EUROPA I Piraterie im Äther
Läßt sich die Bundesrepublik«, so fragte die »Saarbrücker Zeitung«, »in die gleiche Situation wie das kleine Fürstentum Monaco bringen ...?«
Anlaß zu der Frage, die das Blatt Anfang 1960 stellte, war die weithin unbekannte Tatsache, daß die deutsche Bundesregierung »einen durch Frankreich kontrollierten Sender auf eigenem Grund und Boden duldet«, der Programme in französischer Sprache nach Frankreich strahlt.
Daß dieser Fremdsender - die auf dem Felsberg bei Saarlouis errichtete Station »Europa I« - nunmehr sogar mit beträchtlichem Gewinn arbeitet, ist einem Geschäftsbericht zu entnehmen, den die »Europäische Rundfunk- und Fernseh-AG« demnächst veröffentlichen will: Allein in den drei Monaten Juli bis September 1959 erwirtschaftete der von der Aktiengesellschaft betriebene Sender durch Reklameprogramme einen Gewinn von rund einer Million Mark.
Damit wird publik, daß jetzt ein Sender auch wirtschaftlich reüssiert - sein Programm ist bei den französischen Rundfunkhörern seit Jahren beliebt -, der das kurioseste Produkt französisch-deutscher Kulturpolitik ist:
- »Europa I« verletzt den Grundsatz sowohl bundesrepublikanischer als auch französischer Wellenpolitik, private Rundfunksender nicht zuzulassen.
- Rund die Hälfte aller Aktien der »Europäischen Rundfunk- und Fernseh-AG« besitzt der französische Staat, der somit seine eigenen Gesetze unterhöhlt.
Die Geschichte des Senders begann in den Saar-Wirren Anfang der fünfziger Jahre. Damals kam der staatenlose ehemalige Uhrenhändler Charles Michelson auf den Gedanken, in dem noch autonomen Saargebiet einen privaten Rundfunksender zu errichten, der sich aus Werbe-Einnahmen finanzieren sollte.
Der Werbe-Experte hatte bereits begonnen, in Monte Carlo - mit seiner monegassischen Gesellschaft »Images et Son« (Bilder und Ton) - eine private Fernsehstation zu demselben Zweck aufzubauen, dem auch der Saar-Sender dienen sollte.
An der Saar Fuß zu fassen, gelang Michelson mit Hilfe eines Koppelgeschäfts. Er versprach 1952 dem damaligen Saar-Ministerpräsidenten Johannes Hoffmann, einen kompletten Fernsehsender für das kleine Land zu erstellen und zu betreiben, wenn die Saar-Regierung der »Saarländischen Fernseh-AG«, einer Tochtergesellschaft von »Images et Son« (die später in, »Europäische Rundfunk- und Fernseh-AG« umbenannt wurde), dafür das Recht einräumte, auf saarländischem Boden einen privaten Rundfunksender zu errichten.
Hoffmann unterschrieb. Anfang 1954 begann die Fernsehstation »Tele-Saar« Sendungen auszustrahlen; am 1. Januar 1955 wurde der Langwellensender auf dem Felsberg in Betrieb genommen.
Seitdem ist er für die Franzosen längst zu einer Art nationaler Institution geworden. Mit dem flotten, unkonventionell gemachten Programm, das nicht in Saarbrücken, sondern in Paris fabriziert wird, verlocken die Redakteure von »Europa I« viele Hörer, vom französischen Staatsrundfunk auf die Werbewelle umzuschalten.
Wie populär der Privatsender in Frankreich ist, erwies sich beispielsweise, als »Europa I« zur Katastrophen-Hilfe aufrief: Nach dem Dammbruch von, Fröjus spendeten die Hörer 670 Millionen (alte) Franc (rund sechs Millionen Mark) als erste Hilfe; und 24 Stunden nach dem Erdbeben von Agadir ließ der Sender 64 Ärzte, die sich auf seinen Aufruf hin freiwillig gemeldet hatten, mit einem Charterflugzeug für 14 Tage nach Marokko fliegen.
