AUTOMOBILE / BREMSEN Rettendes Pumpen
Henry Ford II. hat sich entschlossen, Ford-Fahrer in Zukunft auch bei brenzligem Bremsen sicher auf geradem Kurs zu halten. Mit Ford-Hilfe soll jeder Automobilist so sicher bremsen wie ein geübter Sportfahrer ohne eigenes Zutun.
Eine neuartige Hilfsapparatur, die Ford in Detroit als erster Großserien-Hersteller in wenigen Wochen an neuen Modellen des Auto-Jahrgangs 1969 auf den Markt bringen will, verhindert nach Angaben der Ford-Ingenieure automatisch eines der meistgefürchteten Auto-Übel: den Unfall infolge blockierender Radbremsen.
Sobald beim harten Bremsen auch nur ein Rad blockiert, drohen fatale Folgen: Das Fahrzeug kann leicht aus der Spur und ins Schleudern geraten. Jährlich rund 10 000 Todesfälle und 300 000 Verletzungen, so ermittelte die amerikanische Lebensversicherungsgesellschaft »Liberty Mutual«, wurden in den letzten Jahren auf amerikanischen Straßen durch Schleudern von Automobilen verursacht. Einen hohen Anteil dieser Schleuder-Unfälle wiederum mußten die Unfall-Forscher auf blockierende Bremsen zurückführen.
Häufig hat sich freilich gezeigt, daß Automobilisten die Blockade ihrer Bremsen, das Schleudern des Wagens und einen dann meist unvermeidlichen Unfall durch falsche Reaktion selbst herbeiführten. Der Ablauf einer derartigen Brems-Katastrophe war im Grunde immer gleich: Angesichts einer Gefahr rammte der Fahrer seinen Fuß mit aller Kraft aufs Bremspedal, und obwohl der Wagen infolge nunmehr blockierender Bremsen mit Ausbruchsbewegungen reagierte, ließ der Fahrer seinen Fuß wie angefroren auf dem Bremspedal stehen bis es knallte.
Die Erkenntnis, daß ein blockiertes, schlitterndes Rad nicht annähernd so gut bremst wie ein noch rollendes, ließ technisch verständigere Autofahrer längst die Brems-Technik der Sportfahrer übernehmen. Sie traten im Gefahrenfall nicht unausgesetzt fest aufs Bremspedal, sondern vollführten Pump-Bewegungen. Dadurch gaben sie die Bremsen jeweils hart vor dem Blockieren oder auch bei ihrer Blockade immer wieder kurzfristig frei. So erzielten sie einen stärkeren Bremseffekt und behielten ihr Auto unter Kontrolle. Trotz Einführung von Bremskraftbegrenzern und Bremskraftverteilern ließ sich für weniger befähigte Automobilisten die Gefahr aber nicht bannen.
Flugzeugbremsen sind seit langem mit Vorrichtungen gekoppelt, die bei Blockiergefahr den Flüssigkeitsdruck im Bremssystem für eine kurze Zeitspanne automatisch drosseln und somit eine Bremsblockade verhüten. Als einzige Automobilherstellerin übernahm bisher die britische Firma Jensen, die Luxusautos baut, ein ähnliches, hydraulisch arbeitendes System. Jensen baut den Maxaret genannten Blockierverhüter allerdings ausschließlich in den sportlichen Sondertyp Jensen FF mit Vierradantrieb ein, der in Kleinstserie gefertigt wird und rund 65 000 Mark kostet.
Für andere Automobile hingegen erwies sich der Einbau eines Blockierverhüters bisher als zu kompliziert, zu störungsanfällig und zu teuer,
Anders bei Ford. Zusammen mit Ingenieuren der Kelsey-Hayes Company entwickelten die Ford-Techniker einen ebenso preiswerten (Aufpreis: 150 Dollar) wie unkomplizierten Blockierverhüter. Ein Computer, unter dem Handschubfach verborgen, übernimmt im Notfall das Kommando.
Ausgehend von der Tatsache, daß 90 Prozent aller Blockierfälle an der Hinterachse auftreten, installierten die Ford-Ingenieure an beiden Hinterrädern Meßfühler. Sie signalisieren dem Computer das Übel, sobald unsachgemäßes Bremsen ein Rad oder beide Räder blockiert. Der Computer reagiert, bevor Unheil eintreten kann: Er schaltet einen automatischen Regler ein, der den Druck der Bremsflüssigkeit so reguliert, daß die Bremsen pro Sekunde 35- bis 40mal betätigt und freigegeben werden -- häufiger und exakter, als es die Pump-Technik des routiniertesten Sportfahrers vermag. Der von Meßfühlern und Computer behütete Ford-Fahrer kann dabei seinen Fußdruck auf das Bremspedal gefahrlos fortsetzen. Erst wenn das Automobil sich wieder in einem normalen Fahrzustand befindet oder die elektronisch gesteuerte Notbremsung beendet ist, gibt der Computer die Fußgewalt an den Fahrer zurück.
Diese »wahrhaft revolutionäre Entwicklung«, so erläuterte Ford, verringere zusätzlich den Bremsweg um bis zu 20 Prozent.
Wer allerdings in den Genuß solcher Vorzüge kommen will, muß sich einen nicht ganz billigen Luxus-Ford kaufen: Ford liefert die neue Apparatur vorerst nur für die Modelle Continental Mark III und Thunderbird.
Ford-Konkurrent General Motors entwickelte unterdes einen Blockierverhüter für alle vier Räder. Er soll spätestens in zwei Jahren produziert werden und auch dort funktionieren, wo das Ford-System versagt: in der Kurve.