendblatt« bescheinigte, daß sein »Dilettantismus nur noch durch seine Härte im Nehmen übertroffen« werde, führte inzwischen Gespräche ohne Auftrag mit Berlins Volksbühnen-Intendanten Hübner, über deren Verbindlichkeit die beiden Herren sich nachträglich nicht mehr einigen können.
Als wenige Tage vor der letzten Sitzung der Findungskommission Dieter Dorn aus München endgültig absagte (er hatte dort inzwischen die Kammerspiele-Intendanz angetragen bekommen), geriet der Senator vollends aus dem Tritt. Er ließ, so ein Mitglied der Findungskommission« die Einladung an Niels-Peter Rudolph absagen, dem letzten der verbliebenen Kandidaten der Fünfergruppe.
Erst die Kommission stellte in eigener Initiative die Verbindung zu Rudolph wieder her. Der zur Zeit in Berlin probende Regisseur kam kurzfristig nach Hamburg und überzeugte die Findungskommission so, daß sie einen einstimmigen Entschluß faßte.
Tarnowski, der sich zwar zu einer Charakteristik der Arbeitsvorstellungen von Rudolph und dessen Konzept für das Schauspielhaus vor der Presse nicht herablassen wollte, stellte Rudolph dennoch als seinen Wunschkandidaten von Anfang an dar.
In der Tat ist diese Deus-ex-machina-Lösung in letzter Minute, die auch dem Senator ein Weiterwursteln ermöglicht, das ihm schon die SPD-Arithmetik in der Hamburger Radikalenfrage garantiert, eine Lösung, wie sie auch unter günstigeren Voraussetzungen besser nicht hätte ausfallen können. Der 39jährige Niels-Peter Rudolph, als Co-Intendant in den letzten Jahren schon in Frankfurt und in Berlin im Gespräch, ist nicht nur einer der entschiedensten und neugierigsten Regisseure des deutschen Theaters (seine Stuttgarter Botho-Strauß-Inszenierungen sind dafür das beste Beispiel) sondern auch ein Theatermann, der mit Schauspielern gemeinsam seine Bühnenkonzepte zu entwickeln versteht.
In Hamburg allerdings erwarten Rudolph keine leichten Aufgaben. Durch das monatelange Hickhack verunsichert, ist ein Großteil des von Nagel aufgebauten Ensembles abgewandert oder in der Abwanderung begriffen. Da zwischen der jetzigen Spielzeit und dem Beginn der möglichen Intendanz Rudolphs das Schauspielhaus ein Jahr lang eine Interimslösung durchzustehen haben wird, drohen hier weitere Auflösungserscheinungen.
Das Verständnis, das die SPD-Kulturpolitik dem Schauspielhaus entgegenbringt, muß, soll es nicht auch künftig wieder zur programmierten Krise kommen, neu überdacht werden. Das betrifft sowohl den zu knappen Ausgaben-Etat, über den man Nagel letztlich straucheln ließ, als auch den vom Senator oft vorgetragenen Mißmut, es gingen zuviel junge Leute auf verbilligte Karten in das Theater an der Kirchenallee.
Und da das Schauspielhaus umgebaut wird, wobei die Experimentierbühne, der zur Hamburger Institution avancierte »Malersaal«, einem Parkhaus weichen soll, muß Rudolph auch darauf achten, daß ihm die Stadt eine ähnlich offene und einladende zweite Spielstätte zur Verfügung stellt.
Rudolph ist aus der Zeit der Intendanz Hans Lietzaus jedoch mit den Hamburger Verhältnissen einigermaßen vertraut: Er inszenierte in Hamburg einen vielbeachteten, damals allerdings auch vielgeschmähten »Woyzek«.
Über den noch nicht als Retter renommierten Regisseur schrieb die »Bild«-Zeitung unter der Überschrift »Nicht ins Herz getroffen«, daß nur manchmal »ein Schauspieler dem Regie-Zwang entrann«. Und auch die jetzt in Hamburgs Zeitungen nachträglich bejubelte Rudolph-Inszenierung von Shakespeares »Wie es Euch gefällt« wurde später von den Hamburger Zeitungen ("Hamburger Abendblatt": »Oft simplifizierende Regie") eher als Indiz gegen Ivan Nagels Spielplan und Konzept gewertet.
Der Regisseur Rudolph jedenfalls konnte in Ansätzen schon einmal erleben, was die Hamburger Theaterszenerie so schwierig macht: Theaterarbeit ist hier nur mit Unterstützung der offiziellen Kulturpolitik zu machen.
In den vergangenen Monaten hat der Senator dafür jedenfalls nicht einen Beweis geliefert, daß er willens ist, das von ihm ungeliebte Schauspielhaus auch einmal gegen eine entfesselte öffentliche Meinung in Schutz zu nehmen. Er redete vielmehr einem Feinsinn das Wort ("Theater der großen Texte"), der sich zuletzt bei wilhelminischen Schulfeiern bewähren durfte.
Mit der Berufung von Rudolph hat die Findungskommission es Tarnowski ermöglicht, sein Gesicht wiederzufinden. Ob er es. wahren kann, wird er in der Kooperation mit den beiden neuen Hamburger Intendanten zu zeigen haben.