Runter fallen sie immer
Es gibt zwei Gründe, über Robert Crumb zu schreiben. Der erste ist, daß der Zweitausendeins Versand mal wieder ein Buch von Crumb herausgebracht hat - eines der anregendsten komischen Bücher, die ich seit langem in Händen hatte
( Robert Crumb: »Sketchbook 1966/67«. ) ( Verlag Zweitausendeins, Frankfurt; 372 ) ( Seiten; 25 Mark. )
-, und der zweite, daß das mal wieder von niemandem zur Kenntnis genommen wurde. Niemand, das meint die Medien, und da sich dieser Vorgang zum fünften Mal wiederholt, hört der Spaß, finde ich, auf. Ich frage mich im Gegenteil ernsthaft, woran das liegen mag.
Es war nämlich nicht immer so, daß die Bücher von Crumb fast unter Ausschluß der Öffentlichkeit erschienen. Im Gegenteil: Als der März-Verlag vor zwölf Jahren Robert Crumbs erstes Buch, die »Head Comix«, herausbrachte, war das Echo überraschend laut und bemerkenswert einhellig. »Noch selten ist die Zwielichtigkeit und Verlogenheit unserer Zivilisation derart schockierend genau festgehalten worden«, freute sich die »FAZ«. »Die Horror-Trips seiner Figuren sind die pure Entspannung gegen den gesellschaftlichen Alltags-Horror, den sie vorführen«, sekundierte der SPIEGEL. »Der Zeichner Crumb will beweisen, daß nicht nur ein paar Verrückte verrückt sind, sondern das ganze Universum ... Das kulturkritische Gequengel über den angeblichen Stumpfsinn der Comic-Kunst erledigt sich damit von selbst«, konstatierte die »Welt«.
Wenn überhaupt Kritik an Crumb laut wurde, dann deshalb, weil er leider, leider die offensichtlich allseits gewünschte Revolution nicht genügend S.133 vorantrieb: »Der Witz fängt aufkommende Aggressionen gleich wieder ab, da man die vorgeführten Personen als Opfer ihrer Umwelt bemitleidet, statt sie als Gestalter ihrer Umwelt zu begreifen«, mahnte die »Zeit« den damals 25jährigen Zeichner. »Mit der Ideologie hapert es bei Crumb also«, tadelte die »Abendzeitung« zusammenfassend - das Schicksal der Deutschen, über allem schwer zu werden, hatte sich mal wieder erfullt, diesmal an Crumb, doch sie hatten sich immerhin einen, wenn auch reichlich modischen Reim auf Comic-Künstler gemacht.
Wir schreiben das Jahr 1970: Pop-Art war (gerade noch) ein Thema, Kulturrevolution war (noch) angesagt, Comics, speziell Underground-Comics, waren (gerade) in oder (noch) ein Gerücht, und diese Modewelle spülte in ein und demselben Jahr so einiges in die Ausstellungshallen, Buchhandlungen und Feuilletons: Ein Boom, der neben eiskalt kalkulierten, gänzlich unpersönlichen Kommerzgeschöpfen von »Barbarella« bis »Phoebe Zeitgeist« auch die überhaupt nicht coolen, ganz und gar persönlichen Ausgeburten des Crumbschen Kopfs ins öffentliche kulturelle Bewußtsein hob.
Dort tanzten sie alle freilich nur einen Herbst lang. Dem Nachklapp der aufgeregten späten Sechziger folgten stante pede die bedächtigeren Siebziger, »April, April«, hieß es plötzlich allerorten, die (Kultur-) Revolution stand gar nicht vor der Tür, Marshall McLuhan war gar nicht so ernst zu nehmen, die populären Medien waren gar nicht der Weisheit letzter Schluß, das Wasserbett war gar nicht das Nonplusultra, die Literatur war gar nicht tot. Wo waren wir nochmal stehengeblieben? Beim letzten Böll?
