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SPIEGEL Gespräch »Rembrandt hatte auch nicht immer recht«

Der Leipziger Maler Bernhard Heisig über Bedingungen der Kunst in der DDR *
aus DER SPIEGEL 27/1984

SPIEGEL: Herr Heisig, Sie arbeiten an einem dreiteiligen Gemälde, das Sie »Begegnung mit Bildern« nennen. Was für eine Begegnung ist das, und wie kann der Betrachter sie nachvollziehen?

HEISIG: Ursprünglich war das Bild ein Eindruck, der so zustande kam: Mein Sohn leistete seinen Militärdienst, kam auf Urlaub und stand vor Bildern von mir, die hier im Atelier waren. Eines hieß »Die erste Bürgerpflicht«. Das Wort, das von 1806 stammt, ist 1848 wieder aufgegriffen worden und heißt vollständig »Ruhe ist die erste Bürgerpflicht«, aber das war sie damals eben nicht. Damit beschäftigte sich dieses Bild, davor stand zufällig mein Sohn, und links und rechts hingen Reproduktionen des großen Triptychons »Der Krieg« von Otto Dix und mein Bild »Festung Breslau«.

SPIEGEL: Was hat Sie gereizt, aus dieser Konstellation mit Bildern ein neues Bild zu machen?

HEISIG: Es ergab sich das seltsame Verhältnis, daß ich, der solche Bilder malt, im Krieg war, wie mein Vater auch, und nun mein Sohn in Uniform und dahinter Leute in anderen Uniformen: also Menschen, die sich zu ihrer Zeit verhalten müssen, als gehorsame Opfer oder aber denkend und handelnd.

SPIEGEL: Wie läßt sich diese Problematik in Malerei umsetzen?

HEISIG: Erst einmal kam das als Stoff auf mich zu. Ich habe dann mehrere Fassungen davon gemalt, einige gibt es noch. Aber mit der Zeit habe ich immer mehr dazugedacht und dazugesehen, und aus dem ratlosen, etwas verängstigten Soldaten wurde einer, der Stellung beziehen sollte. Es ist ja nicht Uniform gleich Uniform. Es ist ein Unterschied, ob ein Pariser Kommunarde von 1871 hinter einem Steinhaufen einer Barrikade liegt und schießt oder ob ein Soldat des Zweiten Weltkriegs schießt, weil er es tun muß oder das glaubt. In den Seitenteilen des Bildes wird gezeigt, wie Leitbilder auf den Menschen wirken können. Der linke Teil hat mit meiner Erinnerung zu tun, daß ich als Kind, wenn wir Bekannte besuchten, immer das Kriegsbuch von 1870/71 in die Hand bekam. Und rechts versuche ich, ein Denkmal über einer Stadt darzustellen. Das bezieht sich auf meine Beobachtung, daß zum Beispiel viele auch in Paris vom Kommune-Aufstand 1871, der unvorstellbare Opfer gekostet hat, nichts wissen - vielleicht nicht wissen wollen oder nicht wissen sollen.

SPIEGEL: Ist dieses noch unfertige Werk nun in Ihrer Sicht ein Bild, das nur in der DDR gemalt werden kann? Oder könnte es irgendwo in der Welt entstehen?

HEISIG: Sicher nicht irgendwo. Es könnte zum Beispiel wohl kaum in Detroit oder in New York gemalt werden.

SPIEGEL: Warum nicht?

HEISIG: Weil eine Nation, die seit 1865 keinen Krieg im eigenen Lande erlebt hat, sich anders dazu verhält. Meine Bilder sind im deutschen Sprachraum gemalt, aus den Erfahrungen, die Deutsche haben. Ich könnte mir auch nicht vorstellen, daß sie zum Beispiel in Portugal gemalt werden. _(Mit Redakteuren Jürgen Hohmeyer und ) _(Ulrich Schwarz in seinem Leipziger ) _(Atelier. )

SPIEGEL: Und in Köln oder in München?

HEISIG: Natürlich.

SPIEGEL: Sie werden aber nicht da gemalt. Wer sich auskennt, wird ihnen sofort ansehen, daß es Bilder aus der DDR sind.

