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LUFTFAHRT / SICHERHEIT Rettende Rutsche

aus DER SPIEGEL 40/1967

In den Tanks schwappten 60 000 Liter Kerosin. Flugkapitän Walter Decker hatte die Gashebel im Cockpit des Panam-Düsenclippers auf »volle Leistung« geschoben, als die Signalleuchte aufblinkte: Feuer an einem der beiden rechten Triebwerke.

Der Pilot stoppte die Treibstoffzufuhr. Das Flugzeug kam, wenige Meter nach dem Anrollen, wieder zum Stehen. Und noch während die Flugplatz-Feuerwehr heranraste, retteten sich die 164 Passagiere durch Notausstiege und über Notrutschen ins Freie.

Die Beinahe-Katastrophe, die sich am Nachmittag des 9. September auf dem Frankfurter Rhein-Main-Flughafen zutrug, verdeutlichte beispielhaft, wie knapp in einer solchen Situation die Chance des Entrinnens bemessen ist.

Um diese Chance zu vergrößern, erließ am Dienstag letzter Woche die amerikanische Luftfahrtbehörde FAA (Federal Aviation Agency) eine Reihe von neuen Sicherheitsbestimmungen.

Innerhalb der nächsten zwei Jahre, so verfügte die FAA, sollen alle Verkehrsflugzeuge und deren Besatzung darauf gerüstet sein, daß sämtliche Passagiere in 90 Sekunden -- statt wie bisher in 120 Sekunden -- über Notausstiege ins Freie gelangen können, selbst wenn nur die Hälfte der vorhandenen Ausgänge benutzbar ist. Zu diesem Zweck müssen

> die Ausgänge mit Notrutschen versehen werden, die sich in zehn Sekunden automatisch aufblasen;

> die Sitzreihen so angebracht sein, daß sie den Zugang zu den Notausstiegen nicht versperren können;

> Gepäckstücke entweder festgeschnallt oder in Behältern gelagert werden, damit sie bei einem Aufprall nicht umhergeschleudert werden.

Die neuen Bestimmungen sollen vor allem jene Art von Katastrophen verhüten, die das britische Luftfahrtfachblatt »Aeroplane« in einem Kommentar zur Flugunfall-Statistik 1965 bereits als anachronistisch bezeichnet hatte: »Es ist nicht länger vertretbar, daß noch immer Passagiere in ihren Sitzen sterben, nachdem sie einen Aufprall kleineren Ausmaßes überlebt haben.«

Allein zwischen 1962 und 1965 gab es 14 sogenannte überlebbare Luftfahrt-Unglücke, bei denen insgesamt 183 Menschen umkamen. Typische Beispiele:

> 30. Juni 1961, Buenos Aires: Eine zweimotorige »C-46« der Transcontinental-Fluglinie fängt nach einer Bruchlandung Feuer. Zwölf Insassen können sich retten, die restlichen 23 sterben in den Flammen.

> 23. November 1964, Rom: Eine »Boeing 707« der TWA streift beim Start eine neben der Piste abgestellte Dampf walze und geht in Flammen auf. 48 Tote, 25 Überlebende.

> 11. November 1965, Salt Lake City (US-Staat Utah): Eine »Boeing 727« der United Airlines setzt bei der Landung zu früh und zu hart auf; auslaufender Treibstoff gerät in Brand. 48 Überlebende, 43 Tote. Die besonderen Umstände des Unglücks bei Salt Lake City gaben der US-Luftfahrtbehörde Anlaß für zwei weitere Sicherheitsbestimmungen, die letzte Woche verkündet wurden.

Als seinerzeit Unfallforscher den Hergang der Katastrophe zu rekonstruieren suchten, stellten sie fest, daß beim Aufsetzen die Beine des Hauptfahrwerks die Aluminiumhaut des Rumpfes und die darunter verborgenen Kraftstoffzuleitungen aufgeschlitzt hatten. Konsequenz der FAA: Künftig sollen die Fahrwerke so konstruiert sein, daß sie auch bei extrem hartem Aufsetzen nicht in den Flugzeugrumpf eindringen können.

Die zweite Lehre von Salt Lake City betrifft die Innenverkleidung der Kabinen. Sie soll künftig aus feuerfesten und zudem nicht schwelenden Materialien gefertigt werden.

Grund: Die Autopsie der Leichen von Salt Lake City hatte ergeben, daß die meisten Unglücksopfer nicht verbrannt, sondern im Qualm der schwelenden Kabinenausstattung erstickt waren.

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