DÜSSELDORF Rathaus mit Figürkes
Die Besucher des Düsseldorfer »Kom(m)ödchen« brauchen nicht mehr so dicht wie bisher aufeinanderzuhocken. Nach sechs erfolgreichen Brettl-Jahren bekam Hausherr Kay Lorentz vom Bau-Aufsichtsamt der Stadt die überraschende Mitteilung, daß es in seinem Kabarett zu eng sei und er wegen »Feuer- und allgemeiner Lebensgefahr« die Zahl der Sitzplätze von 160 auf 130 reduzieren müsse.
Selbst wenn er den Eintrittspreis von 4,50 auf 5 DM erhöht, verliert Lorentz noch immer 120 DM pro ausverkaufter Vorstellung. Er kann sich leicht ausrechnen, wann dem »Kom(m)ödchen« bei dieser finanziellen Luftveränderung der Atem ausgehen wird. Um zu überleben, müßte er wohl das romantisch verschachtelte Altstadthäuschen in der Hunsrückenstraße gegenüber »Fattys Atelier« aufgeben und den Sprung in ein größeres Haus wagen.
Literarischen Stammgästen bei Kay und Lore Lorentz will es als bemerkenswerter Zufall erscheinen, daß die Aktivität der Baubehörde sich just zu einem Zeitpunkt entfaltet, in dem das »Kom(m)ödchen« unter dem Motto »Rosen, Nulpen und Narzissen« einen Bau-Chor singt:
»Was hätt'' der Hitler für ''ne Freud'',
wenn er noch da wär.
Er brächte Düsseldorf erst auf den
rechten Schwung.«
und
»In der Landeshauptstadt da kommt
man glatt
hoch ins Stadtbauamt obenan.
Bedingung ist nur, daß man ''ne Spur
an der Reichskanzlei mitgebaut hat.«
Die eingeweihten Kabarettbesucher wissen, auf wen diese Anspielung zielt: Am 1. Januar 1952 hat die Stadt Düsseldorf die Leitung des Hochbauamtes und des Bau-Aufsichtsamtes an Professor Julius Schulte-Frohlinde übergeben, der weiland als Leiter des Baubüros der DAF Dr. Robert Leys Bauprojekte betreute und u. a. Schloß Erwitte in Westfalen zur Schulungsburg umbaute.
Indes, nicht allein auf das Konto Schulte-Frohlindes ging es, wenn bei dem
diesjährigen »Darmstädter Gespräch"*) bereits ganz offen auf vier zeitgemäße Baugruppen angespielt wurde:
* Kommunisten,
* Bankiers,
* Nazis und
* Düsseldorfer.
Immerhin wurden in Düsseldorf teils private, teils öffentliche Aufträge an Architekten vergeben, die von früher her in Erinnerung sind, etwa an Dr.-Ing. Rudolf Wolters, Mitarbeiter an der »Kunst im Deutschen Reich«, Baurat Piepenburg vom Stabe Speer, Professor Dr. Rimpl, der an der Oranienburg und der Volkswagenstadt baute, Professor Dustmann, der Baldur von Schirachs HJ-Bauten betreute, und Professor Pinnau, der sich um die innenarchitektonische Ausgestaltung der Reichskanzlei bemühte.
Aufmerksamen Beobachtern entgeht es nicht, daß sich in Düsseldorf unter den Augen des Stadtplaners Professor Werner Tamms, einstens Chefarchitekt der Reichsautobahnen, nun ein Baustil einschleicht,
*) »Darmstädter Gespräche": Alljährlich veranstaltete Vortragsreihe mit öffentlichen Diskussionen über Themen aus der Geisteswelt. den der Architektenring*) so glossiert: »Wenn auch der Bolschewismus so ähnlich baut, diese Feinheiten des Details gelingen ihm nicht.«
Der Vierzeiler des »Kom(m)ödchen«
»Aller Anfang ist der Ziegel
Und dann später der Zement,
Aber nichts hält so zusammen
Wie ''ne Clique, die sich kennt.«
war noch harmlos gegen die massiven Angriffe der Architektengruppen, die sich im Amtszimmer des Düsseldorfer Oberstadtdirektors Dr. Walter Hensel die Klinke in die Hand drückten. Nach dem fünften Protest-Besuch ("es waren sehr ernst zu nehmende Leute darunter wie Professor Schwippert vom Vorstand des Deutschen Werkbundes") wurde Dr. Hensel nachdenklich: »Es ist in der Tat auffallend, daß sich hier bestimmte Leute zusammengefunden haben.«
Bereits im Januar 1952 hatten der Deutsche Werkbund Berlin und die Hochschule
*) Der Architektenring ist eine kleine aktive Gruppe privater Architekten, Sitz Düsseldorf, die sich neben der berufsständischen Organisation des Bundes deutscher Architekten (BdA) für die Richtung des »Neuen Bauens« in Deutschland einsetzt. Leiter Josef Lehmbrook: »Wir haben uns 1949 vor den unsinnigen Plänen der Stadtverwaltung zusammengefunden und uns gesagt, da muß man doch etwas gegen tun!« für bildende Künste Berlin zusammen mit 35 TH-Professoren und prominenten Architekten aus Westdeutschland gegen die Berufung Schulte-Frohlindes bis hinauf zu Bundeskanzler Adenauer und Bundespräsident Heuss protestiert:
»Die Düsseldorfer kommunale Baupolitik hat in den Jahren seit 1949 die Baugesinnung des Dritten Reiches mit derartig offenkundiger Eindeutigkeit vertreten und gefördert, daß dies in Deutschland bereits sprichwörtlich geworden ist ... Professor Schulte-Frohlinde ist auf Grund seiner Tätigkeit im Dritten Reich und nach dem Kriege als ausgesprochener Vertreter der im Dritten Reich gepflogenen Baugesinnung bekannt.« Eine Berufung des Professors in die Düsseldorfer Bauverwaltung sei unter diesen Umständen nicht tragbar.