HEISIG: Vielleicht, aber das bezweifle ich. Ich will darüber gar nicht urteilen. Ich habe nur meine Erfahrungen einzubringen, und ganz sicher spielt hier eine bestimmte Art, mit den Dingen konfrontiert zu werden, eine Rolle. So war meine Entwicklung von einer bestimmten Zeit an dadurch geprägt, daß ich mich im gesellschaftlichen Umfeld hier mit der menschlichen Figur beschäftigen mußte, und ich habe vielleicht dadurch andere Einsichten gesammelt.

SPIEGEL: Verläuft Ihre persönliche Entwicklung innerhalb einer Entwicklung, die für die Kunst in der DDR überhaupt kennzeichnend ist?

HEISIG: Das will ich hoffen. Auch Picasso hat nichts allein gemacht. Da wirkte seine gesellschaftliche Umgebung mit.

SPIEGEL: Die DDR hat mit ihrer Neunten Kunstausstellung in Dresden, die vor gut einem Jahr zu Ende gegangen ist, Bilanz gezogen. Bis Anfang dieses Jahres wanderte die Ausstellung »Zeitvergleich« mit Bildern von 13 Malern aus der DDR durch Westdeutschland. Gibt beides zusammen einen zutreffenden Eindruck von der Situation?

HEISIG: Ich fand »Zeitvergleich« sehr wichtig, weil das Vorurteile abbauen half. Und ich glaube, das deckt sich mit der Meinung der meisten Künstler, die da beteiligt waren; von den anderen ist das ja nicht zu verlangen. Die Ausstellung hat auch trotz einiger Querschläger die Szene ungefähr erfaßt. Aber sie war überwiegend retrospektiv und zeigte Bilder, die sich bereits durchgesetzt haben. Die Neunte hatte ihr die größere Breite und Aktualität voraus.

SPIEGEL: Neue Entwicklungen?

HEISIG: Von neuer Entwicklung kann man immer nur sehr bedingt reden, weil nicht alles neu und nur immer besser wird, weil sich das in Wellenbewegungen vollzieht und die Kunst auch die Ängste und Nöte der Zeit spiegelt. Was beim »Zeitvergleich« nicht so deutlich zum Ausdruck kam: Bei der Neunten Kunstausstellung ist eine meiner Ansicht nach manchmal überintellektualisierte Malerei in den Vordergrund getreten.

SPIEGEL: In einer Diskussion haben Sie sich dagegen verwahrt, die 50er Jahre zu idealisieren. Immerhin habe es damals auch viel Beckmessertum gegeben. Sind das endgültig vergangene Zeiten?

HEISIG: Beckmessertum wird man nirgendwo ganz überwinden können. Das liegt in der Natur der Sache. Auch daß es immer wieder Reibungsflächen gibt, und ich meine, die dürfen auch nicht abgebaut werden. Man kann sehr gut darüber streiten, ob immer nur Rembrandt recht hatte, als er sich mit der Amsterdamer Schützengilde über die »Nachtwache« anlegte. Er brauchte nämlich auch den Widerspruch seiner Auftraggeber, damit dieses riesige Kunstwerk entstand.

SPIEGEL: Von außen sieht sich die Entwicklung der Malerei in der DDR etwa so an: In den 50er und 60er Jahren war, was da publik wurde, ziemlich einheitlich und platt. Um 1970 entfaltete sich dann ein unvermuteter Reichtum an Motiven und Malweisen. Künstler wie Sie, wie Werner Tübke und Wolfgang Mattheuer wurden bekannt. Jüngere haben diesen Anstoß aufgenommen. Nun scheint uns die Szene etwas zu stagnieren. Ist diese Zusammenfassung falsch?

HEISIG: Sie ist nur zum Teil richtig, weil die Bilder, die dann in den siebziger Jahren bekannt wurden, schon vorher gemalt oder vorbereitet waren. Sie beschreiben, was in den Ausstellungen zu sehen war. Da gab es natürlich 1972, bei der Siebten, ein »Erstaunlich, was es hier alles gibt«. Bei der Achten gab es den »Nun-ja«-Effekt, und jetzt gibt es den »Ach-so«-Effekt, jetzt sitzen wir auf der Grundlinie. Jetzt müßte eigentlich wieder der Partner kommen und auch etwas dazu sagen.

