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Mode Preiswertes Immergrün

Die Haute Couture in Frankreich ist in der Krise. Der teure Luxus der Modellhäuser bringt nur noch Verluste ein.
aus DER SPIEGEL 44/1991

Die Pariser Haute Couture ist in die Jahre gekommen, und das halten viele ihrer Macher für einen Grund zum Feiern. Emanuel Ungaro beging jüngst das 25jährige Bestehen seines Hauses. Yves Saint Laurents Atelier wird kommenden Februar 30 Jahre alt. Letzten Montag bat der Grandseigneur der Couturiers, Hubert de Givenchy, 64, zum Empfang. Mit der internationalen Hautevolee wurde auf das 40jährige Bestehen seines Salons angestoßen.

Abseits der Festivitäten jubelt inzwischen keiner mehr. Im Gegenteil: Seit Monaten streiten sich die Modemacher darüber, ob die Haute Couture überhaupt noch eine Zukunft hat.

Von Selbstzweifeln nicht betroffen sind die Pret-a-porter-Schauen, deren jüngste Pariser Ausgabe letzte Woche über die Laufstege ging: Das halbjährliche Defilee der Konfektionsmodelle bildet die Basis für die weltweiten Orders im Kleiderhandel und liefert den Schlüssel zum Rätselraten über die Trends; auch letzte Woche in Paris ging es vor allem wieder um den Stand der Rocksäume - Lagerfeld: lang, Saint Laurent: kurz.

Doch eine Welle von Erschütterungen hat nun die Glitzer- und Luxusseite des Couture-Geschäfts erfaßt - betroffen sind fast alle Modehäuser mit den klangvollen Namen.

Ausgerechnet Pierre Berge, Präsident des Hauses Yves Saint Laurent, eröffnete jüngst die selbstmörderische Diskussion. »Mit seinem teuersten Füllfederhalter«, wie das französische Blatt Nouvelle Observateur bemerkte, schrieb er einen Brief an die Vereinigung des französischen Modehandwerks; darin schlug er der Branche vor, die Haute Couture zugunsten der Pret-a-porter »in absehbarer Zeit« aufzugeben.

Die Schneider-Kollegen nahmen es nicht als freundschaftlichen Rat, sondern als Rufmord, schlimmer noch, als Brutus-Akt. »Er beleidigt uns«, empörte sich Pierre Cardin, und Emanuel Ungaro drohte Vergeltungsmaßnahmen an: Bevor er auf die Haute Couture verzichte, schneide er sich lieber einen Arm ab.

Auch Christian Lacroix, mit gerade vier Jahren Erfahrung der Neue in der Couture-Etage, meldete sich indigniert zu Wort: »Er hat nicht das Recht zu sagen, daß die Couture tot ist oder zugrunde geht. Berge möchte, daß die Couture mit Yves endet. Er spricht, als ob er Yves schon beerdigt hätte.«

Mögen die Ansichten von Berge trotzig oder elitär sein - fest steht, daß die Haute Couture schon länger in der Krise steckt. Rezession und eine immer teurer werdende Produktion schränken den Kreis der Käufer mehr und mehr ein. Seit Gloria von Thurn und Taxis mit dem Nachlaß ihres Fürsten nicht zurechtkommt, seit Ivana Trump von ihrer Abfindung leben muß und die reichen Damen Arabiens knapp bei Petrodollar gehalten werden, fangen auf einmal alle an zu rechnen. Der Erwerb eines teuren handgenähten Fummels kostet im Schnitt 30 000 Mark. Die muß man erst mal haben.

So ist die Zahl der Haute-Couture-Kundinnen in aller Welt auf knapp 2000 geschrumpft. Jede Überläuferin zu maschinengefertigten Pret-a-porter-Kollektionen ist für die noblen Salons ein Verlust. Ganze 4000 Einzelstücke verkaufen sie noch pro Saison. An der Spitze stehen dabei die Häuser Chanel, Dior, Scherrer und Yves Saint Laurent, die je 500 Teile pro Saison an die Frau bringen. Insgesamt machen die 21 Pariser Haute-Couture-Häuser einen Umsatz von etwa 110 Millionen Mark.

