BECKETT-PANTOMIME Rüben ohne Worte
Eigentlich hätte überhaupt nichts mehr zu sehen sein dürfen. Der irische Autor Samuel Beckett, 56, dessen Schauspiele dementieren, daß ein Drama etwas mit Handlung zu tun haben muß, hatte vom »Warten auf Godot« (1953) an seine Methode, so gut wie nichts auf der Bühne geschehen zu lassen,
derart verfeinert, daß bei der letzten Beckett-Neuheit, »Glückliche Tage« (Herbst 1961), nur noch der Kopf einer Frau aus einem Erdhügel ragte und sprach: »Keine Besserung, keine Verschlimmerung, keine Veränderung.«
Die Prognose traf auf den Beckett -Text, der neuerdings im Londoner Experimentler-Theater »In-Stage« aufgeführt wird, nur halb zu: Es geschieht einiges. Aber es wird kein Wort mehr gesprochen. Titel der Pantomime:
»Act Without Words II« - Akt ohne Worte römisch zwei.
Die Handlung: Ein Mann - Becketts Regieanweisung: »A. ist langsam, linkisch und zerstreut« - kriecht aus einem Schlafsack, findet in einer Streichholzschachtel ein Stück Mohrrübe, beißt ab, spuckt den Bissen angewidert aus, nimmt eine Tablette und legt sich wieder schlafen.
Danach kriecht aus einem zweiten Schlafsack ein anderer Mann - Beckett:
»B. ist munter, schnell und präzis« -,
findet auch ein Stück Mohrrübe, verzehrt es vergnügt, macht ein paar Freiübungen und legt sich ebenfalls wieder schlafen.
Zwischen Aufwachen und Einschlafen; zwischen Geburt und Tod sein Stück Mohrrübe vergnügt zu kauen oder angeekelt auszuspucken - das ist die gesamte Variationsbreite menschlichen Verhaltens, ist der ganze Unterschied, den Beckett in seinem stenographischen Symbol irdischen Daseins noch gelten läßt.
Der Ire Beckett, als Erfinder von Handlungen wie als deren Kommentator ("Ich habe keine Lust, über meine. Arbeit zu sprechen") eher ein Witzblatt-Schotte, hat die Symbolik seines »Akts ohne Worte« noch verdeutlicht: Weder der Pessimist A. noch der Optimist B. stehen freiwillig auf. Eine lange Bambusstange (Beckett: »Ein Treibstock") schiebt sich über die Bühne und piekt die Insassen der Schlafsäcke wach. Die Stange kommt erst wie von allein horizontal über die Bühne, dann auf einem Rad, hernach auf zwei Rädern - die Wecker-Technik, sie wenigstens, macht Fortschritte.
Beckett-Entzifferer dürfen dagegen den »Akt ohne Worte« nicht als Fortschritt in die Chronologie der Beckett -Werke (letzter Buchtitel: »Wie es ist") einreihen. Die seit vergangener Woche in London aufgeführte Pantomime darf als eine Art Erläuterung zum Bekkett-Drama »Endspiel« (1957) gelten, in dem zwei der vier beteiligten Personen Mülltonnen bewohnen. Die Frage also, ob es Beckett gelingt, die Handlung eines Schauspiels noch weiter zu reduzieren, noch weniger vorzuführen als einen redenden Frauenkopf, bleibt bis zur Premiere eines neuen Beckett-Dramas offen.
Der amerikanische Regisseur der englischen Aufführung vermied denn auch bei der Londoner Inszenierung das Wort Welturaufführung: »Vorsichtshalber nenne ich es nur die englische Premiere des Stücks. Es ist möglich, daß es schon auf amerikanischen Studentenbühnen aufgeführt worden ist.«
Tatsächlich hat, vom Londoner Beckett-Regisseur unentdeckt, das Premierenpublikum eines Bielefelder Experimentier-Theaters im März des vergangenen Jahres einer Beckett-Pantomime gleichen Titels ratlos zugesehen.
Akteur Bridgmont (als B.)
Die Wecker-Technik ...
Autor Beckett
...macht Fortschritte,