Der Protest verhallte ohne nennenswertes Echo. Im Juni 1952 lief die halbjährige Wartezeit für Professor Schulte-Frohlinde ab, und so wurde er automatisch für die Dauer von acht Jahren Oberbaudirektor der Stadt Düsseldorf.
Am 27. Juni 1952 aber geschah etwas, was die schwelende Auseinandersetzung der Privatarchitekten mit der Stadtverwaltung zu neuer Glut entfachte. Im Rathaus tagte unter dem Vorsitz des Baudezernenten Dr. Schreier das Gutachter-Kollegium, ein etwa zwanzigköpfiges Gremium von angestellten und freien Architekten zur Beurteilung von städtischen Bauprojekten. Die Sitzung war beendet und man brach auf. Da zeigte einer der Architekten fragend auf einen zusammengerollten Plan. Baudezernent Schreier, beim Hinausgehen: »Ach ja, da müssen wir uns nächstes Mal drüber unterhalten.«
Die Überraschung war vollkommen, denn der eingerollte Plan entpuppte sich als fertiger Teilentwurf für einen Erweiterungs-Neubau des Düsseldorfer Rathauses von Professor Schulte-Frohlinde.
Ein Blick auf den Neubau-Plan genügte, und der spontane Protest an Oberstadtdirektor Dr. Hensel war fällig: »Die Privatarchitekten des Gutachterkollegiums sind geschlossen der Ansicht, daß das Rathaus in der vorliegenden Form nicht gebaut werden soll, da es unserer Zeitauffassung in keiner Weise entspricht.«
Vor allem die Anklänge an neoklassizistische und neogotische Bauweisen erregten Ärgernis: dreizehn Arkadensäulen hat Professor Schulte-Frohlinde in die Frontseite eingeplant. Darüber liegt eine Reihe vergitterter Fenster. Die Fenster der übrigen beiden Stockwerke sind durch Sprossen zwölffach unterteilt; das raumverschwenderisch hohe Dach wird durch spitze Giebel und gedrehte Blitzableiter belebt. Die Mauern sollen rot überschlämmt werden.
Der Entwurf, der äußerlich fatal an die längst überwundene Architektur des
»größten Baumeisters aller Zeiten« gemahnt, verleugnet also alle Errungenschaften der modernen, mit viel Glas, Beton und Stahl arbeitenden Architektur und entspricht im Stil den großdeutschen Kasernenbauten.
