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FORSCHUNG Rote Pumpe

Nicht nur Pflanzen, sondern auch Bakterien verwandeln Sonnenlicht in chemische Energie. Sind Bakterien-Kulturen die Kraftwerke der Zukunft?
aus DER SPIEGEL 13/1976

Es sei nicht zu hoffen, formulierte der preußische Aufklärer Immanuel Kant vor beinahe 200 Jahren, »daß dereinst ein Newton aufstehen« werde, der die »Erzeugung eines Grashalms nach Naturgesetzen ... begreiflich machen« könne. Kant: »Man muß diese Einsicht den Menschen schlechterdings absprechen.«

Daran hat sich, auch im Raumfahrtzeitalter, nichts Grundlegendes geändert. Noch immer ist es den Biologen nicht gelungen, jene Vielzahl chemischer Prozesse vollends zu entschlüsseln, die im Inneren einer grünen Pflanze aus Stoffen wie Kohlendioxid und Wasser komplizierte Kettenmoleküle, etwa Stärke oder Zucker, aufbauen. Alle Versuche, die pflanzliche Photosynthese mit Hilfe von energiespendendem Sonnenlicht und Blattgrün (Chlorophyll) im Labor nachzuvollziehen, sind bislang gescheitert.

Kein neuer Newton, sondern ein Zellforscher an der University of California, dem bisher nicht einmal die Professoren wurde zuteil geworden ist, hat sein Fach in dieser Frage nun einen großen Schritt vorangebracht.

Nicht nur Pflanzen, so erläuterte der Biologe Dr. Walther Stoeckenius, 54, jetzt auf einer Pressekonferenz in San Francisco, auch Bakterien seien imstande, Sonnenlicht auf direktem Weg in chemische Energie umzuwandeln.

Bewerkstelligt wird dieser Prozeß von einem Farbpigment mit der Bezeichnung Bacteriorhodopsin, das in der Zellmembran tiefroter Bakterien vorkommt. 1965, damals noch an der New Yorker Rockefeller University, hatte Stoeckenius die eiweißhaltigen Pigmente in so gefärbten Mini-Lebewesen namens Halobacterium halobium entdeckt, die sich mit Vorliebe in stark salzhaltigem Wasser wie etwa dem des Toten Meeres tummeln.

Zwar sind die lichtverwandelnden Fähigkeiten des spiralfederförmigen Bakterien-Pigments nicht einmal halb so stark wie die des Chlorophyll. Anders aber als das Blattgrün, so erläuterte Stoeckenius, könne es dank seiner größeren chemischen Stabilität einschließlich der Zellmembran leicht extrahiert und »in jedem anderen Medium aktiv« werden.

Welche Bedeutung die amerikanische Weltraumbehörde gerade diesem Umstand beimißt, machten Nasa-Experten auf der Pressekonferenz in San Francisco deutlich. Stoeckenius' Entdeckung -- das Farbpigment kommt als sogenannter Sehpurpur in fast identischer Struktur auch im menschlichen Auge vor und verleiht auch Bücklingen deren charakteristische Farbe -- eröffne »neue Anwendungsmöglichkeiten« in Medizin und Landwirtschaft und biete sich womöglich gar zur »Nutzbarmachung von Sonnenenergie« an. Auch »neuartige Industrieverfahren«, etwa zur Meerwasserentsalzung, rückten dadurch in den Bereich des Möglichen.

In einem photochemischen Zyklus mit mindestens fünf Zwischenstufen, so fanden Dr. Stoeckenius und ein Team vom Ames Research Center der Nasa, nutzt das Bacteriorhodopsin in der Membran der Salzlake-Bakterien das Sonnenlicht zur Energiegewinnung. Fällt Licht ein, lösen die Moleküle des Pigments Elementarteilchen mit positiver Ladung -- Protonen -- aus dem Bakterienkern heraus und transportieren sie durch die Membran nach außen. Jedes Molekül, so errechnete Stoeckenius, bewegt auf diese Weise 250 Protonen pro Sekunde.

Den daraufhin entstehenden Spannungsunterschied -- als Folge des Protonentransports entsteht eine negative Ladung an der Innenseite der Membran -- nutzt das Pigment in einer späteren Stufe zur Produktion einer Substanz, die auch im Muskelfleisch von Tier und Mensch vorhanden ist: Adenosintriphosphat (chemisches Kürzel: ATP), das als Energiespeicher agiert und obendrein bei der Eiweißsynthese eine Rolle spielt.

Während Zellbiologe Stoeckenius, eher bescheiden, mit dem neugewonnenen Wissensstand vor allem »neue, grundlegende Zellfunktionen zu entdecken« hofft, suchen Nasa-Kollegen die Protonen-Pumpe mit Lichtantrieb und Energiespeicher schon in die Praxis umzusetzen.

Das Modell einer photoelektrischen Pigment-Zelle zur Gewinnung von Sonnenenergie ist schon gebaut, und auch die Installation großer Meerwasserentsalzungsanlagen, in denen Halobacterium halobium die Energie bereitstellt, wird angesichts schwindender Trinkwasserreserven bereits erwogen.

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