Regisseur Altman, der Mythenfresser
Der Ruhm kam spät, dafür um so heftiger und kontroverser. Hollywoods derzeit kreativster und unbequemster Filmemacher gehört nicht zur Generation der »heißen Babies« wie Steven Spielberg ("Der weiße Hai") oder Martin Scorsese ("Taxi Driver"). Mit seinen 51 Jahren würde man Robert Altman eher in den Reihen der angepaßten Routiniers vermuten.
Daß dem nicht so ist, mag vor allem daran liegen, daß Altmans Karriere mit Routinearbeiten in der Tretmühle der TV-Serien begann. Als Sohn eines Versicherungskaufmanns in Kansas City im stockkonservativen amerikanischen Mittelwesten geboren. schlug Altman sich nach dem Krieg, den er als Bomberpilot mitgemacht hatte, zunächst als Hundetätowierer durch, erwarb sich dann in einer Industriefilm-Firma die ersten technischen Kenntnisse, bevor er Mitte der fünfziger Jahre nach Hollywood ging.
Als er 1957 einen Dokumentarfilm über James Dean koproduzierte, wurde Hitchcock auf Altman aufmerksam und engagierte ihn als Regisseur für einige Folgen seiner TV-Serie »Alfred Hitchcock erzählt. In den nächsten Jahren arbeitete Altman äußerst erfolgreich für verschiedene Serien. darunter auch für »Bonanza«. Sein erster Kinofilm, 1967 gedreht, schien beinahe schon sein letzter zu sein: Warner Brothers warf ihn während der Dreharbeiten zu dem dümmlichen Astronautendrama »Countdown -- Start zum Mond« (Sendung: 7. August) aus dem Studio, weil er zwei Schauspieler gleichzeitig reden ließ.
Nach dem erfolglosen Psycho-Drama »Ein kalter Tag im Park« gelang ihm mit »M.A.S.H.« der Durchbruch zum gefragten« aber ungeliebten Starregisseur. Er machte nach einem Drehbuch von Ring Lardner jr. Grenzen des guten Geschmacks sprengende Satire über das US-Militär im Koreakrieg.
In den folgenden sieben Jahren drehte er, nun sein eigener Produzent, neun weitere Filme fern von jeglichem Studiozwang.
Doch jetzt, so scheint es. ist die Glückssträhne des passionierten Pokerspielers abgerissen. »Wie kommt es«, polterte »Villlage Voice«, »daß wir es für nötig halten, während die alten Hollywood-Mogule wegsterben, einen neuen Mogul aus Italien zu importieren?«, und spielte damit auf Dino de Laurentiis an, der Altman für drei Filme unter Vertrag genommen hatte und sich gleich nach dem ersten gemeinsam realisierten Projekt, der Western- und Showbusiness-Persiflage »Buffalo Bill und die Indianer« mit ihm verkrachte und ihm die Regie für den nächsten Film. die Adaption von E. L. Doctorows Bestseller »Ragtime«. entzog.
Was Aitman nun beim Uralt-Konflikt zwischen Kunst und Geld durchmacht, ist, als wärs ein Stück von ihm. Denn der »Mythenfresser« (so der »Nouvel Observateur") hat seit M.A.S.H. mit Vorliebe Amerikas heilige Kühe geschlachtet. Zwar hat dieses Ritual inzwischen schon die gesellschaftlichen Weihen erhalten, doch bei kaum einem anderen Hollywood-Regisseur ist die Vision von Amerika als »Land der Freien und der Heimat der Tapferen« so unähnlich wie bei ihm.
Altman knackt in den von der ARD gesendeten Filmen Genres an ihren skierotisch versteiften Stellen:
Der Spielerfilm »Calilornia Split« (30. August) folgt weniger der seit Dostojewski gebräuchlichen »Wie gewonnen, so zeronnen«-Dramaturgie, als vielmehr den Zufälligkeiten beim Kartengeben und düpiert damit eine noch immer herrschende Puritaner-Moral, die das Glücksspiel offiziell auch heute noch nur in den beiden Enklaven Las Vegas wid Reno erlaubt.
