Biermann Rührend deutsch
Vor fünf Wochen, Egon Krenz war längst Parteichef in Ost-Berlin, gab das Parteiorgan Neues Deutschland dem bis heute prominentesten Republik-Vertriebenen noch einmal Saures. Wolf Biermanns Telefongespräch mit Bärbel Bohley, vom Deutschlandfunk aufgezeichnet und gesendet, erboste einen Namenlosen aus der ND-Redaktion: »Wenn einer ständig von ,Kultur des Dialogs' redet«, hieß es da an Biermanns Adresse, »und wider Sitte und Anstand darunter das Schmeißen mit solchem Dreck versteht, ist er bei uns völlig fehl am Platze.«
Nun aber, am Freitag vergangener Woche, schien plötzlich doch Raum für den Liedermacher gefunden: 13 Jahre nach der spektakulären Ausbürgerung, sieben Jahre nach seinem letzten Besuch in der DDR (beim todkranken Freund Robert Havemann) durfte Wolf Biermann wieder einreisen - und singen. Vor 5000 Zuschauern in der zwar ausverkauften, jedoch nicht ganz gefüllten Halle 2 des Leipziger Messegeländes gab Biermann, dem der öffentliche Auftritt schon lange vor der Ausbürgerung verboten war, sein erstes DDR-Konzert seit 24 Jahren - ab 22.15 Uhr übertrug auch das Ost-Fernsehen.
Schüchtern, mit feuchten Augen und strahlendem Kindergesicht, trat der 53jährige Rückkehrer vor die jubelnden Leipziger; auf einem Instrumentenkoffer sitzend, gedachte er der unfreiwilligen Abwesenheit: »Ich bin sehr froh, und ich bin sehr aufgeregt.«
Lange genug hatte es ja gedauert: Als Biermann, auf Einladung Bärbel Bohleys, am 4. November zur großen Alexanderplatz-Demonstration wollte, verweigerte ihm ein Grenzsoldat die Passage. Knapp zwei Wochen später dann wollte der im November 1976 »auf schäbigste Weise« (Heinrich Böll) aus dem Land Gejagte in der Ost-Berliner Samariterkirche spielen - doch auch diesmal scheiterte der Auftritt am Einreiseverbot der DDR-Behörden.
Biermann, der - hier spricht der Dichter - »rührend deutsche Deutsche«, hatte es den mühsam um Glaubwürdigkeit beim eigenen Volk ringenden Wendepolitikern nicht gerade leicht gemacht. Gemütsmensch, der er ist, begrüßte er gleich nach der Ablösung Honeckers, am 19. Oktober, den Nachfolger Krenz mit rüden Worten: Ausgerechnet »der blöde Krenz, der mieseste aller möglichen Kandidaten«, solle nun für Neuerungen sorgen, »Krenz, der versoffene FDJ-Veteran, der Jubelperser des Politbüros, der optimistische Idiot, Egon Krenz, das ewig lachene Gebiß«.
Abgedruckt wurde diese Attacke in der Berliner Tageszeitung, und deren linksalternative Leserschaft kam auch in den folgenden Wochen bevorzugt in den Genuß von Biermanns Kommentaren zur revolutionären deutsch-deutschen Lage. Nach dem Fall der Mauer etwa erschien ein als »Essay« rubrizierter Brief des Liedermachers, der mit den Worten begann: »Lieber Max von der taz, Halleluja!«
So widersprüchlich, so unvergleichlich peinlich und so unübertroffen gefühlsselig wie eh, entblößte das »Schaf im Wolfspelz« (O-Ton Biermann) nun auch in Leipzig sein Innerstes. Da pries er demütig den Heldenmut der Sachsen, der seine Rückkehr überhaupt erst möglich gemacht habe, da sang er den Klassiker vom »preußischen Ikarus« und erzählte in Lausbubenmanier vom süßen Leben in der Bundesrepublik.
Die flugs gedichtete »Ballade von den verdorbenen Greisen« aber, von SZ, taz und FAZ längst vorabgedruckt und mittlerweile eine Art Klassiker im Repertoire der Mauerdurchbruchs-Gesänge, war der frühe dramaturgische Höhepunkt des Konzerts. Als »eine Art Uraufführung vor lebendigen Menschen« trug Biermann den Song vor. Unterbrochen von Jubel und Gelächter, nannte er den »Genossen Krenz« einen »fröhlichen kalten Krieger« und »unsre Stasi-Metastase«, zusammen mit Honecker & Co. gebühre dem neuen Parteichef »nicht Rache, sondern Rente«.
Kein Wunder, daß Krenz sich so lange gegen Biermanns Einlaß sträubte. Daß es dann doch schon am Freitag soweit war, ist wohl weniger dem Parteichef zu danken als dem neuen DDR-Kulturminister Dietmar Keller. Der hatte Biermanns Auftritte im Krenz-Kabinett durchgesetzt, und Keller war es auch, der den so lange verfemten Barden am Freitag mittag in Ost-Berlin begrüßte - mit dem Eingeständnis, Biermanns Rausschmiß sei »ein Fehler« gewesen. Artig revanchierte sich der Gast, er habe von Keller »nicht nur Sprechblasen« gehört.
»Eigentlich sollte man stur sein, nach so vielen Jahren der Demütigung«, hatte Biermann noch am 18. November in der taz notiert. Und eine letzte Bedingung für seine Rückkehr wollte er sich denn auch vergangene Woche nicht verkneifen: Er komme nur zu den beiden Konzerten am Freitag in Leipzig und Samstag in Ost-Berlin, wenn auch sein Freund Jürgen Fuchs mitdürfe. Der Schriftsteller Fuchs, gleich nach Biermann aus dem Land gejagt, galt in der DDR bis dato als besonders mißliebige Unperson.
Die weiterhin fast jeden Tag durch neue Demonstrationen verschreckten SED-Oberen schluckten auch diese letzte Zumutung. Auf der Leipziger Bühne sprach Jürgen Fuchs den vermutlich wichtigsten Satz des Abends: »Der Bann ist gebrochen.«
Liedermacher Biermann in Leipzig: »Ich bin sehr froh«