Linke Der SPIEGEL 1973 über Günter Maschke: »Rückkehr vom Mond«
Einst gehörte Günter Maschke zu jenen, die über die Großstadtstraßen der Bundesrepublik trabten, »Hoho-ho-Tschi-minh« rufend, in untergehakten Apo-Reihen, über denen das charismatische Haupt Che Guevaras schwankte, jenes lateinamerikanischen Agitators, der »zwei, drei, viele Vietnams« schaffen wollte und schließlich in den Bergen Boliviens zu Tode gehetzt wurde.
Vor vier Wochen veröffentlichte Maschke nun eine Abrechnung mit dem Idol seiner Jugend, mit Che Guevara – eine Abrechnung, die zugleich, wenn auch diskret und nebenher, eine Analyse der »Psychopathologie deutscher Intellektueller« ist. Titel des Bändchens: »Kritik des Guerillero«.
Maschke war 20 Jahre alt, als er im Jahre 1963 – seine revolutionäre Laufbahn begann. Er redigierte die Tübinger Studentenzeitschrift »Notizen«, schrieb auf ruhrerische Gedichte und leitete den Ortsverband jener anarchokommunistischen »Subversiven Aktion«, aus deren Berliner Gruppe die Apo-Führer Rudi Dutschke und Bernd Rabehl hervorgingen.
1965 rief ihn die Bundeswehr. Er weigerte sich und floh, zunächst nach Paris, dann nach Wien. Dort schrieb er in der kommunistischen und sozialistischen Presse – in der »Volksstimme« im »Wiener Tagebuch« und der »Zukunft« –, bis ihn die Behörden in »Schubhaft« nahmen, wegen »mehrfacher Störung der österreichischen Sicherheit und Ordnung«.
Kuba gewährte ihm Asyl. Er unterrichtete in Havana Deutsch und wurde Lektor des Staatsverlages – bis er Castros Stalinismus zu opponieren begann, vor allem dessen Unterdrückung freiheitlicher Schriftsteller. Ausgewiesen, kehrte er in die Bundesrepublik zurück. Für 13 Monate bezog der Fahnenflüchtige eine Zelle im Gefängnis von Landsberg am Lech. Ende 1970 wurde er entlassen.
Maschkes »Kritik des Guerillero« ist gewiß auch ein document humain, mehr aber noch der ernsthafte Versuch eines Jung-Revolutionärs, politische und historische Realität zu erkunden. Guevaras Gedankenwelt – und die seiner Verehrer in den westlichen Industrienationen – glich, meint Maschke heute, eher einer »ideologischen Mondlandschaft« als der Realität. In der Tat ähnelt sein Buch einer Rückkehr vom Mond.
Daß ein solches Unternehmen nicht ohne zum Teil erstaunliche Dementis und Korrekturen linker Glaubenssätze ausgehen kann, liegt auf der Hand. Sympathisch an Maschkes Text ist, daß der Autor sich sowohl der Selbstanklagen enthält als auch der Anklagen gegen andere, zum Beispiel gegen »die Arbeiterklasse«.
Bei Maschke beginnt die Neuorientierung mit der historischen Prüfung des revolutionären Geistes – mit einer Analyse zum Beispiel der Utopien Rousseaus und der Französischen Revolution – und endet mit konkreten Erfahrungen des Autors selbst, zum Beispiel denen, die er auf der Trauminsel der Neulinken machte, auf Kuba. Quintessenz: »Die ganze kubanische Gesellschaft ist (heute) zu einem kaum vorstellbaren Grade militarisiert. (...) unter dem Diktat des ›Obersten Kommandanten‹«, nämlich dem Fidel Castros.
Die Erkenntnis ist bitter: Aus Revolutionarismus entstand Militarismus. Aber Maschke macht sie noch bitterer. Er weist nach, daß das von Castro 1959 verjagte Regime des Generals Fulgencio Batista nicht so ungeheuerlich war, wie die linke Presse bis heute behauptet. Batista war nicht, stellt Maschke heute fest, der Vasall des amerikanischen Imperialismus. Kuba hatte unter ihm die niedrigste Kindersterblichkeit Lateinamerikas. 80 Prozent der Bevölkerung konnten lesen, Presse und Rundfunk waren freier als anderswo. Zwar wurde das Land von den USA »dominiert« – aber kaum anders als heute durch die UdSSR.
Das Regime des Generals ging auch nicht unter, weil Bauern und Arbeiter sich dagegen erhoben hätten. Es erlag vielmehr dem »elitären Aufstand« eines »charismatischen Führers«.
An diesem Punkt setzt Maschkes Kritik an Guevara, dem Ideologen des Castroismus, an. Zwar habe Guevara in seinen Schriften (zum Beispiel in »La Guerra de las Guerillas«) versucht, den Castro-Aufstand im nachhinein als einen Volkskrieg ä la Mao auszugeben, doch sei dies einfach an dem Mangel bedeutender Operationen von Bauern- oder Arbeiter-Armeen in der Geschichte des Castro-Aufstandes gescheitert.
Der Kern der Guevara-Ideologie sei denn auch nicht »maoistisch« oder marxistisch, sondern der »Mythos der kleinen revolutionären Schar«. Dieser »Mythos« sei es auch, der die kubanische Revolution für die studentische Jugend der westlichen Industriegesellschaften so attraktiv gemacht habe. Deren Ideale seien nämlich im Grunde bürgerlich: »Autonomie, Selbst-Entscheidung, Tathandlung des souveränen Ich.«
Im Kern des Guevarismus, des originären wie des westeuropäischen, entdeckt Maschke eine »bündische Kampfesideologie«, den »Frontsoldatensozialismus« Ernst Jüngers und den »existentiellen Ekel«, den Rudi Dutschke angesichts der »kalt-bürokratischen Welt des ›Praxisentzugs‹« (Maschke) empfand: keine »Volksrevolution«, also auch keinen »Aufstand der Massen«, sondern den Handstreich elitärer Bürgerlicher.
Maschkes Büchlein ist für die Neuorientierung der Linken allenfalls Fragment. Der einstmals Fahnenflüchtige arbeitet an einem Essay über Clausewitz, will Lenins Notizen über Clausewitz und die militärischen Schriften von Friedrich Engels neu herausgeben und sammelt Material zu einem Buch »Der Zukunftskrieg«. Maschke: »Ich bin ein Projektemacher.«