Neues Stück von Rainald Goetz nach 21 Jahren Pause Vier Stunden brutale Bestätigung

Am Hamburger Schauspielhaus feierte "Reich des Todes", das neue Stück von Rainald Goetz, Premiere. Es behandelt den 11. September und seine Folgen als Wendepunkt des Westens - leider ohne Widersprüche.
"Reich des Todes" wurde von Karin Beier inszeniert

"Reich des Todes" wurde von Karin Beier inszeniert

Foto: Arno Declair

Am schlimmsten sind die Clowns. Als die Clowns kommen, wird es unerträglich. Im hinteren Teil der Bühne sind auf einer großen Leinwand Fotos der Folteropfer von Abu Ghuraib zu sehen, dem Foltergefängnis der Amerikaner im Irak. Vorne machen die Clowns ihre Späße, hinten werden Menschen gedemütigt. Und dann gehen die Clowns zur Leinwand, malen und schreiben darauf rum. Ein Smiley, der zu einer Sonne wird, das Wort "Fun".

Die Demütigung der Gedemütigten. Und zugleich ein überragender Theatermoment, weil er dem Betrachter schmerzlich bewusst macht, dass nicht nur das Bemalen dieser Bilder den Opfern den Rest ihrer Würde nimmt, sondern schon das Betrachten. Die Überraschung dabei: Nicht der Text beschert diesem Abend seinen eindrücklichsten Moment, sondern die Inszenierung.

Gespannt war man vor allem auf den Text. "Reich des Todes", das neue Stück von Rainald Goetz, auf das die Theaterwelt so viele, viele Jahre warten musste. Gestern, am 11. September, hat es Karin Beier im Hamburger Schauspielhaus auf die Bühne gebracht, und am 11. September 2001 beginnt auch die Geschichte: der Angriff islamistischer Terroristen auf New York und Washington. Alarm, Alarm, schon rieselt der Staub der zerstörten Gebäude auf die Schauspieler, deren Figuren Namen tragen wie Selch, Frau von Ade, Grotten, Roon, die aber sofort als die maßgeblichen Politiker jener Zeit kenntlich sind: Vizepräsident Dick Cheney, Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice, Präsident George W. Bush und Verteidigungsminister Donald Rumsfeld.

Das große Thema: Folter

Sofort beginnen sie den Krieg gegen den Terror, bei dem sie sich um den Rechtsstaat und die demokratischen Werte nicht scheren. Abu Ghuraib wird zum frühen Symbol dafür. Amerikanische Wärter foltern ihre Gefangenen durch Scheinexekutionen, durch sexuelle Demütigung, durch extreme Einschüchterung, durch Schlafentzug. Auch in Guantanamo setzt die US-Regierung ihre Gefangenen unmenschlichen Bedingungen aus. Wasserfolter wird in Verhörgefängnissen außerhalb der USA zur gängigen Methode, um Verdächtigen Informationen abzupressen. All das ist auf der Bühne ausführlich zu sehen, was diesen Abend zu einem heftigen Angriff auf das Gemüt macht.

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"Reich des Todes" in Hamburg

Foto: Arno Declair

Goetz hat sich einen der großen Wendepunkte in der Geschichte des Westens für sein neues Stück ausgesucht. Abu Ghuraib und Guantanamo haben die USA, lange die Führungsmacht dieses Westens, ihren Status als auch moralische Supermacht gekostet. Der war schon vorher rissig, aber seither muss der Westen anderen autoritären Regierungen nicht mehr mit Vorwürfen kommen. Ruft der Westen Hongkong, rufen die anderen Abu Ghuraib. Vor allem deshalb gebricht es den Demokratien an Soft Power im Streben nach weltweiter Etablierung der Demokratie.

Goetz hat sich zudem das größte Tabu der Demokratie ausgesucht: die Folter. Nichts verstößt mehr gegen die Werte des Westens als das brutale Verhör, der staatliche Angriff auf die Menschenwürde und das Recht auf Unversehrtheit. Größer kann man's gar nicht angehen, aber das heißt nicht, dass ein großer Theaterabend dabei rauskommt.

Ruchlose Politiker, feige Blödmänner

Dem Angriff aufs Gemüt hätte ein Angriff auf den Kopf gut zur Seite gestanden. Aber der bleibt leider aus. Ohne Frage hat Goetz einen großen Text geschrieben, eine rasende Suada über die Abgründe der Politik, so wortgewaltig, anspielungs- und gedankenreich, wie nur er das kann. Aber diese Gedanken gehen beinahe alle nur in eine Richtung: Es ist ganz, ganz schlimm, was die Amerikaner da gemacht haben.

Kein Widerspruch.

Das ist das Problem. Man kann gar nicht widersprechen. Für Abu Ghuraib gibt es nicht die geringste Rechtfertigung, und damit gibt es auch keinen Konflikt in den Figuren. Die Politiker sind machohafte, ruchlose Blödmänner, die ihre Macht missbrauchen, die den Staat zerstören wollen, der ihnen anvertraut wurde. Feige sind sie obendrein. Man weiß das schon länger, sogar durch die Recherchen von Journalisten, die gleich zu Beginn mal heftig geschmäht werden, "von wegen vierte Gewalt". Goetz, der bei der Premiere vorne links im Zuschauerraum sitzt, nickt heftig zu diesen Worten.

In den Nullerjahren, in denen sein Stück spielt, hat er sich viel befasst mit Politik und Journalismus. Man sah ihn oft im Reichstag, wo er mit einer kleinen Kamera Debatten und Pressekonferenzen filmte. Er hatte einen ziemlichen Rochus auf die machohafte Regierung von Gerhard Schröder, Otto Schily und Joschka Fischer. Gesprächsweise legte er Finger in viele Wunden, auch des Journalismus. Man war gespannt, was er aus seinen klugen Beobachtungen machen würde. Aber der erhoffte Roman zur Politik blieb aus.

