Anregungen aus dem überfüllten Kinderzimmer Endlich habe ich ein Hobby – puzzeln

Was die Kinder eher langweilt, erfreut die Mutter in der Rushhour des Lebens: Beim Puzzeln kann man sich endlich auf nur eine Sache konzentrieren. Und bei der geht es auch noch um nichts. Herrlich.
Juhu, endlich das letzte Teil!

Juhu, endlich das letzte Teil!

Foto: deepblue4you / iStockphoto / Getty Images

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Wenn es um das Aufräumen und Ausmisten der Kinderzimmer geht, bleibt es meist bei einem Endgegner: den diversen Brett- und Gesellschaftsspielen, die, warum auch immer, grundsätzlich aus Hunderten Kleinteilen bestehen. Es dauert ewig, bis man sie wieder zusammen hat. Aber was von dem Kram kann weg? Womit spielen die Kinder am wenigsten? Mit den Puzzles!

Um herauszufinden, ob die Puzzles vollständig waren, bevor ich sie an ahnungslose Eltern weiterverschenke, wollte ich sie »schnell« puzzeln. Bei dem Ding mit hundert Teilen ging das relativ schnell, bei dem Wikinger-Ding mit 500 Teilen grauem Fjord, hellgrauem Himmel und dunkelgrauem Wasser sah das schon anders aus. Plötzlich herrschte Ruhe. Ich puzzelte. Mein Kind puzzelte anfangs noch mit, verlor aber schnell das Interesse. Das ist der Ursprung meiner neuesten Obsession, die sich vielleicht in so etwas wie ein Hobby verwandelt hat.

Elina Penner

Elina Penner, Jahrgang 1987, leitet das Onlinemagazin Hauptstadtmutti.de. Ihr Debütroman »Nachtbeeren« über eine russlanddeutsche Familie erschien dieses Jahr im Aufbau Verlag.

Eigentlich habe ich keine Hobbys. Ich arbeite. Und wenn ich nicht arbeite, dann schreibe ich, was auch Arbeit ist. Würde ich wirklich Sport machen, könnte man es zwar als Hobby bezeichnen, aber seien wir ehrlich: Sport machen verfolgt einen Zweck. Es geht um Bewegung, Ausdauer, Endorphine, verlängerte Lebenserwartung. Ach, wer braucht das schon? Ich lese sehr viel, wirklich viel. Oftmals empfehle ich diese Bücher aber auch weiter oder interviewe die Schreibenden für mein Magazin. Ich bilde mich dabei fort und tue so etwas, um meine geistige Lebenserwartung zu verlängern. Auch hier geht es um Sinn und Zweck.

In meiner Berliner Arbeits-Bubble meditieren alle. Yoga ist ebenfalls sehr beliebt . In dem Dorf, in dem ich inzwischen lebe, widmet man sich eher der Gartenarbeit oder dem Autowaschen. Hier sind Sinn und Zweck ganz klar. Es geht nicht um Selbstoptimierung, sondern darum, den eigenen Besitz für die Augen der Nachbarschaft zu optimieren. Heckenschneiden wäre hier noch als gesonderte Kategorie anzuführen.

Es ist ein lautes Leben, das ich lebe. Da sind Lesungen, Reisen, Interviews, Podcasts, Fernsehaufnahmen. Das sind aber genauso zwei Kinder, ein Ehemann, Handwerker, das Internet. Und die Weltlage, immer. Alle wollen was von mir, in dieser berühmten Rushhour des Lebens.

Ich konzentrierte mich auf genau eine einzige Sache, nämlich das nächste Teilchen zu finden.

Als ich aber am Tisch saß, um völlig naiv »mal schnell dieses Puzzle zu puzzeln«, wollte plötzlich niemand mehr etwas von mir. Ich konzentrierte mich auf genau eine einzige Sache, nämlich das nächste Teilchen zu finden. Wenn es nicht passt, lege ich es zur Seite. Wenn es passt, macht es Klick und das Bild vervollständigt sich langsam. Jedes Puzzle, das ich danach angefangen habe, wirkte unmöglich zu Beginn. Niemals schaffe ich das, das wird jetzt wirklich zu schwierig!

Einmal habe ich tatsächlich aufgegeben. Es war das erste Puzzle, das ich mir bewusst besorgt hatte. Besorgt? Nun, wissen Sie, es mag niemanden überraschen, aber sehr, sehr viele Menschen wollen ihre Puzzles loswerden und tun dies, indem sie sie verschenken. Auf einschlägigen Portalen gibt man »Puzzle 1000 Teile« ein und einen Umkreis von 10 bis 20 Kilometer. Schwupps, schon hat man ein neues Puzzle. Für umsonst.

