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FERNSEHEN Plusminus null

Die ARD versucht sich, kleinmütig wie gewohnt, wieder einmal an einer Programmreform.
aus DER SPIEGEL 43/1976

Manche Programmformen, die wir seit langem gewohnt sind«, so verkündete unlängst der Frankfurter Intendant Werner Hess, »wirken heute antiquiert.« Nun sei es Zeit, »nicht nur einige Arabesken am Rande zu verändern«, eine »grundsätzliche Strukturdebatte« über die ARD-Televisionen stehe »dringend bevor«.

Sieh da, im verkarsteten ARD-Apparat regt sich wieder einmal Reformeifer. Und im Gegensatz zum kläglich gescheiterten Revisions-Versuch von 1973, als das ZDF mit seinem 19-Uhr-Frühstart mächtig in die ARD-Domänen eingebrochen war, sollen diesmal den großen Worten wirklich kleine Taten folgen. Vom übernächsten Jahr an -- das ist der Intendanten fester Wille wird das Erste TV-Programm »zuschauerfreundlicher«, und das heißt: Abbau der »Überpolitisierung«, verstärkte »Pflege des Unterhaltungselements«.

Mit der Planung für die Programm-Politur hatten die Anstaltschefs vergangenen März eine schon seit Jahren erfolglos wirkende, am Kleinmut der Intendanten verzweifelnde Sonderkommission betraut. In strengster Geheimhaltung, unter Leitung des ARD-Programmdirektors Hans Abich, erarbeitete die »Analyse- und Entwerfergruppe« (AEG) ein Sende-Design, das -- im Kern mit folgenden Novitäten aufwartet:

* Auf den Platz der Montagsmagazine rückt eine Spielserie von 60 Minuten.

* Die Spätausgabe der »Tagesschau« wird durch ein halbstündiges »Tagesmagazin« (TM) ersetzt, das werktäglich, um 22.30 Uhr, aktuelle News aus Politik, Wirtschaft und Kultur mit Kommentaren, Reportagen und Hintergrundberichten vertiefen soll.

* Die Magazin-Termine werden »verdünnt«; das Wirtschaftskaleidoskop »Plusminus« verliert seinen Stammplatz am Donnerstag.

Zumindest einer dieser AEG-Vorschläge, über die der Intendanten-Klub Anfang November abstimmen will und die noch in diesem Jahr im Koordinierungs-Ausschuß mit dem ZDF debattiert werden sollen, gilt schon als akzeptiert. Montags, 20.15 Uhr, wird künftig die ARD-Spielserie fest etabliert. Sie soll, so hat es der zuständige AEG-Entwerfer Günter Rohrbach

* Oben: Manfred Trebess in Plusminus: Mitte: Franc Alt in »Report : unten: Gerhard Bott in »Panorama'

(WDR) angeregt, aus »historischen und zeitgenössischen« Storys bestehen und den angelsächsischen TV-Vorbildern »soap opera und »comedy show« nacheifern.

Neuralgische Punkte im AEG-Papier sind vorerst noch die Reformvorstellungen zur ARD-Politik. Um den Standort der TM-Nachrichtenshow' die künftig Friedrich Nowottnys Hof-»Bericht aus Bonn« überflüssig machen würde, bewerben sich bisher drei Anstalten.

Der WDR verweist auf TM-Erfahrungen in seinem Dritten Programm und auf seinen Bonner Studio-Apparat. Der NDR setzt' mit seiner »Tagesschau«-Redaktion, auf die »normative Kraft des Faktischen«. Doch die Chancen der Hamburger stehen nicht gut. Schon lange nämlich mäkeln die ARD-Oberen über die Spätausgabe der »Tagesschau«, die ihrer Meinung nach zu viele Auslandsberichte und zu wenig Innenpolitik bringt. Die kleinen Südsender schließlich, die »Acht-Prozent-Anstalten«, sind mißtrauisch gegen Machtkonzentration und bevorzugen den Hessischen Rundfunk.

Die Bayern reiten, wie üblich, noch eine Extratour. Sie wollen im »Tagesmagazin« auf jeden Fall ein »regionales Fenster« öffnen und damit einen lang gehegten Wunsch nach mehr bayrischem Kolorit im Gemeinschaftsprogramm realisieren. Nach Münchner Plänen könnte etwa umschichtig jeder Sender jeweils fünf Minuten eigene Provinz-Berichte in das TM einbringen -- ein für die AEG-Mehrheit »alberner« Gedanke, der »das Tagesmagazin killen würde«.

Gewähr für weiteren ARD-Zank bietet auch der AEG-Schlag gegen die »unerträgliche Magazinitis«. Die mittlerweile moribunden, vom Zuschauerschwund kraß betroffenen Background-Shows »Panorama"' »Report« und »Monitor« sollen entweder montags, 21.15 Uhr, laufen (und damit in ruinöse Konkurrenz zu Kinofilmen im ZDF treten) oder auf den 21-Uhr-Termin am Dienstag rutschen.

Da Mainz zu dieser Stunde den »Blickpunkt« und »Kennzeichen D« ausfunkt, hätten die TV-Funktionäre freilich wieder ein lästiges Problem am Hals: eine neue »politische Schutzzone«.

Ungeklärt ist auch, ob die »Plusminus«-Wirtschaftler, die ihren Donnerstag-Platz an die »Brennpunkt«-Dokumentation. aktuelle Features und das Hearing »Bestandsaufnahme«, abtreten müssen, künftig subaltern als Zulieferer für »Panorama« und Co. fungieren oder ob sie -- anstelle eines Politmagazins -- eine eigene Sendung behalten. »Wo das Blut fließt, wo zur Ader gelassen wird«, sagt ein ARD-Manager, »muß noch ausdiskutiert werden.« Eisern jedenfalls steht der ARD-Entschluß, den politischen Ressorts nur noch einen Wochen-Termin zuzubilligen.

Ebenso hartnäckig allerdings haben die TV-Herren dem Ratschlag ihrer Reformkommission getrotzt, die ARD-Struktur einschneidend zu revidieren.

Die Vorverlegung des »Tagesmagazins« auf 20 Uhr, wurde schon in Vorgesprächen einhellig verworfen. Abgeschmettert (zum wievielten Mal?) ist auch die Empfehlung. den von den meisten TV-Journalisten verwünschten' »anachronistischen« 20-Uhr-Start der ARD endgültig abzuschaffen. Doch dann würden die Regionalberichte in die zuschauerschwächere Vesper-Zeit vor 19 Uhr abgedrängt sind das, so argumentieren die Intendanten, könne man den auf TV-Imagepflege erpichten Länderregierungen nicht zumuten. Wirkungslos verpuffte die Mahnung der »Analyse- und Entwerfergruppe«, daß »das ZDF uns in der Zeit zwischen 19 und 20 Uhr ganz davonläuft«.

Kein Wunder, daß die ARD-Basis in den Reformwillen ihrer hasenfüßigen Direktoren wenig Vertrauen setzt. Am Ende, resigniert ein Hamburger Redakteur, »bleibt's doch wieder bei minimalen Schönheitsreparaturen« -- mit anderen Worten: Plusminus null? ·

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