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THEATER / HOCHHUTH Roh gebremst

aus DER SPIEGEL 22/1970

Ich schreibe«, sagt Rolf Hochhuth, 39, »ja nicht nur aus politischen Gründen, sondern in erster Linie, um Theater zu machen.«

Das aber macht er gar nicht gut -- die Uraufführung seines neuesten Polit-Stücks »Guerillas« (SPIEGEL 20/ 1970), die am Freitag vor Pfingsten im Stuttgarter Schauspielhaus stattfand, bewies es aufs neue; und die meisten der über 100 zur Premiere angereisten Rezensenten erteilten dem Autor schlechte Noten.

Sie bemängelten die »Kraut-und-Rüben-Technik« seiner Dialoge ("Süddeutsche Zeitung"> und ihre »ermüdende Geschwätzigkeit« ("Neue Zürcher Zeitung"). Die »Welt« fand seine »Einfälle und dramatischen Erfindungen« schlicht »kindisch«, und die »Herald Tribune« klagte, die Figuren seien in »Comic-strip-Posen« erstarrt. »Seine Hilflosigkeit, Stücke zu bauen«, urteilte der »Münchner Merkur«, »geht bis an die Grenze des Lächerlichen.«

Hochhuth hatte dies mißtönende Echo vorausgeahnt. Nach dem Premierenschluß« bei dem der allgemeine Applaus einzelne Buhs noch übertönt hatte, war der an schlechte Presse gewöhnte Dramatiker mit gerunzelter Stirn zur Nachfeier gegangen: »Wartet mal ab, bis die Verrisse kommen.«

Grund zu bösen Vorahnungen lieferten ihm diesmal freilich auch die turbulenten, aufreibenden Proben unter dem Stuttgarter Schauspieldirektor Peter Palitzsch. In der Woche vor der Aufführung mußte der Regisseur zwei Repertoire-Aufführungen ausfallen lassen, um die Bühne auch abends für die Arbeit frei zu haben. Derweil schrieb Hochhuth noch täglich Dialoge neu und baute Szenen um.

Als 32 Stunden vor der Premiere das Stück noch keinmal durchlaufend geprobt worden war, formulierte der entnervte Autor eine -- dann doch zurückgehaltene -- Presseerklärung: »Ich distanziere mich von einer Aufführung in der gegenwärtigen Form.«

Die besseren Nerven im »Guerillas« -- Kampf hatte Palitzsch. Er änderte im letzten Moment sein Regiekonzept« gab den geplanten Szenenumbau bei offener Bühne, der immer noch nicht klappte, auf und ließ zwischen den Bildern auf weißem Vorhang bedenkenswerte Sätze projizieren. etwa von Brecht: »Sollten Sie dies für utopisch halten, so bitte ich Sie, darüber nachzudenken, warum dies utopisch ist,«

Die Mahnung war berechtigt. Zwar scheint Hochhuths Modell eines Staatsstreichs in Nordamerika in der 220seitigen Buchausgabe, wo es durch mannigfaltige Anmerkungen, Zitate und essaylange Regieanweisungen gestützt wird, durchaus diskutabel. Die vom Autor und Palitzsch gemeinsam erarbeitete Stuttgarter Bühnenfassung jedoch, die etwa 40 Prozent des ursprünglichen Dialogs enthält, läßt nur ein naives Verschwörerstück übrig.

Drei Stunden und fünf Akte lang geht da der tragische Held, der US-Senator Nicolson, durch fashionable Plexiglas-Büros, über Werften, Luxusjachten und südamerikanische Haziendas, um mit dem Schlachtruf »Für 200 Millionen -- gegen 200 Millionäre« Guerrilleros zum Kampf gegen das Establishment zu gewinnen.

Er wendet an, was Hochhuth beim britischen Politologen Edward Luttwak in dessen »Coup d'Etat« (Hochhuth: »Ein Vademecum für Rebellen") gelesen hat: Der bestehende Machtapparat soll unterwandert, die politischen Entscheidungszentren müssen usurpiert werden.

Dieses Unternehmen wird roh gebremst. Held Nicolsons Frau wird von der CIA als Agentin ihres Mannes entlarvt, sie wird entführt, gefoltert und ermordet. Ihn selbst kippen CIA-Schergen aus dem Hochhausfenster -- das idealistische Pamphlet gerät zur Kolportage, die von Hochhuth anvisierte Tragödie zum bloßen traurigen Ereignis.

An der Nachwirkung auch des dritten Hochhuth-Stücks ist dennoch kaum zu zweifeln. Denn mag der Amateurhistoriker auch ein verspäteter Schiller-Adept sein -- er bringt, gegen seinen eigenen Anspruch, vor allem Politik auf die Bühne, er findet stets fesselnde Stoffe und weiß sie in Bühnenerfolge umzumünzen. Denn das bürgerliche Theater verlangt nach konventionell gemachten Stücken,

Die ästhetische Kritik an den »Guerillas« kann Hochhuth. der »sicherlich noch in diesem Jahrhundert« eine Revolution in den USA erwartet, daher nicht überzeugen. Einen Mangel seines Dramas allerdings hat auch er entdeckt: daß »unter den Verschwörern ein profilierter Vertreter der Arbeiterschaft fehlt«. Das soll nun anders werden.

Schon am Tag nach der Stuttgarter Uraufführung saß Hochhuth wieder am Schreibtisch, um seine jüngsten Einsichten und Erfahrungen in einer neuen »Guerillas«-Bearbeitung zu verwerten. Das ist auch sinnvoll; denn 13 weitere deutschsprachige Bühnen haben das Stück schon fest gebucht (nächste Premiere: am Mittwoch dieser Woche in Bochum), und eine soeben fertiggestellte englische Übersetzung soll demnächst in London und New York gespielt werden.

Auch sein nächstes, sozialkritisches Drama hat Hochhuth, der sich künftig »mehr für den Machtbereich der Wirtschaft und Industrie« interessieren will, bereits begonnen -- es ist die seit Jahren angekündigte Komödie.

Zwar hat es, so Hochhuth, »noch keinen Sinn, darüber zu sprechen«; der erste Akt jedoch liegt in der Schublade, und auch den Titel hat der Stückeschreiber sich schon schützen lassen: »Die Hebamme«.

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