STARS Ruin einer Prinzessin
Charles Chaplin, Greta Garbo, Artur Rubinstein und Thomas Mann gehörten zu den schockierten Gästen eines illustren Abendessens in Hollywood 1949, bei dem ein junger Schauspieler ungewöhnlich auffiel: wegen seines guten Aussehens, aber mehr noch durch unkonventionelle Tischmanieren.
Nachdem sich der Star, als das neue männliche »Sexsymbol« des Hollywoodfilms gepriesen, am Buffet seinen Teller gefüllt hatte, kletterte er auf ein weißes Sofa und aß dort mit den Fingern.
Der Achtundzwanzigjährige, der sich da, nach der Erinnerung eines Gastes, »wie ein Tier den Mund vollstopfte«. aber »trotzdem elegant blieb«, war Montgomery Clift, später Hauptdarsteller berühmter und erfolgreicher Filme wie »Ein Platz an der Sonne« und »Verdammt in alle Ewigkeit«.
Die Vorstellung, die Clift bei jenem Hollywood-Dinner gab, war noch harmlos, verglichen mit seinen späteren Manien und Blackouts. Clift, der in einer Blitzkarriere vom nur Spezialisten bekannten New Yorker Theaterschauspieler zum Filmidol aufgestiegen war, bot zunehmend das Karikaturbild eines total verstörten Mannes.
Hinter den Party-Provokationen, die als Anti-Establishment-Attitüden eines arroganten Rebellen durchgehen konnten, und der Glamour-Fassade verbarg sich ein von Neurosen gehetzter Narziß, der sich, kaum daß er den großen Erfolg geschmeckt hatte, selbst zu zerstören begann -- mit Beihilfe des Alkohols. Clift beging, sagt sein Schauspiellehrer Bobby Lewis, den »langsamsten Selbstmord im Showbusiness«.
Details aus der mondän-morbiden Vita des Stars, der 1966 mit 45 Jahren an Herzversager: starb, und erstmals auch Einzelheiten aus seinem Unglück. liehen erotischen Doppelleben enthüllen zwei neue Clift-Biographien, die in den USA erschienen sind*.
Was die Autoren Patricia Bosworth und Robert LaGuardia bei ihren indiskreten Recherchen über Montgomery Clift herausgebracht haben, zerstört wieder mal eine Hollywoodlegende. Sie erschüttern den Männlichkeitsmythos, der um Clift von seinen Publicity-Agenten und auch von ihm selber aufgebaut worden war.
Der Traumprinz von Millionen schmachtender Kinogängerinnen, der
* Patricia Bosworth: »Montgomery Clift. Verlag Harcourt Brace Jovanovich. New York; 440 Seiten: 12,95 Dollar. -- Robert LaGuardia: » Monty«. Verlag Avon Books, New York; 304 Seiten: 225 Dollar.
neben Marion Brando populärste Held des Männlichkeitskults im US-Film der fünfziger Jahre war in Wirklichkeit, wie es der Insider-Klatsch damals nannte, eine »Prinzessin«. »Princess Tiny Meat« lautete eine noch anzüglichere Klatsch-Variante -- sie brachte Clift so auf, daß er durch seine Anwälte ihre Tilgung aus dem Skandalbuch »Hollywood Babylon« durchsetzen ließ.
Clift wollte seine Homosexualität nie akzeptieren und hat sich fast sein ganzes Leben lang bemüht, sie zu verheimlichen. In seinen letzten Lebensjahren erst, als er durch Alkohol- und Tablettensucht und die Folgen eines schweren Autounfalls entstellt war, machte er auch in aller Öffentlichkeit kein Hehl mehr aus der ihm verhaßten Neigung.
Zunächst hatte er sich noch auf seine New Yorker Luxuswohnung beschränkt: Sie wurde -- durch Clifts zwielichtigen Geliebten Giles Tag und Nacht offen gehalten -- zum Tummelplatz für Strichjungen, männliche Modelle und Revueknaben. Clift wurde verprügelt und bestohlen; er büßte zum Beispiel massenhaft Kaviar ein, den er pfundweise im Kühlschrank vorrätig hielt. Wenn sich einer seiner abenteuerlichen Gäste bei ihm krank zu Bett legte, ließ er den Hausarzt kommen.
Als er dann wegen seiner an Unzurechnungsfähigkeit grenzenden Ausfälle von Hollywood abgehalftert worden war, gab er sich auch anderswo auf Partys homoerotischen Zärtlichkeiten hin -- meist allerdings schlief er bald volltrunken auf dem Fußboden ein.
