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PUBLIKATIONEN Rembrandt für Bauern

Lexika über Briefmarken, Tiere, Medizin, oder die Bibel als illustrierte Wochen-Schrift -- Part Publications bieten Bildungsbücher in Raten. An diesem Geschäft will jetzt auch Bertelsmann partizipieren.
aus DER SPIEGEL 33/1971

Bücher, so lamentieren deutsche Verleger gern, bringen nichts mehr ein. Und die besseren Zeitschriften, so echot es aus gleichgestimmten Kulturträger-Kreisen, gehen auch nicht mehr so recht.

Ausgerechnet aus einer Kreuzung dieser beiden Druck-Sachen erhofft sich die barmende Branche Besserung: Sogenannte Part Publications sollen die Verleger-Profite wieder vergrößern.

»Part Publications« (deutsch: Teilveröffentlichungen) sind Enzyklopädien, die in wöchentlichen oder vierzehntäglichen Heft-Portionen erscheinen und am Zeitungskiosk erworben werden -- Bücher auf Stottern. Erst wenn der Käufer die lückenlose Folge der bis zu 200 Einzellieferungen beisammen und in die »kostbaren, goldgeprägten Patent-Sammeleinbände« (Werbung) eingeordnet hat, verfügt er über ein praktikables Nachschlagewerk.

Die große Chance der Buchzeitschriften sehen die Markt-Strategen in ihrem Vertriebsweg. Nicht über Buchhandlungen, sondern über den Zeitschriftenhandel, wie Groschenromane und Pornohefte. sollen die belehrenden Wochenschriften an den Mann gebracht werden. Das Buch im Zeitschriften-Gewand gelangt so an die Käuferschicht, die mit dem traditionellen steifgebundenen Bildungsbuch beim Sortimenter kaum jemals zusammentreffen würde -- an die Kiosk-Kunden, von denen laut Statistik die meisten aus sogenannter Schwellenangst niemals eine Buchhandlung betreten.

Die Kampagne um diese Bücher-Muffel kam neuerdings ins Gerede, als Deutschlands vielseitiger Verlags-Gigant Bertelsmann seinen Plan bekanntgab, gemeinsam mit Gruner + Jahr und dem belgischen Verlag Femmes d'Aujourd'hui aus dem französischen Hachette-Konzern in das Part-Publication-Geschäft einzusteigen. Freilich, Bertelsmanns »Europart«-Unternehmung ist die Nachhut einer Bildungsheftchen-Sammlungsbewegung, die in Europa bereits Millionen Anhänger hat.

Die ersten Part-Publikateure waren die Mailänder Verlagsbrüder Fabbri, die zuvor mit Schulbüchern ihr Geld gemacht hatten. 1959 begannen sie mit der Fortsetzungszeitschrift »Wissen«.

Mit diesem Volksbildungswerk, das in Italien die höchste Auflage hält, die dort je ein Buch außer der Bibel erreichte, überzogen die Fabbris inzwischen 14 Länder, darunter Südafrika und die Türkei. Dank diesem »Wissen« in Fortsetzungen, so behauptet Dino Fabbri, »kann heute jeder Bauer einen Rembrandt erkennen und begreifen«.

Das Geschäft der Fabbris versuchten Verleger anderer Länder zu wiederholen. Bertelsmann-Partner Femmes d'Aujourd'hui etwa hat für den französischen Sprachraum in Wochen-Rationen aufgelegt: »1000 Menues« (Durchschnittsverkauf: 120 000 Hefte pro Woche); »Medizin von A bis Z« (110 000); eine illustrierte »Bibel« (100 000); demnächst folgt das Leben des Generals de Gaulle in 96 Schnipseln.

Größter Erfolg in Frankreich und Belgien war die kulinarische Stichwortsammlung »Küche von A bis Z« -- die erste Auflage ging so gut, daß die Verleger schon bald wieder bei Nummer 1 anfingen, und so wiederum in diesem Kerbst: Bald wird eine halbe Million französischer Hausfrauen nach dem »A bis Z« -Rezept ihre Einheitsmayonnaise ("Ein Eigelb, 1/4 Liter Öl, ein Teelöffel Senf, ein Teelöffel Curry") rühren.