»Spiegelbiider« (13. August), Altmans vielleicht konventionellster Film, erzählt die Schizophrenie einer jungen Frau gänzlich unanalytisch nach, indem er ihre bewußtseinsspaltenden Phantasien filmische Wirklichkeit werden läßt. Aus einem klinischen Fall entsteht eine cinematographische Ver-
* Mit Julie Christie und Warren Beatty.
störung, die dem Zuschauer selbst den Sinn für Realität zu nehmen versucht.
Sein Western »McCabe & Mrs. Miller« (17. September) ist die Geschichte eines ängstlichen Glücksspielers und einer smarten Bordellbesitzerin, die in einem verdreckten armseligen Kaff namens »Presbyterian Church« ihren vergnüglichen Geschäften nachgehen, bis McCabe vom Killerkommando einer Bergwerksgesellschaft, an die er nicht verkaufen will, erschossen wird und Mrs. Miller in einer Opiumhöhle verkommt. Hier sind die Helden die Verlierer, die Sieger anonyme Wirtschaftsmächte -- eine Sicht, die der Wirklichkeit näher kommt als der Mythos vom LonesomeRider.
Im Krimi »Der Tod kennt keine Wiederkehr« (25. September) transponiert Altman Raymond Chandlers Klassiker »The Long Goodbye« ins Los Angeles von heute und läßt den Privatdetektiv Philip Marlowe. von Elliot Gould spielen, der durch den Film hüpft und tändelt wie ein arbeitsloser Basketballprofi. Von Krimispannung keine Spur, dafür viel Situationskomik und leichtfüßig ausgeteilte Seitenhiebe auf die verkommenen oberen Zehntausend Kaliforniens. Altman geht es weniger um die Aufklärung eines Verbrechens als um die Schilderung eines Milieus, in dem dies möglich ist.
Wer in den Zwängen jahrelanger Serienfron nicht verblödet ist, der muß eine Wut im Bauch haben gegen das etablierte Showbusiness und seine endlos repetierten Lügen, gegen die jede Kreativität beschneidende Konvention der exakt einzuhaltenden Spieldauer und gegen eine zwecks Werbeeinschaltungen zu Blackouts und falschen Höhepunkten gepeitschte Dramaturgie.
Was Altmans Filme so aufregend sinnlich erfahrbar macht, ist das Vergnügen. einem zuzusehen. der sich mit phantasievoller Lust und anarchischem Wohlbehagen in eroberten Ereiheiten suhlt. Die Direktheit eines nur scheinbaren -- Chaos und die Spannung der Improvisation machen sie lebendig. Altman entwickelte eine Tonaufnahmetechnik mit acht Spuren (die in der deutschen Synchronisation leider verlorengeht>, für die ihn Hollywood am meisten haßt. Denn er inszeniert damit nicht Dialoge, sondern schafft einen komplexen Tonteppich aus Geräuschen und sich überlappenden Wort- und Satzfetzen, die seinen improvisatorischen Stil noch verstärken. Altman zum »Playboy": »Ich probe ungern eine Szene, bevor wir wirklich fertig zum Drehen sind. Wenn ich es tue, dann ist die Frische für mich weg, wenn wir es später aufnehmen: alles scheint fertig und irgendwie trocken.
Für diesen Stil, der ihm die Klassifizierung »amerikanischer Fellini« eingetragen hat, benötigt er ein eingespieltes Team von Technikern und Schauspielern. Seit M.A.S.H. arbeitet Altman immer wieder mit den gleichen Leuten.
Das Publikum indes scheint seinen Extravaganzen nur zögernd zu folgen. Obwohl die Kritik bei jedem seiner Filme Lobeshymnen anstimmt, konnte er seit M.A.S.H. keinen Kassenerfolg mehr verbuchen. Selbst »Nashville«, sein furiosester Film, blieb hinter den Erwartungen zurück. Nun, da sich mit »Buffalo Bill und die Indianer« für den sich nur noch die Jury der Berlinale begeistern mochte, die ihm einen Goldenen Bären verlieh, das Blatt gegen ihn gewendet hat, scheint Spieler Altman ausgezockt worden zu sein.
Altman: »Ich fühle mich wie Adlai Stevenson: Es schmerzt zu sehr, um darüber zu lachen, und ich bin zu alt, um zu weinen.