In einem luxuriösen Ferienort an der Küste Neuenglands ließ er sich von den
* Oben: In »Ein Platz an der Sonne (1951). Mitte: In »Lautlose Waffen (1966).
dort residierenden Homosexuellen bestaunen und bespötteln: als ihres Glamours entledigte Ex-Diva, die vor Umnebelung und Krankheit kaum hoch einen Schritt ohne den stützenden Arm des Privatsekretärs tun konnte, und als prominentes Beispiel eines Mannes, der sich »von den Schuldgefühlen und Enttäuschungen seines homosexuellen Lebens zerstören« ließ.
In seiner schrecklichen Endzeit frequentierte Clift, wenn er nicht Manhattans 42nd Street vom Cadillac aus nach käuflichen Nachtgefährten absuchte, auch eine New Yorker Hafenkneipe, »Dirty Dick's«, die als besonders rauhes Homo-Nest galt.
Dort spürte ihn einmal der Produzent von »Misfits«, Frank Taylor, auf. Er fand seinen früheren Star hinter einem Vorhang im Mittelpunkt »einer Art dionysischem Ritus": Clift lag, umweht von »Urin- und Biergeruch«, im korrekten grauen Flanell-Anzug auf einem Tisch und wurde von mehreren Männern in Frauenkleidern und Leder »befummelt«.
Clift kommentierte seine Eskapaden: Er wolle »durchs Höllenfeuer gehen und unversehrt aus ihm hervorkommen«. Er verdrängte seine Homosexualität, auch als er sie exzessiv auslebte, als etwas Abnormes, dem er sich dunkelschicksalhaft vorübergehend ausgeliefert sah. Und 14 Jahre lang pilgerte er zu einem Psychiater, der, selbst unglücklich homosexuell, ihn darin nur bestätigte.
Clifts Widerstand gegen seinen Hang zum gleichen Geschlecht erklärt sich nicht allein aus der zu seiner Zeit herrschenden öffentlichen Moral. Sie ächtete die Homosexualität zwar, aber davon blieb das Bohème- und Filmmilieu, in dem Clift wie in einem Reservat abgeschirmt lebte, doch ziemlich unberührt.
In dieser auch damals erotisch wenig zimperlichen Szene wurden Männer wie Clift freilich, wie überall, abschätzig als »Schwule« und »Tunten« tituliert.
Dabei waren homosexuelle Neigungen gerade in Hollywood nichts Außergewöhnliches: Auch ein paar ausgesprochen supermännlich auftretende Spitzenstars gaben ihnen nach, ohne dabei eklatante Probleme zu haben.
Clift glaubte, seine sexuelle Misere rühre vor allem daher, daß er im Grunde bisexuell veranlagt sei. Die Biographin Patricia Bosworth macht sich diese Argumentation, im Gegensatz zum Biographen LaGuardia, besonders zu eigen: Sie stilisiert Clift zum Pionier- und tragischen Opfer -- einer neuen, »androgynen« Geschlechtlichkeit, in der das »nachgebende, empfangende Feminine« und das »selbstbehauptende, fordernde Maskuline« vereint seien.
Tatsächlich fand der Schauspieler aber auch an seinen gar nicht seltenen heterosexuellen Affären ebensowenig Geschmack wie an der Homosexualität. Die betroffenen Frauen klagten, er sei ein »passiver Liebhaber und häufig impotent«. Seine oft langjährigen, ungewöhnlich engen platonischen Beziehungen zu Frauen, die sein beträchtliches Einfühlungsvermögen schätzten und ihn gern während seiner Krisen umsorgten, waren für ihn befriedigender.
Von diesen Frauen war Elizabeth Taylor die wichtigste. Sie war für Clift zugleich Kumpel, Sexidol, Mutter, Krankenschwester und Traumgattin. Bei seinem Autounfall kletterte sie als erste in den zerstörten Wagen und bettete Clifts blutüberströmten Kopf in den Schoß ihres seidenen Partykleides. Jahre später, als sein einst »göttlich« genanntes Gesicht durch die Unfallfolgen maskenhaft erstarrt war, wollte Hollywood ihm keine Rolle in einem Film mit ihr geben. Die Versicherungen lehnten ihn als zu großes Risiko ab. Daraufhin bot die Taylor als eine Art Garantie für ihn ihre Gage von einer Million Dollar an.
»Monty« nannte »Liz« die »ideale Frau«, die »einzige«, die er »jemals geliebt« habe. Kennengelernt hatten sie sich als Jungstars bei den Dreharbeiten zu »Ein Platz an der Sonne«. Danach schwärmte er lauthals von ihren »phantastischen Titten«. Sie aber, die in ihm schon den zukünftigen Ehemann gesehen hatte, fand die Begegnung mit Clift erotisch enttäuschend: »Drei Tage lang spielte er mir den feurigen Mann vor und dann erschien er auf einmal in Begleitung eines Jünglings« der nicht schwer einzuordnen war.«
»Montgomery Clift« und »Monty«, die beiden neuen Biographien, sollen demnächst in Hollywood verfilmt werden.