Als Baudezernent Dr. Schreier am darauffolgenden Tag im Rathaus erschien, war der Entwurf verschwunden. Die Architekten hatten ihn kopfschüttelnd an sich genommen und photokopieren lassen, was Stadtplaner Tamms zu dem Kommentar verleitet: »Erst lädt man sie zur Besprechung ein und dann klauen sie einem die Pläne. Das ist wirklich nicht fein.«
Allein die Geheimniskrämerei der Stadtverwaltung habe sie zu solch drastischen Maßnahmen gezwungen, verteidigten sich die freien Architekten des Gutachterausschusses. »Es geht nicht an, daß ein paar Leute bei der Stadt ein neues Rathaus aushecken, ohne die Bürgerschaft wenigstens davon zu unterrichten.«
Diesen Vorwurf wies Stadtplaner Tamms entschieden zurück: »Wo steht geschrieben, daß die Stadt Düsseldorf nicht wie jedes große Industrieunternehmen ihr eigenes Baubüro haben darf und ihre Bauprojekte von diesem Büro ausführen läßt. Wo besteht das Recht, daß Privatleute
in diese Planung hineinreden können?«
Im vorliegenden Falle habe der Rat der Stadt Schulte-Frohlindes Hochbauamt den präzisen Auftrag gegeben, ein mäßig hohes, gemauertes Haus mit drei Geschossen, das sich im Charakter der Altstadt anpassen solle, zu bauen. »Schulte-Frohlinde tat, was sein Bauherr von ihm verlangte: er plante nicht modern.«
Indes, Düsseldorfs Oberstadtdirektor Dr. Walter Hensel fand, daß die Leute sich »nicht ganz zu Unrecht« beschwert hätten: »Dinge, die auch die Öffentlichkeit angehen, dürften nicht so geheimnisvoll betrieben werden. Man sollte bei derartigen Projekten in Zukunft einen breiteren Kreis aus der sachkundigen Bürgerschaft zuziehen.«
Schon seit über vierzig Jahren sammelt die Stadt Düsseldorf fleißig Pläne für ein neues Rathaus als Visitenkarte für die »Tochter Europas«, die »Kunst- und Modestadt«, den »Schreibtisch der Ruhr«, das »Schaufenster des Westens« oder »Klein-Paris«, wie sich die »Landeshauptstadt« jeweils zu nennen pflegt.
Über den jüngsten Entwurf des Professors Schulte-Frohlinde aber schreibt Düsseldorfs »Rheinische Post": »Es empfiehlt sich, für die Beamten auch gleich Perücken anzuschaffen, damit sie mit dem Neubau besser konkurrieren können.«
Abgesehen von der Architektur der Außenfront, argumentierten Düsseldorfer Architekten, hätte man für die veranschlagten und bereits bewilligten 3 Millionen D-Mark das Bürohaus mit flachem Dach und größeren Fenstern auch rationeller gestalten können. Bei dem jetzigen Entwurf werde die Raumnot der Stadtverwaltung mit 49 neuen Büros nicht wesentlich gemildert.
Was die Außenansicht angehe, kritisierten die Architekten, so sei nicht einzusehen, warum man sich mit Rücksicht auf den alten Marktplatz zu Giebeln, Gittern und Bögen verpflichtet fühle. Den Baumeistern vergangener Jahrhunderte sei ja auch nicht eingefallen, bei einem Stil zu bleiben. Sie hätten auf eine romanische Kirche munter gotische Türme gesetzt und einen Barockbau daneben.
Die in allen zerstörten deutschen Städten dräuende Fehde zwischen historisierenden Restaurateuren und radikalen Neuplanern hat bei dem Düsseldorfer Rathausneubau insofern einen interessanten Aspekt, als der alte Düsseldorfer Rathauskomplex keineswegs so stilrein ist, daß man den daran anschließenden Neubau etwa gotisch halten müßte. Von der Gotik zeugt nur noch der rechte Flügel des um 1570 erbauten Rathauses, das 1649 zum ersten Male umgebaut wurde.
Die Mittelfront des Rathauses beweist mit dicken Wilhelminischen Säulen dem architektonisch Interessierten, daß stilmäßig hier nicht mehr viel zu verderben
ist; ein Eindruck, der sich beim Anblick des anschließenden Barock-Anbaues verstärkt. Architekt Pfau: »Überhaupt besteht der ganze Charakter der Düsseldorfer Altstadt eigentlich nur noch in den zu engen Straßen.«
Von ihrer Altstadt aber wollen die »echten« Düsseldorfer nicht lassen. Sie ist das Naturschutzgebiet organisch gewachsener Tradition, für die Düsseldorf später keine Zeit mehr hatte, als es in den letzten fünfzig Jahren vom ruhigen Residenzstädtchen mit 200 000 Seelen zur Industrie-Metropole mit über 560 000 Einwohnern erblühte.
Im Planungsamt der Stadt jedenfalls bezeichnet Baurat von Grote »die sorgfältige Pflege und den Aufbau der von den Bomben übriggelassenen Altstadtreste« als eine »ernste deutsche Angelegenheit«. In diese Straßen mit ihren Treppengiebeln gehörten keine Stilwidrigkeiten.
Stadtplaner Professor Tamms geht noch einen Schritt weiter, indem er eine ganz neue Altstadtstraße mit dem Namen »Schneider-Wibbel-Gasse« bauen will. Kom(m)ödchen-Chef Kay Lorentz blieb der Frühstücksbissen im Halse stecken, als er im Januar 1952 beim Lesen der Morgenzeitung erfuhr, daß Tamms ein neues Kom(m)ödchen-Haus in diese Gasse mit eingeplant habe. Und zwar als dreistöckigen Bau mit Giebeln, Säulengang und Butzenscheiben.