Einige seiner Eindrücke sind wohl nun in "Reich des Todes" eingeflossen, vor allem die Kritik am Machotum. Es sei "die Dummheit des Körpers des Mannes", die in den Irakkrieg geführt habe, sagt Laura Bush, die Gattin des US-Präsidenten. Auch kein Widerspruch.

Widerspruch zwecklos

Dieses Stück ist weitgehend zustimmungspflichtig, was nicht zwangsläufig am Thema Folter und Demokratie liegt. Auch dieses Tabu hat seine Grauzonen, wie der große politische Denker Ivan Krastev in seinem neuen Buch "Ist heute schon morgen?" angerissen hat. Er schreibt: "Kritiker von Bushs 'Krieg gegen den Terror' hatten recht, wenn sie darauf beharrten, dass der Staat Folter niemals legalisieren sollte."

Spannend ist hier das Wort "legalisieren", das nicht ausschließt, dass ein Staat Folter anwendet. Krastev verweist auf das "Zeitbomben-Szenario", das so aussehe: "Angenommen jemand, der weiß, wie man eine Zeitbombe entschärfen kann, die ansonsten bald viele Menschen töten wird, befindet sich in den Händen der Behörden, und angenommen, dass er seine Informationen nur unter Folter preisgeben wird - darf man ihn foltern?" Diese Frage ist ein Angriff auf den Kopf, egal wie man sie beantwortet. Einige Kritiker von Bush, schreibt Krastev, hätten sie so beantwortet, dass man foltern könne, aber eben nicht in einem legalen Akt, sondern "als Akt zivilen Ungehorsams". Hier stecken Konflikte, hier tut Denken weh.

Diesen Schmerz erspart Goetz seinen Zuschauern, anders als zum Beispiel die Regisseurin Kathryn Bigelow in ihrem Film "Zero Dark Thirty", in dem angedeutet wird, dass die Wasserfolter dazu beiträgt, das Versteck von Osama Bin Laden zu finden. Dass ihr Film das nicht direkt verurteilt, wurde heftig kritisiert.

Goetz und Beier verurteilen die politischen Täter durchgängig, und da haben sie im Fall Abu Ghuraib ja auch recht. Aber muss man dafür vier Stunden lang im Theater sitzen?

Zumal einem irgendwie weisgemacht wird, dass das alles auch mit Deutschland zu tun hat. Donald Rumsfeld trägt im Stück den Namen Roon, was sich wohl auf Albrecht von Roon bezieht, einst preußischer General und Kriegsminister, der Otto von Bismarck den Weg ins Amt des preußischen Ministerpräsidenten geebnet hat. Ein Menschenrechtspolitiker war er sicherlich nicht, aber wer war das schon im 19. Jahrhundert?

Zu Bushs Entourage gehört auf der Bühne auch Ronald Schill, einst "Richter Gnadenlos", der kurzfristig Hamburger Innensenator war und mit harter Hand aufräumen wollte. Aber das war, anders als die AfD, ein Irrtum des Systems, der rasch korrigiert wurde. Schill ist ein schwacher Beleg für eine deutsche Ambivalenz in der Folter- und Rechtsstaatsfrage. Wobei es auch hierzulande einen interessanten Fall in der Grauzone gab. Als der gefasste Entführer eines Frankfurter Bankierssohns das Versteck seines Opfers nicht preisgeben wollte, drohte ihm ein Polizist Schmerzen an, um das Verdursten des Jungen zu verhindern. Ein Fall für zivilen Ungehorsam? Jedenfalls kein Fall für eine Antwort, die nicht weh tut.

Virtuose Wortschwälle

Wie skrupulös sich Goetz seinem Thema genähert hat, zeigt sich am Schluss, als er noch begründet, warum er vor allem auf die Täter schaut, weniger auf die Opfer. Mitgefühl reiche nicht, "um das Geschehen über Empörung hinaus auch in seinen Gründen zu erfassen, muss gerade der Text vom TÄTER ausgehen". Allerdings ergänzt sein Text das Mitgefühl für die Opfer mit der Abscheu gegenüber dem politischen Täter, was ihn zum Monument der Eindeutigkeit macht.

Die Regisseurin hat da keine Kontrapunkte gesetzt, sie inszeniert kongenial zu Goetz' Text. Ihr Ensemble schickt sie durch mindestens einen Zehnkampf der menschlichen Bewegungen, Rennen, Tanzen, Vögeln, Boxen, Rollstuhlfahren, Kriechen, Turnen, Onanieren, Seilchenspringen, Kollabieren. Es ist eine Menge los auf der Bühne, es wird gesungen und musiziert, Rauch und Staub wirbeln auf. Das hat Wucht, die Wucht der Action, aber einmal auch die Wucht der Stille. Nach einer Folterszene, nachdem mehrmals "Du Nutte, du Ratte, du ehrlose Null" gebrüllt wurde, ist es plötzlich still, sehr, sehr still. Die ganze Welt versinkt in dieser schwarzen Stille. Und man weiß, dass danach nichts mehr ist wie zuvor.

In einem großartigen Ensemble ragt Sebastian Blomberg als Vizepräsident Cheney heraus, weshalb dies alles in allem kein misslungener Abend sein kann. Sagen wir so: ein gelungener Bestätigungsabend. Vier Stunden lang wurde einem eingehämmert, was man schon gedacht hat, aber nicht in so überwältigenden Bildern, nicht in so virtuosen Wortschwällen.

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