Aber das reicht längst nicht, um die Verluste aufzufangen. Saint Laurent läßt sich sein Engagement in der Haute Couture pro Jahr 21 Millionen Mark kosten. Andere Couture-Kollegen können da nicht mehr mit. Serge Lepage mußte seinen Salon schließen, Andre Courreges die Couture einstellen. Bei Nina Ricci wurde in den Ateliers Kurzarbeit eingeführt. Auch Christian Lacroix mußte sparen. Statt mit exotischen Schnittblumen ließ er Laufstege und Models mit preiswertem Immergrün schmücken.

Die meisten Couturiers sind inzwischen nicht mehr Unternehmer, sondern Angestellte. Hinter einem so klangvollen Namen wie Lanvin etwa stehen die französische Gruppe Orcofi und der Beauty-Konzern L'Oreal. Bernard Arnault, Chef der Financiere Agache, hat Givenchy, Dior und Lacroix erworben. Die Groß-Finanziers kaufen und verkaufen die Luxusmarken wie Gebrauchtwagen. In den vergangenen beiden Jahren hat die Hälfte der Salons den Besitzer gewechselt oder neue Miteigentümer bekommen.

Aber gerade jetzt, so fordern viele, gelte es, die exklusiven Marken zu erhalten. »Wenn Paris die Hauptstadt der Mode ist, dann nur, weil hier die Haute Couture zu Hause ist«, sagt Jacques Mouclier von der Federation Francaise de la Couture. Ohne sie, so seine Überzeugung, käme die französische Pret-aporter nicht gegen die Konkurrenz aus Italien und der Bundesrepublik an.

Für ihn ist die Haute Couture nicht nur Garant für etwa 40 000 Arbeitsplätze, die direkt oder indirekt von ihr abhängen, sondern vor allem der Katalysator der gesamten französischen Mode- und Parfüm-Industrie. Für Mouclier ist das eine einfache Rechnung: »Tausend Journalisten aus aller Welt kommen zweimal im Jahr nach Paris zu den Couture-Schauen. Sie berichten darüber auf 1500 Seiten in den Printmedien und in rund 150 Radio- und Fernsehsendungen. Und das alles für umgerechnet rund hundert Millionen Mark, die in die Haute Couture investiert werden.«

Doch selbst am Werbenutzen der Haute Couture wird inzwischen gezweifelt. Allen voran von Chef-Nörgler Berge: »Pret-a-porter und Parfüms puschen sich selbst«, sagt er. »Nehmen wir Lacroix. Verkauft der seine Mode? Nein. Verkauft er sein Parfüm? Ein totaler Flop. Andererseits hat die Modefirma Cacharel gleich zwei Parfüms, nämlich ,AnaIs AnaIs' und ,Lou Lou', zu einem weltweiten Erfolg gebracht.« Ohne Haute Couture.

Darüber hinaus mißfällt dem konservativen Mann, der auch als Frankreichs zukünftiger Kulturminister gehandelt wird, daß sich alte Häuser von fremden Designern ein neues Image verpassen lassen. Berge paßt es nicht, daß Lagerfeld bei Chanel und Ferre bei Dior Erfolge zu verzeichnen haben: »Wenn jemand für ein anderes Haus arbeitet«, sagt er, »beweist das nur, daß er nicht genug Talent hat, unter seinem eigenen Namen zu arbeiten.«

Damit läßt sich die Oberliga französischen Modehandwerks den Schneid nicht abkaufen. »Die Zeiten ändern sich und auch das Konzept der Haute Couture. Aber das heißt nicht, daß sie verschwinden muß«, sagt Lagerfeld.

Das verbietet schon der Nationalstolz. Mit Frankreich, so ergab eine Umfrage, assoziiert die Welt nicht nur Champagner und Baskenmütze, sondern vor allem Haute Couture - egal von wem sie in welchem Haus gemacht wird. o

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