SPIEGEL: Aber diesem Partner, der Gesellschaft oder einem einzelnen Auftraggeber, waren die Bilder doch wohl nicht zu verdanken, die 1972 aus den Ateliers zum Vorschein kamen?

HEISIG: Sie dürfen nicht vergessen, daß die Bilder in einem Feld starker, auch fruchtbarer bis ins Persönliche reichender Reibungen gemalt worden waren. Manches Bild ist auch ein Antibild zu verbrauchten Kunsthaltungen.

SPIEGEL: Überspitzt hieße das, Hitler ein Verdienst an den »Ungemalten Bildern« von Nolde zuzuschreiben.

HEISIG: Nein, das ist nun wirklich nicht vergleichbar, weil damals eine mörderische Ideologie diktierte, wovon hier keine Rede sein kann.

SPIEGEL: - Heute scheinen Sie eher die Einflußnahme von außen zu vermissen?

HEISIG: Wenn der Partner sich nicht einmischt, bedeutet das, daß der Künstler immer recht haben muß. Das ist Unsinn. Daß Künstler tun, was sie wollen, ist bei Ihnen gleichbedeutend mit Freiheit. Vergessen Sie aber bitte nicht, daß das auch bedeutet: Egal, macht doch, was ihr wollt! Auch der Partner muß seine gesellschaftliche Rolle begreifen. Er muß, heute in diesem Staat, auf seine Weise die große Leistung nachvollziehen, die das Bürgertum als Kulturträger gebracht hat.

SPIEGEL: Wer ist Ihr Partner, wer ist Ihr Auftraggeber?

HEISIG: Ich selbst bin jetzt in der Situation, daß ich fast ohne Auftrag arbeite. Aber allgemein gesprochen, sind die Partner etwa die Räte der Bezirke, die über Mittel dafür verfügen, es sind sogar die Künstlerverbände, und es sind vor allem die Betriebe. Die wollen etwas haben, und so kommt was zustande - manchmal auch nicht.

SPIEGEL: Auf welche Weise kann sich dabei etwas entzünden? Der normale Betrieb wird doch einfach ein verklärendes Bild von sich haben wollen.

HEISIG: Die Menschen, die dort arbeiten, haben natürlich ihre Freuden und Erfolge, aber auch Probleme, ihre Ängste und Schwierigkeiten, auch die wollen sie reflektiert sehen. Man müßte allerdings von einem Auftraggeber soviel Einsicht verlangen, wie die spanische Königsfamilie hatte, als sie sich von Goya malen ließ.

SPIEGEL: Nicht jeder findet solche Auftraggeber. Es gibt Maler, die aus der DDR gedrängt worden sind. Warum konnte Ralf Winkler, der sich Penck nennt, nicht hierbleiben?

HEISIG: Ralf Winkler konnte zuzeiten in Köln ausstellen und verkaufen, als andere gar nicht da hinkonnten. Er muß wohl akzeptiert worden sein, wenigstens in ökonomischen Dingen, und er hatte seine Szene ebenso wie der Kollege Gerhard Altenbourg zum Beispiel sie hat.

SPIEGEL: Aber er hatte ausgerechnet in der Gesellschaft, in der er lebte, keine öffentliche Anerkennung.

HEISIG: Ich werde nie bestreiten, daß es da Schwierigkeiten gibt, die zum Thema »Reibungsfeld« gehören. Sie können schließlich nicht erwarten, daß dieser Partner, von dem wir gesprochen haben, eine Kunst gesellschaftlich ohne weiteres aufnimmt, die sich in der Gegend der Höhlenmalerei bewegt. Aber Winkler ist, soviel ich weiß, nicht anders unterdrückt oder belastet gewesen als viele andere auch.

SPIEGEL: Riskiert die DDR mit diesen Reibungen nicht, daß ihr vielleicht eine ganze nächste Generation von Künstlern verlorengeht?

