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"Sprengt die Opernhäuser in die Luft!" PIERRE BOULEZ

aus DER SPIEGEL 40/1967

ist der bedeutendste Repräsentant einer jungen, radikalen Komponisten-Generation, die »ohne unnütze Melancholie, aber auch ohne Zögern« stets groß schreibt: »ARNOLD SCHÖNBERG IST TOT«.

Bevor Boulez, 42, der »kometenhaft emporgestiegene französische Komponist und Dirigent« ("Weitwoche"), den Zwölfton-Erfinder Schönberg begrub, hatte er selbst -- bis etwa 1950 -- dodekaphonisch komponiert. Dann entwickelte er die sogenannte serielle Technik, die Tonhöhe, Tondauer, Klangfarbe und Artikulation nahezu automatisch auf vorherbestimmte »Reihen« festlegt. Ende der fünfziger Jahre entdeckte Boulez seine »aleatorischen« (etwa: Würfelspiel-)Strukturen, die dem Interpreten Einfluß auf den Ablauf eines Stückes geben, aber dennoch Raum für die charakteristische Boulez-Färbung lassen: für eine unvergleichliche Logik und unüberhörbare fernöstliche Klänge.

Logisch und radikal pflegt Boulez auch zu handeln: Der Industriellensohn aus Montbrison verließ 1959 Paris, weil er fand, daß »in dieser Stadt die Organisation des Musiklebens noch stupider ist als irgendwo sonst auf der Welt«. Er ließ sich in Baden-Baden nieder und schlug alle Angebote der Franzosen aus -- unter anderem den Dirigentenpasten des Pariser »Conservatoire«-Orchesters. Mit temperamentvollen Aperçus und scharfsinnigen Analysen »illuminierte« der Theoretiker und Musikschriftsteller Boulez außerdem »manche düstere Ecke im heutigen Musikdenken« (so der Kritiker Rudolf Heinemann). Er relativierte zum Beispiel die historische Größe des Begründers der Zwölftonmusik Schönberg zugunsten des Schönberg-Schülers Webern; er entmythologisierte das Idol Strawinski, und er erklärte so sarkastisch wie erhellend -- im SPIEGEL-Gespräch dieser Ausgabe -- die Opern-Epoche von Berg bis Henze zur Null-Periode.

Aufsehen erregte der Opern-Kritiker und Musik-Neuerer auch als Opern-Dirigent. Boulez, der seine Karriere als Orchester-Chefin Jean-Louis Barraults Pariser Théâtre Marigny« begann, leitete in Bayreuth Wagners Bühnenweihfestspiel »Parsifal«. Unter internationalem Applaus deutete er die »Parsifal«-Partitur als absolute Musik und reinigte den Gral von sämtlichen nichtwagnerischen Spätromantizismen.

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