Als »Europa I«-Gründer Michelson 1952 mit der saarländischen Regierung paktierte, sicherte er sich geschickt gegen Unbilden, die seine Sendegesellschaft bei der veränderlichen politischen Lage an der Saar bedrohen konnten: Die regierungseigene saarländische Rundfunkanstalt mußte sich zu hohen Regreßzahlungen für den Fall verpflichten, darf die Michelson-Gesellschaft etwa vor Ablauf von fünfzig Jahren »durch Einwirkung von dritter Seite« gehindert werde, ihren Sendebetrieb weiterzuführen. Der Saar-Rundfunk sollte im Hinderungsfalle der »Europäischen Rundfunk- und Fernseh-AG« für jedes an der vereinbarten Vertragszeit fehlende Jahr fünf Prozent des investierten Kapitals als Entschädigung zahlen.
Dieser absonderliche Vertrag mit dem saarländischen Separatisten-Regime ist ein Grund, daß »Europa I« alle Stürme seiner Gründerjahre überstand.
Selbst als sich mehrere ausländische Rundfunkstationen, vor allem in Skandinavien, über Störungen ihres Sendebetriebs durch den Europa-Sender beschwerten, der auf einer »gestohlenen« Welle mit einer Sendestärke von 400 Kilowatt arbeitete, machte das Bundespostministerium den Ingenieuren auf dem Felsberg lediglich »technische Auflagen«. Sie mußten ihre Sendungen fortan nach Osten und Nordosten abschirmen.
Erst Ende 1957 entdeckten Juristen im Bundespostministerium, daß die Verträge der alten Saar-Regierung mit den Rundfunkleuten, speziell wegen der Bestimmungen über die Regreßzahlungen, möglicherweise - da sittenwidrig - null und nichtig seien. Die Bundesregierung reagierte hastig: Der Postminister eröffnete der Landesregierung in Saarbrücken, daß der Sender »Europa I« spätestens am 30. Juni 1958 stillgelegt werden müsse. Die Bundesregierung wollte auf der für Anfang 1961 angesetzten internationalen Wellenkonferenz eine Frequenz für den seit langem geplanten bundesdeutschen Langwellensender aushandeln und ihre Position nicht von vornherein dadurch belasten, daß sie in ihrem Hoheitsbereich einen »Piratensender« duldet.
Allein, Bonns Initiative teilte das Schicksal von Frankreichs IV. Republik: Sie schwand, als de Gaulle am 30. Mai 1958 die Regierung übernahm. Die Tatsache, daß der Sender »Europa I« schon frühzeitig die Parole von der »Nouvelle France« aufgegriffen und vorsichtig für die De-Gaulle-Bewegung agitiert hatte, veranlaßte die Bonner zur Rücksichtnahme.
Als im Spätsommer vergangenen Jahres die Holdinggesellschaft »Société financière de Radiodiffusion«, die zu 97 Prozent im Besitz des französischen Staates ist, ein stattliches Aktienpaket (47 1/2 Prozent aller Anteile) der »Europäischen Rundfunk- und Fernseh-AG« übernahm, war das Paradoxon komplett.
Da überdies die für Anfang 1961 geplante Wellenkonferenz inzwischen abgesagt wurde, hat sich der Vorstand der Werbefunkgesellschaft an der Saar gute Chancen errechnet, den Sender noch einige Jahre zu betreiben.
»Die nächste Wellenkonferenz findet erst 1964 statt«, frohlockte in Saarbrücken Eugen Meyer, Geschichtsprofessor und Vorstandsmitglied der saarländischen »Bilder und Ton«-Filiale. Bis dahin werde sich »Europa I« auf jeden Fall eines »ungestörten Betriebes erfreuen«.
Privater Sender »Europa I": Millionengewinn auf gestohlener Welle
Meyer