HEISIG: Ich möchte Ihnen mit einer Gegenfrage antworten: Was halten Sie von einer Gesellschaft, die Bilder bezahlt, die sie eigentlich nicht mag, die Archive damit füllt, immer in der Hoffnung, daß auf dieser Linie mal was entstehen wird. Das hat dieser Staat immerhin 20 Jahre lang mit uns gemacht. Ich will gar nicht sagen, daß das ganz bewußt geschehen ist. Aber man hat die Künstler bezahlt. Nicht ein Markt entschied, sondern die Einsicht, daß man uns Zeit lassen muß.

SPIEGEL: In einem Text für die Hamburger Kunstzeitschrift »Art« haben Sie sich »gegen ein Gesellschaftsmodell« gewandt, »das den Künstler unter der Maxime, er müsse ganz frei sein, auf den gesellschaftlichen Außenseiter reduziert«. Wir folgern daraus als Umkehrung: Will der Künstler kein Außenseiter sein, so muß er ein Stück Freiheit aufgeben. Inwiefern schränkt ihn das ein?

HEISIG: Wollen Sie Außenseiter sein?

SPIEGEL: Nein, warum sollten wir?

HEISIG: Aber von mir verlangen Sie es.

SPIEGEL: Durchaus nicht.

HEISIG: Sie wollen, daß ich mich zu etwas mache, was ich nicht sein will. Ich soll immerfort was ganz Neues machen. Eine seltsame Auffassung von künstlerischer Freiheit. Wenn ich doch da und dort ein Außenseiter bin, so habe ich das nicht beabsichtigt. Ich will sehr gern an den Ärgernissen, auch an den Freuden der Gesellschaft teilnehmen.

SPIEGEL: Die Gesellschaft, in der Sie leben, ist nicht pluralistisch organisiert, sondern nach einer bestimmten Lehre, einem geschlossenen Weltbild. Das wird hier zum Beispiel plakatiert mit dem Satz: »Die Lehre von Marx ist allmächtig, weil sie wahr ist.« Was passiert, wenn Sie Zweifel an diesem Satz bekommen? Wo sehen Sie in dieser Gesellschaft Ihre Funktion?

HEISIG: Ich bin da in ähnlicher Lage wie Goya, Grünewald, Raffael und so weiter, die auch in geschlossenen Gesellschaften mit einem bestimmten Anspruch lebten und gerade deswegen freie Künstler waren, wie ich den Begriff verstehe. Ich fühle mich hier nicht künstlerisch bedrängt, so daß ich nicht das arbeiten könnte, was ich vorhabe. Sonst würde ich es schlechterdings so nicht tun. Ich bedarf einer Umgebung, die mich

auch fordert, geistig trägt, die mir ein Zentrum anbietet. Ich finde hier ein Partnerfeld, ich finde auch eine Reihe belastender Faktoren, aber ich finde mich nicht in eine Rolle gedrängt, der ich nicht gewachsen bin. Ich bin kein Gewerbetreibender. Ich halte es für keine Form von Freiheit, wenn ich vom Kunstmarkt abhängig bin.

SPIEGEL: Ihre Gesellschaft erwartet von Ihnen, daß Sie - wir zitieren ein Schlagwort - helfen, den Sozialismus aufzubauen. Sie akzeptieren das?

HEISIG: Natürlich.

SPIEGEL: Wie geht diese Hilfe vor sich? Inwiefern werden Ihre Bilder - noch eine hier gängige Formulierung - »gebraucht«?

HEISIG: Ich bin kein Volkslehrer. Ich male meine Bilder nicht unter dem Aspekt, was damit erzieherisch erreicht werden könnte. Ich will, daß sie interessieren. So simpel ist das. Ich kann auch bestimmt nicht für mich in Anspruch nehmen, daß für den Fall, daß in einem Betrieb Versorgungsschwierigkeiten auftreten, ich die Frage mit meinen Bildern beantworten könnte. Aber da meine Bilder gekauft werden, auch von privaten Käufern, denke ich, daß sie gebraucht werden.

SPIEGEL: Wo finden Sie Ihre Stoffe?