»Links und rechts sollen niedrige Häuser im Altstadtstil entstehen«, berichteten die »Düsseldorfer Nachrichten«, »und ungefähr in der Mitte wird sich das sechs Meter breite Gäßchen zu einem baumumgrünten quadratischen Platz von 14X14 Meter Größe erweitern. Hier wird der Wibbelbrunnen mit dem Radschlägerfries seinen Standpunkt haben.« Die in allen Einzelheiten durchgearbeiteten Grund- und Aufrisse ließen »ein wirklich anheimelndes und malerisches Gäßchen erwarten.
So wie diese Gasse, so wollen die Düsseldorfer Heimatvereine auch ihr Rathaus haben ("Beton paßt nicht zum Jan Wellem!"). Als Schulbeispiel, wie man es nicht machen solle, greift die Vereinszeitung
der »Alde Düsseldorfer« die ewige Rivalin Köln an: dort wüchsen rings um den Dom hochmoderne Büro- und Geschäftshäuser empor*).
Ein letztes Mal sammelten sich die Architekten zu gemeinsamem Protest gegen den Rathaus-Neubau, diesmal in massiertem Einsatz. Vertreter aus dem BdA, dem Architektenring, dem Architekten- und Ingenieur-Verein und der Neuen Rheinischen Sezession erklärten öffentlich:
»Es liegt nicht in unserer Absicht, uns für eine bestimmte Richtung der Baukunst oder der freien Kunst einzusetzen, sondern wir wollen darüber Beschwerde führen, daß die Stadt alle Bemühungen der verschiedenen Gruppen und Organisationen, die einseitige Kultur- und Personalpolitik der Stadt abzuändern, ignoriert hat. Es geht darum, daß eine anständige und demokratische Handhabung öffentlicher Kulturfragen an Stelle einer eindeutigen Cliquenwirtschaft gesetzt wird, die zur Zeit das freie Spiel der Kräfte einengt und zu einer aufdiktierten und das geistige Leben einengenden ''Kultur'' führt.«
Der scharfe Ton lockte nur den Baudezernenten Dr. Schreier aus seiner Reserve: »Die Architekten sollten ihre schmutzige Wäsche lieber im stillen Kämmerlein waschen.« Es sei nun einmal die Aufgabe der Bauverwaltung, für gediegenes Bauen einzutreten und dafür zu sorgen, daß keine Provisorien oder Experimente gemacht würden.
Während hinter dem Bauzaun am Rathausmarkt ungeachtet aller Proteste lautstampfende Bagger den Keller zu Schulte-Frohlindes altdeutschem Rathaus ausschachteten, forderte das Hochbauamt acht Düsseldorfer Bildhauer zu einem Wettbewerb auf. »Damit dat Haus hübsch Figürkes bekommt«, sagten die Düsseldorfer. Ausgeschrieben wurden »Plastiken im Giebel von sechs Dach-Ausbauten, zwei Kapitäle an den Arkadensäulen, zwei Plastiken an der Ecke Rheinstraße-Marktplatz, ein Relief an der inneren Arkadenwand«.
Über die dauernden Anwürfe gegen seine Person beklagte sich Professor Schulte-Frohlinde versteckt in einem Artikel, den er in der Kölner »Kulturarbeit« abdrucken ließ: »Man ist sehr forsch, sehr sicher, kennt seine Mission und hat allein recht. Nur Suchender und einfach Architekt zu sein, ist nicht erlaubt.«
Düstere Aspekte eröffnen sich, wenn er prophezeit: »Wenn ich recht unterrichtet bin, ist die Auflösung des Raumes und die Diffamierung der guten Proportionen in Anlehnung an atonale Musik der letzte Schrei; das würde aber das Ende der Baukunst überhaupt bedeuten.«
Wenn auch Düsseldorfs OB den freien Architekten jetzt versprochen hat, daß sie bei künftigen Bauprojekten der Stadt hinzugezogen werden sollen - Professor Julius Schulte-Frohlinde wird acht Jahre in Düsseldorf bleiben und seiner Tätigkeit in dem Rathaus-Neubau am Markt ein Denkmal setzen können.
Resigniert Josef Lehmbrock, der Leiter des Architektenringes: »Es hilft nichts, einer von uns muß Stadtverordneter werden, damit wir an der Quelle erfahren, was die wieder für ''nen Unsinn vorhaben.«
*) Der »Alde Düsseldorfer« wußte anscheinend noch nicht von den Plänen, die letzte Woche bekannt wurden und dem Düsseldorfer Architekten-Streit eine groteske Note gaben: Im Düsseldorfer Zentrum, also in der Nähe der geplanten malerischen Schneider-Wibbel-Gasse und in der Nähe des geplanten historizistischen Rathauses mit den Arkaden soll der erste 150 Meter hohe Wolkenkratzer Deutschlands, ein dreißigstöckiges »Modehochhaus« in den Himmel gebaut werden.