So kam ich zum Mannschaftsfoto der Nationalmannschaft 2016, 1000 Teile. Götze und Reus erkannte ich easy an den Haaren, Mats Hummels tatsächlich an den Venen seines Unterarms (was sagt das eigentlich über mich aus?). Ich kämpfte mich durch schwarz-weiße Trikots, Shorts und Schienbeinschoner und war dankbar für jeden neongrünen Schuh (Grüße an Götze). Doch dann der helle Hintergrund! Bestimmt 150 Teile einer identischen Farbe ohne Nuancen? Nein, danke, hat wirklich keinen Spaß gemacht.

Schon mal haarige Nippel in einer Schachtel gesucht?

Beim zweiten selbst besorgten Puzzle handelte es sich im weitesten Sinne ebenfalls um ein Mannschaftsfoto, es war der Cast der zweiten Staffel von Big Brother. Kann ich alle Bundespräsidenten aufzählen? Nope. Wusste ich den Namen jeder einzelnen Person dieser Realityshow aus dem Jahr 2000? Aber so was von! Hanka, Walter, Christian, Harry, … Alida gewinnt. Ob Daniela und Karim noch zusammen sind, müssen Sie selbst googeln.

Gruppenfotos, also entweder komplette Filmcasts oder auch sämtliche Disney-Bösewichte, eignen sich prima. Dann kann man bei den Gesichtern anfangen, sich an der Kleidung orientieren und weiß ungefähr, was wohin gehört. Diese »Impossible Puzzles«? Oh Gott, nein, das kann doch keinen Spaß machen. Ich mag die wahllosen Motive. Ein 500 Teile zählendes, super buntes Backstreet-Boys-Puzzle war der Knaller. Haben Sie schon einmal haarige Nippel in einer Schachtel gesucht? Oder die Augen von Nick Carter? Ich ja. Zurzeit puzzle ich ein Sushi-Puzzle. Es handelt sich um eine Riesenplatte Maki und Nigiri, viel orange.

Die Puzzles, die ich gebraucht kaufe, sind oft noch OVP, also in der Originalverpackung. Sie sind bisher immer vollständig gewesen. Nur eine Dame meinte es tatsächlich zu gut und sortierte das Puzzle nach Rand- und Innenstücken vor. Hmpf: Das ist für mich das Schönste am Puzzeln! Rand? Auf die Seite. Kein Rand? Auf die andere Seite. Gucken, fühlen, nachgucken, sortieren. Das Hirn konzentriert sich auf genau eine Sache. Kröpfchen, Töpfchen, Kröpfchen, Töpfchen. Wundervoll. Herrlich. Ruhe.

Es bedarf keiner große Analyse, um herauszufinden, warum Puzzeln so beruhigend auf mich wirkt. Meine Hände und mein Hirn sind beschäftigt, und das ganz ohne Handy. Es ist die denkärmste Tätigkeit, die ich mir vorstellen kann. Am Anfang liegt da ein großer Haufen Teile, ein unmöglich scheinender Berg, der zu erklimmen ist. Doch wie beim Bergsteigen ist die Aussicht am Ende zwar ganz schön, aber die Reise, das Puzzeln selbst, ist das Ziel.

Immer mal wieder fotografiere ich mein Puzzeln. Ich filme wie ich ein Stück, das ich ewig gesucht habe, einstecke. Ich poste das und weiß, dass ich andere längst angesteckt habe. Sie schreiben mir, dass sie nun auch puzzeln und es lieben. Nur meine Kinder gucken manchmal zu, legen ein Teil und gehen wieder. Das letzte Teil dürfen sie immer legen, denn, Achtung Schmalz, sie vervollständigen mich ja auch.

Zum Geburtstag schenkte mir nun meine Freundin, die Autorin Regina Feldmann, ein Puzzle mit einem Bild von mir selbst – definitiv in meiner persönlichen Top 3 der schönsten Kitschgeschenke. Insgesamt kann ich das Puzzeln nur empfehlen. Und kann nicht glauben, dass ich nicht schon viel früher damit angefangen habe. Endlich habe ich ein richtiges Hobby! Eins, bei dem ich nichts erreichen oder schaffen muss, mich nicht optimiere, oder eine bestimmte Fähigkeit verbessere.

Herrlich, wenn es dann vor mir liegt, das fertige Puzzle und ich einmal darüberstreichen kann. Dann zerstören wir es gemeinsam und packen es zurück in den Karton.

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