»Kaulitz Hills – Senf aus Hollywood« und »Lanz & Precht« Plapper-Podcasts mit saftigen Details

Kant-Zitate bei Markus Lanz und Richard David Precht – oder lieber Kotzgeschichten mit den Kaulitz-Brüdern Bill und Tom? Die beiden neuen »Zwei-Typen-labern-miteinander-Podcasts« bieten beides.
Tom und Bill Kaulitz: Offener Umgang mit unappetitlichen Gepflogenheiten

Tom und Bill Kaulitz: Offener Umgang mit unappetitlichen Gepflogenheiten

Foto:

Brad Elterman

So plattmachend komplex die Welt einem gerade auch erscheinen mag, kann man die Menschen wahrscheinlich am Ende doch ganz einfach in zwei Kategorien einordnen: in jene, die mit Vergnügen die Frage erkniffeln, im Haus welcher prominenter Freunde der Tokio-Hotel-Zwillinge Bill und Tom Kaulitz wohl überdimensionierte Porträtfotos der nackten Bewohner-Glieder an der Wand hängen, auf denen die Genitalien obendrein winzige Hüte und Brillen tragen. Und zum zweiten in jene Menschen, die gerne darüber nachdenken, ob Populärphilosoph Richard David Precht es wirklich ernst meint, wenn er zu Markus Lanz sagt, man könnte ja auch schon daran die quasi erreichte Gleichberechtigung der Geschlechter erkennen, dass Angela Merkel Kanzlerin sei.

Für beide Menschengruppen gibt es jetzt jeweils einen neuen Podcast: »Kaulitz Hills – Senf aus Hollywood«, in dem die beiden Popbrüder sich über dunkle Tage ihrer Karriere und lustige Nächte im Hotel Chateau Marmont unterhalten (und dabei jede Woche vergnügt einen anderen Drink zubereiten). Und »Lanz & Precht«, in dem die namensgebenden Männer passende Kant-Zitate zu Afghanistan liefern und darüber sinnieren, ob "Indianer" denn nun wirklich so eine schlimme Beleidigung wäre, ganz sicher könne man das ja leider nicht wissen, weil beide keine Native Americans kennen.

Feldherr oder Pulsnehmer

Beide neuen Podcasts sind klassische Zwei-Typen-labern-miteinander-Formate, nur die Tonalität schwankt minimal: Während Bill Kaulitz personalisierte Briefpapiersets mit eigenem Wappen »so richtig verfotzt« findet, beklagt Richard David Precht, der Rassismus-Vorwurf werde »extensional expandiert« und damit »gleichzeitig intentional restringiert«.

Und weil solche Plapper-Podcasts die digital-akkustische Variante zu laut sprechenden Menschen am Café-Nebentisch sind, kann man ihren ganz persönlichen Nutz- und Unterhaltungswert am besten daran messen, ob man seinen Stuhl im Falle einer leibhaftigen Begegnung unauffällig näher rankippeln würde, oder lieber auf den freien Tisch im Eck umzöge, auch wenn der direkt an der Tür zu den Toiletten liegt.

Bei Precht und Lanz würde man auf jeden Fall so lange zuhören, bis der Verdacht geklärt wäre, ob es sein könnte, dass der eine den anderen immer wieder subtil zumindest softig disst. Etwa an der Stelle in der ersten Folge, als Precht die unterschiedlichen Perspektiven der beiden auf die Welt so erklärt: Er selbst betrachte wie ein Feldherr von einem Hügel aus mit dem Fernglas von Weitem die Schlacht und schaue sich das Treiben »so aus dem Himmel an«. Lanz stehe dagegen in erster Reihe im Schlachtscharmützel und bekomme die Menschen ganz unmittelbar mit: »Du siehst sie zappeln, du siehst sie schwitzen, du siehst sie reden«, und so bekäme er ein ganz anderes Gefühl, was in diesem Land so vorgehe. »Ist wahr«, sagt Lanz, dem eben vom Wanderer über dem Nebelmeer die Rolle des emsigen Pulsnehmers im klebrigen Menschengewühl zugedacht wurde. Er selbst könne das ja nicht, sagt Precht, was Lanz da in seinen Sendungen leiste, zu sehr sähe man ihm selbst sofort an, wenn ihn ein Gesprächspartner nicht interessiert.

