POPMUSIK Pures Gold
Ob die Beatles wieder zusammenkommen werden, das ist -- auch außerhalb der Sauregurkenzeit -- in der internationalen Presse seit langem Phantom-Thema Nummer eins.
John, Paul, George und Ringo, so war zu lesen, hätten dem 50-Millionen-Dollar-Angebot eines US-Impresarios für ein einziges Konzert bereits zugestimmt. Sie planten, so wurde anderswo spekuliert, sich auf Bob Dylans »Rolling Thunder«-Tournee überraschend zu treffen. Ein US-Blatt vermeldete das Gerücht, die Musiker sollten gekidnappt und mit der Waffe zum Spielen vor TV-Kameras gezwungen werden. »Bild« wußte Ende Juni: »Beatles spielen in Hamburg!« Alles falsch.
Die Wiedervereinigung bleibt aus, aber die Wiederbelebung ist schon in vollem Gange. Nie wieder seit der Pilzkopf-Hysterie vor zwölf Jahren wurden weltweit so viele Platten einei einzigen Popmusik-Gruppe abgesetzt wie gegenwärtig. Sechs Jahre nach ihrer Auflösung brechen die Beatles noch einmal alle Umsatzrekorde, auch ihre eigenen.
Vor vier Monaten hatte die britische Plattenfirma EMI 23 alte Singles des legendären Quartetts auf einen Schlag wiederveröffentlicht. Unmittelbar darauf waren die englischen »Top 100« zu einem Viertel mit Oldies wie »Yesterday« (Platz 8), »Hey Jude« (Platz 12) oder »Get Back« (Platz 32) verstopft.
In der Branche brach Panik aus. EMI-Konkurrenzfirmen stoppten ihre Neuveröffentlichungen. Aktuelle Pop-Sänger klagten: »Wir haben gegenüber dem Gespenst aus der Vergangenheit keine Chance.« Einen ganzen Tag lang war im Londoner »Capitol Radio« jedes zweite Lied ein Beatles-Stück. Längst hat die »Beatles-Bonanza« (Capitol-Vizepräsident Dan Davis) auch die USA erfaßt. Mit einem 750 000-Dollar-Werbebudget werden dort die Songs aus den Sechzigern in die Massenmedien gedrückt. Mit 30- und 60-Sekunden-Spots ist eine TV-Werbekampagne angelaufen, die drei Viertel aller US-Haushalte erreicht.
Folge: Die Single »Got To Get You Into My Life« von 1966 schnellte nach Wiederveröffentlichung auf Platz zehn der »Billboard«-Bestsellerliste empor. Das Doppelalbum »Rock »n« Roll Music« mit 28 schnellen Stücken aus den Jahren 1963 bis 1969 steht derzeit in Amerika auf Platz zwei -- hinter der LP »Wings at the Speed of Sound« von Ex-Beatle Paul McCartney.
McCartney ist der einzige der vier, der sich als Solist mit eigener Band nach dem Beatles-Split zu alten Erfolgshöhen emporgerangelt hat. Seine USA-Tournee durch 21 Städte im Mai und Juni war -- bei Konzertgagen um 200 000 Dollar -- binnen Stunden ausverkauft. Doch sosehr er sich auf der Bühne müht, den ungebrochenen Rock »n« Roller herauszukehren, so risikolos läßt er sich auf Platten von jener platten Pop-Modewelle tragen, die er im Hit »Silly Love Songs« besingt: You"d think that people had enough of silly love songs,
But I look around me and see it isn't so.
Some people want to fill the world with silly love songs,
And what"s wrong with that I'd like to know.
Derlei Konformität ist weit entfernt von der rüden Durchschlagskraft von Stücken wie »Lang Tall Sally«, »Kansas City« oder »I'm Down«, die McCartney 1964/65 bei den Beatles sang. »Rock »n« Roll Music« zeigt die Beatles als homogene und überaus aggressive Rock-Truppe, die zu Unrecht jahrelang an den angeblich härteren Rolling Stones abgewertet worden ist. Allerdings: Die »Fab Four« waren in Stimmung und Repertoire stets breiter gefächert als die Stones -- bis hin zu gefühlvollen Balladen à la »Yesterday« und »Michelle«. Nach der Rock-»n«-Roll-Anthologie« deren bundesdeutsche Startauflage von 100 000 sofort vergriffen war, bieten sich daher weitere Beatles-Kompilationen an. »Wir haben«, sagt Dan Davis von Capitol Records, »den wertvollsten Katalog in der Geschichte der Plattenindustrie in der Hand:«
Die volle Hand wird von EMI in Europa und Capitol in den USA nun massiv ausgespielt. Alte Beatles-Filme im Fernsehen, Beatles-Musicals auf den Bühnen, hektische Beatles-Basars und -Conventions sowie die Reunion-Schlagzeilen in der Presse hatten die Hysterie neuerlich angeheizt. Zudem eröffnen die Nostalgie der Älteren und der Hit-Hunger der Jüngsten in einer talentarmen Pop-Saison den Oldies einen sicheren Markt. »Mütter von 32«, beobachtete ein Londoner Plattenhändler, »bringen zum Beatles-Kauf heute ihre Teen-Töchter gleich mit.«
Doch der Zeitpunkt der »Beatles-Bonanza« wurde nicht von der Nachfrage, sondern von Vertragsterminen bestimmt. Bis zum 1. Januar dieses Jahres kontrollierte die ehemalige Beatles-Firma Apple für alle alten Aufnahmen die Lizenzen. Seither liegen die Nutzungsrechte bei EMI und Capitol -- die Konzerne machen also jetzt einen besseren Schnitt.
Dennoch sind"s die Beatles zufrieden. In den Titeln neuer Stücke, die sie zu einer derzeit in Los Angeles produzierten LP ihres Ex-Partners Ringo Starr beisteuerten, gaben sie ihr Wohlgefallen kund. Lennon nannte einen Song -- in Anspielung auf den Erfolg der LP »Rock »n« Roll Music« -- »Eine Dosis Rock »n« Roll«. McCartney sekundierte: »Pures Gold.«