HEISIG: In Konfliktsituationen, immer wieder. Lyrische, stille Bilder kann ich nicht malen. Deswegen habe ich mir jahrelang immer wieder Stoffe wie die Pariser Kommune zum Thema genommen.

SPIEGEL: Versuchen Sie auch, die Konfliktstoffe Ihrer eigenen Gesellschaft darzustellen?

HEISIG: Als Brecht die »Mutter Courage« schrieb, wollte er auch nicht den Dreißigjährigen Krieg darstellen. Ich behaupte, daß meine Kommunarden zum Beispiel Leute sind, die um mich herum gelebt haben und leben.

SPIEGEL: Wie übertragen Sie denn die Konfliktsituation der Pariser Kommune auf die Gegenwart? Den Kommunarden steht ja ein Gegner, die französische Armee, gegenüber.

HEISIG: Die Leute, die da aufeinander schossen, geben einen sehr scharfen Begriff von Konflikt. Das ist so unterschiedlich nicht von dem, was sich heute abspielt. Nur ist es dort deutlicher geschehen, es ist sehr viel direkter darzustellen. Moderne Kriege werden verdeckter geführt. Zu formulieren, wie innerhalb einer Gewerkschaftsleitung dies oder jenes durchgesetzt, dieses oder jenes nicht gemacht werden soll, habe ich auch probiert. Es ist mir bisher nicht gelungen. Ich habe aber auch keine Bilder gesehen, wo das wirklich gelungen ist. Im Film ginge das vielleicht besser. Aber die Kommune beschäftigt mich nun auch nicht mehr.

SPIEGEL: Ihr Kollege und Verbandspräsident Willi Sitte hat in der Diskussion um die Neunte Dresdner Kunstausstellung von der Gefahr der »Überproblematisierung« gewarnt. Heißt das: Die Künstler sollen kritisch sein, aber bitte nicht zu sehr?

HEISIG: Nein, das glaube ich nicht. Sitte wird wohl gemeint haben - ich meine das jedenfalls -, daß sich der Maler auf seine spezifischen Möglichkeiten besinnen und keine Bilderrätsel aufstellen sollte.

SPIEGEL: Vielleicht haben wir die Vokabel mißverstanden. Aber es gibt doch in der DDR Konflikte, die tabuisiert sind. Es gibt, wie in der Bundesrepublik, eine wachsende Zahl von jungen Leuten, die aus Angst vor einem Krieg auch keinen Wehrdienst leisten wollen. In der DDR duldet der Staat zwar keine Wehrdienstverweigerung. Aber er hat immerhin die Einheiten der »Bausoldaten« eingerichtet, in denen DDR-Bürger Kriegsdienst ohne Waffen ableisten können. Könnten Sie sich vorstellen, ein Bild zu malen, das den Titel »Der Bausoldat« trägt?

HEISIG: Vielleicht gucken Sie sich einmal das Triptychon richtig an, über das wir vorhin gesprochen haben. Es zeigt einen Soldaten, der versucht, den Krieg zu werten, die »Begegnung mit Bildern von gestern« kritisch zu begreifen. Er will nicht das gehorsame Opfer sein. Es ist kein pazifistisches Bild. Der »Bausoldat« könnte das nicht aufnehmen. Ich würde das Thema damit nicht darstellen können.

SPIEGEL: Ein anderes Problem, das in der DDR sehr virulent und weitgehend tabu ist: Es gibt viele Leute, die bereit sind, hier alles aufzugeben, um in ein Land zu gehen, das sie gar nicht mehr kennen. Ist das kein Konfliktstoff, der einen Künstler reizen müßte? Ist für Sie ein Bild zum Thema »Republikflucht« denkbar?

HEISIG: Republikflucht ist für mich schon deswegen kein Stoff, weil er sich personalisiert. Man müßte erst mal hinter die Motive des einzelnen kommen. Man müßte die Entwicklung der Situation klarmachen und vielleicht einen Roman darüber schreiben. Als Maler sehe ich keine Bilder auftauchen. Daß dieses Problem zum Thema einer künstlerischen Äußerung wird, halte ich für möglich. Aber daß das öffentlich als künstlerisches Thema diskutiert wird, können Sie im Augenblick schlecht verlangen.