Gedankenbaiser vom Goldrandteller knabbern

Sonderlich weit geöffnet scheint der Prechtsche Horizont, so vom Hügel herab, allerdings auch nicht zu sein. Als die beiden über gendergerechte Sprache reden, die Precht als »unästhetische Korrektur« ansieht, geht es nur darum, ob er selbst sie »brauche«: »Ich halte das nicht für nötig«, sagt er und scheint gar nicht auf die Idee zu kommen, dass das womöglich auch daran liegen könnte, dass ihn der bisherige, von der männlichen Form dominierte Sprachgebrauch ja nicht ausschließe.

Lanz lacht und sagt »hm« und progostiziert, Precht werde womöglich Ärger bekommen für diese Sicht. Ein bisschen zu groß scheint seine Bewunderung für den Philosophen, dessen Intelligenz er immer wieder lobt, um ihm auch einmal deutlich zu widersprechen, wenn der offenen Unsinn redet. Etwa, wenn er »Tootsie« als Film bezeichnet, der »im Transgender-Genre angesiedelt« sei – da wäre es hilfreich gewesen, ihm einmal den Unterschied zwischen Drag und trans zu erklären.

Während Lanz und Precht also Gedankenbaiser vom Goldrandteller knabbern, geht es bei den Kaulitzen deutlich weniger prätenziös zu. Besonders reizvoll ist die Nebentisch-Fantasie bei ihnen, wenn man sich vorstellt, wie wunderbar man noch mehr saftige Details aus dem deutlich plapperfroheren Bill herauskitzeln könnte, wenn Tom zwischendurch mal aufs Klo gehen muss.

Ein kleines Kötzerchen im Taxi

Schnell zeigt sich nämlich eine schöne Dynamik zwischen den beiden, man kann sich das reale Brudergeflecht tatsächlich gut vorstellen: Bill ist die »Zentrale Kaulitz«, er managt das soziale Leben, Freunde und Bekannte, Tom scheint deutlich kontakt-genügsamer, würde am liebsten nur mit seinem Bruder und Frau Heidi Geburtstag feiern und nicht noch Roland Emmerich einladen (der dann leider doch nicht zur Party anlässlich des 32. Wiegenfestes der Zwillinge kam, wie man in der nächsten Folge erfährt).

Tom scheint auch deutlich bedachter darin, was er aus seinem Leben preisgibt, während Bill auch schon mal aufgekratzt erzählt, dass er kürzlich in den frühen Morgenstunden bei der Taxiheimfahrt nach einer wüsten Partynacht leider ein kleines Kötzerchen machen musste, was glücklicherweise sehr diskret vonstatten ging, weil er dabei einfach seine Corona-Maske aufbehielt. Danke für diesen Lifehack.

Das Gespräch zwischen den Kaulitz-Brüdern fühlt sich deutlich weniger podcastig an als die Lanz-Precht-Dialoge, weil es – ganz wie im Leben – blitzschnell von quatschigem Klatsch zu echten Verletzungen umschwenken kann. Eben lachen die beiden noch über die neuesten Raunegeschichten, die sich die Boulevardmagazine wieder über sie nachgedacht haben. Schon im nächsten Moment erzählt Bill, er habe sich »wie eine Nutte« gefühlt, als die beiden zu Hochzeiten des Tokio-Hotel-Hypes ihren 16. Geburtstag mit einer Boulevardzeitung feiern mussten. Nicht aus freiem PR-Willen, sondern als Teil eines Deals, damit andere Geschichten über sie als Gegenleistung nicht gedruckt würden. »Du musst denen was beschissenes geben, damit die was noch beschisseneres nicht schreiben«, sagt Tom.

Gerade dieser offene Umgang mit den auch unappetitlichen Gepflogenheiten der Branche könnte in den weiteren Folgen noch interessant werden. Tom hat allerdings angekündigt, die Themen sollen bald auch ernster werden, philosophischer, Sinn des Lebens, was ist Glück und so weiter. Muss nicht unbedingt sein. Darüber reden ja schon die beiden Männer in den schwarzen Hemden, dort am runden Tisch in der Mitte des Cafés.

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