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FILM Romanze in Trance

In seiner neuen Komödie »Im Bann des Jade Skorpions« wird Woody Allen hypnotisiert. Die fatalen Folgen: Er geht unter die Diebe und hat Erfolg in der Liebe.
aus DER SPIEGEL 49/2001

Der größte Magier des Kinos war überzeugt, dass man Hypnose auf der Leinwand nicht glaubhaft darstellen könne. »Es gibt visuell keinen Unterschied zwischen einer wirklich hypnotisierten Person und einer, die nur so tut«, befand Alfred Hitchcock. Deshalb wirke alles nur wie fauler Zauber.

Davor hatte Woody Allen nie Angst. In »New York Stories« (1989) spielt er einen Mann mit Ödipuskomplex, der in einem Varieté seine Mutter verliert. Ein Magier lässt sie durch einen Trick verschwinden, ist aber außer Stande, sie wieder zurückzuholen. Die Übermutter einfach weggezaubert - das hätte vermutlich selbst Hitchcock gefallen.

Auch in Allens neuem Film »Im Bann des Jade Skorpions« betritt ein Zauberkünstler die Bühne. Und auch diesmal hat sie einen doppelten Boden. Der große Voltan (David Ogden Stiers) holt zwei Probanden aus dem Publikum zu sich: den Versicherungsdetektiv C. W. Briggs (Allen) und dessen neue Kollegin Betty Ann Fitzgerald (Helen Hunt).

Die beiden hassen sich aus tiefster Seele. Denn Betty ist der neue Besen, der so gut kehrt, dass C. W. fürchtet, von ihm aus der Firma gefegt zu werden. Doch auf der Bühne, von Voltan in Trance versetzt, gestehen die Streithähne einander leidenschaftlich ihre Liebe. Sind das ihre wahren Gefühle, oder ist das alles Lug und Trug?

»Im Bann des Jade Skorpions« ist eine romantische Komödie, bei der man sich laufend fragt, ob die Figuren in der Hypnose außer sich geraten oder zu sich selbst finden. Hitchcocks Einwand wendet Allen zu seinen Gunsten: Irgendwann weiß auch der Zuschauer nicht mehr, wann die Figuren sich gegenseitig etwas vorspielen.

Allen erzählt eine vertrackte Liebes- und Diebesgeschichte. Voltan nutzt Briggs als Medium für kriminelle Machenschaften. Der Magier muss nur über Telefon ein Schlüsselwort sprechen, um den Helden wieder in Trance zu versetzen und ihn dann wie eine Marionette führen zu können. Ohne sich dessen bewusst zu sein, raubt Briggs in Voltans Auftrag Häuser von Klienten aus, die bei seiner Firma versichert sind.

Ein Detektiv sucht letztlich immer nur sich selbst - diese Grundkonstante des Genres treibt Allen durch die Personalunion von Jäger und Gejagtem ironisch auf die Spitze. »Im Bann des Jade Skorpions«, der im New York des Jahres 1940 spielt, ist eine Hommage an die großen Detektivfilme und Screwball Comedies aus Hollywoods goldener Ära.

Briggs ist ein schäbiger Schnüffler, dessen Gesicht genauso zerknittert ist wie sein Trenchcoat und der selbst mit Hut kleiner ist als die Frauen neben ihm. Doch was ihm am Größe fehlt, macht der Schauspieler Allen seit jeher durch Umtriebigkeit wett. Seine Arme fuchteln auch diesmal ohne Unterlass, und es plappert fortwährend aus ihm heraus.

Doch Betty ist ihm jederzeit gewachsen. Die Dialoge zwischen ihr und Briggs sind ein selten gewordenes Beispiel für die hohe Kunst der Beleidigung. Gerade die resolute Gelassenheit Helen Hunts und die Geistesgegenwart, die sie in all ihren Filmen besitzt, machen die Schauspielerin zu einer idealen Partnerin des hyperaktiven Allen.

Der Film legt gleich zu Beginn ein hohes Tempo vor - in Worten und Gesten. Dramaturgisch tritt der Film jedoch gelegentlich auf der Stelle, und wenn die Kamera ausnahmsweise in einer schnellen Fahrt über den Flur eilt, verfallen die Zuschauer schon fast in einen Geschwindigkeitsrausch.

»Im Bann des Jade Skorpions« ist ein Film der kunstvoll eingerichteten Interieurs, die von der Kamera vorsichtig durchmessen werden. In den meisten Einstellungen begrenzen Lampen rechts und links das Bild - oder machen gar im Zentrum den Darstellern Konkurrenz.

Oft schalten die Figuren das Licht an oder aus. So vergessen die Zuschauer nie, wie schnell Wach- und Dämmerzustand in dieser Geschichte ineinander übergehen können. Allerlei Spiegel an den Wänden führen uns manchmal etwas zu deutlich vor Augen, dass diese Menschen zwei Seiten haben.

Der Film ist über weite Strecken wie ein Boulevardstück angelegt: mit Figuren, die zwischen Tür und Angel leben, in fremde Apartments eindringen und im falschen oder genau im richtigen Augenblick ins Geschehen platzen.

»Good bye, New York!«, ruft Betty aus, als sie sich nach einer gescheiterten Affäre mit ihrem Chef (Dan Aykroyd) vor Verzweiflung aus dem Fenster ihrer Wohnung stürzen will. Dann springt Briggs in letzter Sekunde dazwischen. Er wolle nicht, dass man sie »mit einem Löffel vom Pflaster kratzen« müsse.

Etwas seltsam klingen diese Worte heute schon, und man fragt sich unwillkürlich, wie sich Woody Allens New York, das diesmal nur in wenigen kurzen Außenaufnahmen zu sehen ist und merkwürdig abwesend wirkt, verändern wird.

Gegen Ende des Films fallen sich Briggs und Betty in die Arme. Da geht hinter den beiden ein Feuerwerk los: genau wie in Hitchcocks Krimi »Über den Dächern von Nizza« (1955), beim Kuss zwischen dem Ein- und Herzensbrecher Cary Grant und Grace Kelly. Ohne Hypnose wären Briggs und Betty nicht so weit gekommen. LARS-OLAV BEIER

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