Auf dem größeren englischsprachigen Markt erreichen manche Buchzeitschriften Millionenauflagen; dafür setzen die Verleger Werbe-Etats von zwei bis drei Millionen Mark ein. Nicht ohne Risiko: Als das britische Fernsehen die übliche mehrwöchige TV-Werbung für die illustrierte Fortsetzungs-Bibel ablehnte, wurde die heilige Wochen-Schrift zur Pleite der Saison.

In der Bundesrepublik teilen sich bislang zwei Verlage das einstweilen noch bescheidene Heftchen-Sammler-Geschäft:

Der Stuttgarter Wissen-Verlag begann vor vier Jahren mit der von Fabbri lizenzierten (in Mailand gedruckten) Erfolgsserie »Wissen« (Slogan: »Die große Bildungszeitschrift für die ganze Familie"). Es folgten »Briefmarken« und eine »Enzyklopädie 2000«.

Ebenfalls mit italienischen Lizenzen etablierte sich in München der Novaria-Verlag. Er ediert Bilderbuch-Zeitschriften über »Weltreisen« und, natürlich, über das liebe Vieh: »Fauna«.

Billig sind die gestückelten Werke nur auf den ersten Blick: »Enzyklopädie 2000« zum Beispiel, in 192 Wochen-Lieferungen à 2,90 Mark und 12 Einbänden, kostet 651,60 Mark.

Das Wichtigste ist, sagt Wissen-Verleger Erhard Wendelberger. »eine hohe Startauflage. Gleich mit der ersten Nummer einer Part-Publikation muß mit größtem Werbeaufwand eine möglichst breitgestreute Käuferschicht erreicht werden«.

Denn dies ist das Grundgesetz der Branche: Nur rund ein Drittel der -Start-Käufer kehrt auch nach dem zwölften Heft an den Kiosk zurück, obwohl eine unvollständige Part-Sammlung als Nachschlagewerk wertlos ist. Immerhin blieb die Auflage der erfolgreichen »Enzyklopädie 2000« bei 65 000 konstant. Und das reicht: Wenn nur ein Viertel der Startauflage (hier: 180 000) gehalten wird, ist ein Projekt profitabel.

Der Prototyp des ausdauernden Bildungs-Ratenkäufers, Wissen-Wendelberger weiß es, ist »der Postbeamte mit acht Klassen Volksschule, der befördert werden möchte«. Und an den »Wissensdurstigen mit Volksschulbildung« denken auch die Novaria-Leute bei ihren Publikationen.

Für etwa das nämliche Publikum. freilich mit weitaus größerem Aufwand. wird demnächst Bertelsmann die PP-Produktion aufnehmen, und der Zeitschriften-Konzern Gruner -1- Jahr wird ihm den Vertrieb besorgen.

Die »Europart« -Gründer beginnen im September nach dem französischen Erfolgs-Kochrezept mit einem Werk für die Küche: »Menü« -- Laufzeit zwei Jahre« Ergebnis: 5000 Rezepte in zehn Sammelbänden. Starten soll das Werk, in guter Bertelsmann-Gigantomanie, in 500 000 Exemplaren. Und präpariert sind bereits: »Medizin«, »Geschichte« und »Tiere«.

Selbst wenn trotz einer Fünf-Millionen-Mark-Werbung der massenhaften Bertelsmann-Bildung nur ein Teil-Erfolg beschieden sein sollte, werden die geschäftstüchtigen Gütersloher auf ihre Kosten kommen. Denn was am Kiosk liegenbleibt, ist noch lange nicht verloren. Die nichtverkauften Hefte wird Bertelsmann nach bewährter Part-Publication-Manier zu Büchern aufbinden und an traditionellem Ort verhökern: in der Buchhandlung.

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