SPIEGEL: Es mag am Medium liegen, daß Schriftsteller in der DDR leichter an Tabus rühren und leichter Ärger mit ihrem Staat bekommen als bildende Künstler. Das Buch von Stefan Heym über den 17. Juni ist bis heute nur im Westen veröffentlicht.

HEISIG: Sie sind ja auch weniger berührt von der Sache.

SPIEGEL: Die Ausbürgerung von Wolf Biermann ist mittlerweile ein historischer Fall. Aber wir erinnern uns, daß unter den Intellektuellen, die damals protestiert haben, nur ein bildender Künstler, Fritz Cremer, war, und der hat seine Unterschrift wieder zurückgezogen.

HEISIG: Ich will Ihnen etwas sagen: Die Sache war ganz anders, als Sie wissen und als sie sich bei Ihnen darstellt. Auf jeden Fall gab es eine sehr harte Auseinandersetzung, wie sich das auch gehört. Da waren viele von uns dieser und viele von uns jener Meinung.

Wir wußten noch nicht, daß Biermann doch nicht der ist, für den wir ihn hielten. Mir ging das jedenfalls so. Wir haben uns manchmal engagiert, wie es diese Sache so nicht verlangt hätte. Es hat aber keinen Zweck, das jetzt zu vertiefen. Wir können uns nicht einfach darüber hinwegsetzen, daß wir hier eine besondere Empfindlichkeit zu beachten haben. Einer, der das nicht berücksichtigen wollte, war Günter Graß, der uns damit die mit Mühe aufgebaute Ausstellung beinahe geschmissen hätte.

SPIEGEL: Sie sprechen jetzt vom »Zeitvergleich«, für den Graß ein Katalogvorwort geschrieben hatte. War es wirklich ein so großes Problem, die Ausstellung überhaupt zustande zu bringen?

HEISIG: Wir haben uns zwei Jahre lang darum bemüht. Denken Sie ja nicht, daß das so einfach ist. Nun können Sie mich gleich fragen: »Warum ist das nicht einfach? In der Demokratie hat das einfach zu sein.« Es hat aber keinen Sinn, ohne Schirm in den Regen zu gehen und zu sagen, wieso werde ich naß? Das ist nun mal so. Wenn man alles will, wird man gar nichts kriegen.

SPIEGEL: Der Graß-Text, der den Beteiligten in der DDR vorher nicht bekannt gewesen war, hat so gewirkt, daß Ihr Ständiger Vertreter in Bonn, Herr Moldt, nicht zur Hamburger »Zeitvergleich«-Eröffnung erschien, obwohl er sich in der Stadt aufhielt, und daß vereinbarte Reisen von Malern aus der DDR zu den Eröffnungen an weiteren Ausstellungsorten erst einmal unterblieben sind - wieso eigentlich? Graß hat nicht einseitig die DDR kritisiert. Er hat davon gesprochen, das riesige Bauernkriegspanorama, an dem Werner Tübke arbeitet, setze einen Maßstab, dem weder der eine noch der andere deutsche Staat gewachsen sei. Er hat Mittelmäßigkeit ein gesamtdeutsches Gütezeichen genannt. War das so anstößig?

HEISIG: Sicher nicht, und ich müßte den Text jetzt nochmals ganz durchlesen, um das genauer zu beantworten. Aber eines ist ganz sicher - jetzt bleibe ich bei dem Beispiel des Tübkeschen Panoramas: Wenn der Künstler zu loben ist, der so was malt, dann ist auch der Mut des Auftraggebers zu loben, der das unternimmt und finanziert. Dabei kann jeder auf die Schnauze fallen. Das nicht zu beachten und beide Seiten gegeneinander auszuspielen, ist einfach unfair. Daß Graß hier gerade auf den empfindlichsten Punkt gezielt hat, ist doch nicht den Betroffenen anzulasten.

SPIEGEL: Können Sie sich vorstellen, daß die westdeutschen Veranstalter diesen Text ganz arglos in den Katalog aufgenommen haben, ohne sich mit Ihnen abzusprechen?

