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KUNST Rumpelstilzchens Spiel

Arbeit im Kollektiv gilt vielen Künstlern als »soziale Aufgabe«. Werke von 18 Künstler-Gruppen sind nun in Baden-Baden ausgestellt. Die Jury ist »enttäuscht«.
aus DER SPIEGEL 21/1971

Während Justus Zedelius, 25, die Trompete zum Angriff bläst, läßt Günter Kuschmann, 26, Spielzeugpanzer feuern: Kriegerische »Sandkastenspiele« nehmen ihren Lauf -- in einem Schau- und Übungsraum, den die beiden Künstler gemeinsam, als eine »Gruppenarbeit«, eingerichtet haben.

Die Produktion im Team versucht das derzeit in Düsseldorf ansässige Duo schon seit drei Jahren und mit viel Mühe. Denn gegenüber unbeschwertem Einzel-Schaffen wirft, wie Kuschmann sägt, »Gruppenarbeit größere Schwierigkeiten auf. Nur: Es ist richtiger so«.

Richtiger als sich in romantischen Malerateliers zu »verbarrikadieren«, erscheint es mittlerweile vielen jungen Leuten, die Kunst-Herstellung als einen »dialektischen Prozeß« zu erproben, bei dem jeder Entwurf sogleich vom Partner »wieder in Frage gestellt wird«. Das. so meint keineswegs nur Kuschmann, sei eine »soziale Aufgabe«.

Wer aber diese Aufgabe bereits in Angriff genommen, vielleicht sogar gelöst hat, das wußte bislang keiner so recht. Erstmals gibt nun eine Ausstellung »Gruppenarbeiten« in der Kunsthalle Baden-Baden halbwegs verläßlichen Bescheid.

Für jene 10 000 Mark, die früher jährlich als »Deutscher Kunstpreis der Jugend« zur Verfügung standen, lud sich nun Kunsthallenchef Klaus Gallwitz eine Schar Gruppenarbeiter ins Haus. Denn als 1969 der Preis durch einen Jury-Streik geplatzt war, hatten die Gutachter mißbilligend betont, gerade die »Prämiierung von Einzelleistungen und Einzelpersönlichkeiten« sei »nicht mehr vertretbar«.

Das auch diesmal unentbehrliche Richterkollegium -- es wählte von gut 100 eingereichten und jetzt vollzählig ausgehängten Team-Entwürfen 18 zur Verwirklichung und weitere 19 zur Publikation im Katalog aus -- hat wiederum kaum Anlaß zur Zufriedenheit. Mit Grund beklagen die Juroren das niedrige Niveau der meisten Einsendungen sowie ihre eigene Konfusion.

Nachdem schon bei der Ausschreibung eine Begriffsbestimmung versäumt worden war, mußten auch »opportunistische Interessenverbindungen« als »Gruppen« gelten, und der Wolfsburger Gerhard Trommer durfte sogar einzeln nach Baden-Baden kommen:

Kalkstaub nämlich, den Trommer in einem Raum ausgestreut hatte, sollte von einer beliebigen Besucher-»Gruppe«

* Mit Fußspuren aus dem Raum von Trommer.

durch die Ausstellung getragen werden. Aber das Teamwork nahm eine unverhoffte Wendung: Allzu großer Verschmutzung wegen kehrten Hilfskräfte. gegen den Protest des Künstlers, schon am Eröffnungstag den Belag beiseite.

Belebt wurde die Premiere ferner durch eine pathetische Fackel- und Fahnen-Vorführung der »Gruppe Intermedia« und durch die Geschäfte der »Gruppe Dezember«, die in der Baden-Badener »Kaufstätte« einen »Restposten« Hundertmarkscheine zu je 98,50 Mark verkaufte.

Begriff und Theorie der Gruppenarbeit, die das Jurorengremium nicht liefern mochte, wußten, was Wunder, die Künstler noch weniger beizubringen. Die Jury war (laut Protokoll) »enttäuscht, daß sich auch bei der Mehrzahl der eingereichten Entwürfe kaum Ansätze einer überzeugenden Kooperation fanden«.

Allenfalls Ansätze: »Multidisziplinär«, wie von vielen Preisrichtern gewünscht, versucht der Kölner Bildhauer Ansgar Nierhoff vorzugehen. Der Eindruck eines von ihm auch früher schon gezeigten Besucher-Käfigs soll nun von Psychologen getestet werden, während die Münchner »Gruppe Fiction« technische Licht- und Bewegungsspiele in einer dunklen Kammer vorführt.

Solche Experimente aber bleiben weit hinter jenen Beispielen zurück, die etwa in New York bereits vor Jahren von gemischten Künstler- und Ingenieurs-Mannschaften gesetzt worden sind. »Für Team-Arbeit«, so folgert der Kritiker John Anthony Thwaites, »ist es in Deutschland entweder zu spät oder zu früh.«

Denn etwa die eindrucksvolle Pantomime, in der Klaus Rinke aus Düsseldorf mit seiner Gefährtin Monika Baumgartl menschliche »Primärdemonstrationen« wie Stehen oder Liegen exerziert, und die karge Raumplastik, zu der die Düsseldorfer Knoebel und Palermo ein Kunsthallen-Gemach verschalt haben, könnten genausogut von einem einzelnen entworfen sein.

Auch vom Team Kuschmann-Zedelius wird der wohlgemeinte, »momentan so ungeheuer fashionable« Trend zur Gruppenarbeit (so Juror Jürgen Harten) nur schwach gerechtfertigt. Das Sandkasten-Manöver, zu dem noch eine winzige Tischtennis-Anlage und Schautafeln wie eine Generalstabskarte von Baden-Baden gehören, ist unter einem Tarnzelt aufgebaut und will Betrachter gleichsam in den Künstler-Dialog hineinziehen. Wie hier, erscheinen Gruppen-Werke oft, doch nicht zwingend, in der Gestalt von Räumen und von Spielen.

Gespielt wird beispielsweise an hölzernen Strukturmodellen, mit denen Kasseler Kunststudenten ihre Hochschule in drei Phasen ("war«, »ist«, »soll") als veränderbar demonstrieren. Mit dem Konzept eines Würfelspiels ("Schleiche mit Schläue") will auch, im Katalog, die Stuttgarter »Gruppe Rumpelstilzchen« ihre »überaus fruchtbare Arbeit im Kollektiv« dartun.

»Die minuziöse Arbeitsweise und die Wahl der Materialien, wie Plexiglas, hochlackiertes Holz und gespritzte Tempera- und Dispersionsfarben, sind«, so erläutern die Künstler doch wohl satirisch ihre Wertarbeit, »bezeichnend für den Beitrag der Gruppe Rumpelstilzchen zur jungen deutschen Kunst.«

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