HEISIG: Bitte schön, ich glaube wirklich, daß das naiv war. Bloß unsere verantwortlichen Stellen glauben das natürlich nicht. Bedenken Sie: Es gibt in jeder Szene auch Tauben und Falken. Vielleicht hat man nicht nachgedacht, aber wenn ich bei der Vorfahrt nicht nachdenke, dann kracht''s manchmal auch.

SPIEGEL: Hat sich die Unternehmung trotzdem gelohnt?

HEISIG: Wie Sie merken konnten, ist die Ausstellung ja nicht abgebrochen worden. Ich - und nicht ich allein - fand sie jedenfalls wichtig, weil sie geholfen hat, die Zwangsvorstellung abzubauen, daß hier nur unter irgendeinem Diktat gemalt wird. Es gibt bei Ihnen ja wirklich eine Menge von Leuten, die glauben, daß immer ein finsterer Parteifunktionär kontrolliert, ob ich auch alles richtig male.

SPIEGEL: Die Klischeevorstellung vom sozialistischen Realismus. Ist der denn noch eine verbindliche Devise?

HEISIG: Nein, das ist kein so interessantes Thema mehr. Dieser Begriff ist in den 50er Jahren von irgendwelchen Besserwissern als Stildogma mißbraucht worden. Die haben daraus abgeleitet, daß man Kunst so und nicht anders machen müsse.

SPIEGEL: Ist der Begriff also von der Tagesordnung gestrichen?

HEISIG: Nein, aber man müßte ihn neu definieren. Mit dem einfachen Realismusbegriff läßt sich nicht fassen, was künstlerisch gemeint ist. Am Prinzip, das auf den Standort des Künstlers in der Gesellschaft zielt, hat sich freilich nichts geändert. »Sozialistischer Realismus« ist halt als Begriff zu vorbelastet und damit mißverständlich. Aber ich bin kein Theoretiker, und dann halte ich von dieser ganzen Wortklauberei nichts.

SPIEGEL: Herr Heisig, wir danken Ihnen für dieses Gespräch. _(Bei der »Zeitvergleich«-Eröffnung am 19. ) _(November 1982 im Hamburger Kunstverein. )
*KASTEN

Bernhard Heisig *

verkörpert, als Maler und stellvertretender Präsident des Künstlerverbandes der DDR, eine Kunstentwicklung, mit der sein Staat auch im Westen Eindruck macht und Devisen kassiert. Auf Bildern, die historische und aktuelle Motive symbolisch verknüpfen, meidet er platte Agitation und spielt eine dynamische, an Lovis Corinth und Oskar Kokoschka geschulte Malweise aus.

Heisig, 1925 in Breslau geboren, trat nach Kriegsteilnahme und Gefangenschaft 1947 in die SED ein, er studierte in Leipzig und übernahm 1954 eine Lehrtätigkeit an der dortigen Hochschule für Graphik und Buchkunst, deren Rektor er heute ist.

Nachdem ihm gelegentlich eine »Preisgabe realistischer Positionen« vorgeworfen worden war (1966), trat Heisig bei der alle fünf Jahre in Dresden veranstalteten »Kunstausstellung der DDR« zunächst 1967 mit einem subjektiven Porträt seiner Mutter hervor. 1972 bildete sein deftiger »Brigadier« einen Kristallisationspunkt der öffentlichen Diskussion.

Diese Dresdner »Siebte« besiegelt das Ende eines Stilklischees. Neben Heisig protilierten sich namentlich zwei weitere Leipziger: Wolfgang Mattheuer mit surrealen Bildmetaphern und Werner Tübke mit einer preziös historisierenden Malerei. Alle drei gehören heute nicht nur DDRintern zur ersten Garde (Tübke arbeitet in Staatsauftrag an einem 1800 Quadratmeter großen Bauernkriegspanorama), sie stellen auch häufig im Westen aus.

Mit Redakteuren Jürgen Hohmeyer und Ulrich Schwarz in seinemLeipziger Atelier.Bei der »Zeitvergleich«-Eröffnung am 19. November 1982 im HamburgerKunstverein.

J. Hohmeyer, U. Schwarz

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