Nicht, daß ich dem ebenso plötzlich entflammten wie abrupt verloschenen Interesse für Comics nachtrauerte. Die kommerziellen waren und sind in der Regel leider ziemlich töricht, Ausnahmen natürlich ausgenommen, und das, was hier in den frühen Siebzigern noch ein Gerücht war, der Underground-Comic, ist mittlerweile Geschichte, unterm Strich leider keine allzu ruhmreiche.
Kein Zweifel, zwischen 1967 und 1973 waren in den diversen US-Undergrounds unendliche Tuscheströme in ungezählte Bildergeschichten geflossen. Zeitweise glaubte offensichtlich jeder, der eine Feder halten konnte, auch zeichnen zu können, selten sah ich so viel klobigen Dilettantismus und soviel angeblich bewußtseinserweiterndes Kunsthandwerk auf einem Haufen, wäre da nicht immer wieder Crumb - doch da ist immer wieder Crumb, immer wieder und vor allem, und immer wieder, wenn ich auf ihn stoße, denke ich: Welch ein Zeichner! Welch ein Geschichtenerzähler! Welch ein Jammer, daß er hierzulande mit all dem Comic-Schrott den Kultur-Bach runtergegangen ist, nein: welch eine Schande!
Daß es nach den »Head Comix« bei uns still um Crumb wurde, hatte erst mal ganz handfeste Gründe. Der März-Verlag machte Pleite, Crumbs Buch lief aus, und fünf Jahre lang erschien nichts Neues von ihm. Trotzdem konnte man dauernd etwas von Crumb sehen: Die munter wuchernde Alternativpresse raubdruckte ihn munter, untergrundig verbreitete sich sein Ruhm auch in den einschlägigen deutschen Kreisen.
Doch als der Versand-Verlag Zweitausendeins 1975 damit begann, Crumbs ungebärdige, auch für dessen Landsleute schwer überschaubare Produktion in schön aufgemachten (Franz Greno), hervorragend geletterten (Dieter Kerl) und kongenial übersetzten (Harry Rowohlt) Auswahlbänden anzubieten, rührte sich kaum eine Feder mehr:
»Die 17 Gesichter des Robert Crumb«, »Yum Yum«, »Sketchbook I«, »Voll auf die Nüsse« und jetzt das »Sketchbook II« mit frühen Zeichnungen wurden nur noch von abseitigen Publikationen und auch dort nur am Rande wahrgenommen, im deutschen Comic-Fachblatt »Comixene« beispielsweise, das es nun leider auch nicht mehr gibt.
Ein Schweigen, das sicherlich damit zu tun hat, daß Crumb nur schwer in den Griff zu kriegen ist. Das beginnt mit seiner Cartoonisten-Biographie, die sich ebensogut als Erfolgsgeschichte wie als der bewußt gewählte Weg in den programmierten Mißerfolg »euten läßt. 1978 erinnert er sich: 1962 haute ich von zu Hause a«, » um mein Glück zu machen, und bekam einen Job in Cleveland, » » Ohio, wo ich Farbauszüge für eine große » » Glückwunschkartenfirma verfertigte. Ich zeichnete weiter » » meine hausgemachten Comics, obwohl ich die Idee, ein » » professioneller Cartoonist zu werden, längst aufgegeben » » hatte. Ich zeichnete Comics aus dem gleichen Grund wie » » bisher: um nicht mit anderen Leuten zu tun zu haben. »
Gerade die Comics aber bringen ihn mit anderen Leuten zusammen, ausgerechnet in diesen einsamen Jahren entwickelt Crumb seine wahrscheinlich populärste Comic-Figur, Fritz the Cat; S.134 Fritz ist auch der Held seines ersten, 1964 publizierten Strips, der Bildergeschichte »Fritz comes on strong«, in welcher Fritz ein langhaariges Katzenmädel auszieht und flachlegt.
Damit sind die Fritz-Weichen gestellt: In weiteren Folgen legt Fritz nicht nur weiter flach, er zieht auch durch, füllt sich ab, wirft ein, flippt aus und engagiert sich in allen denkbaren revolutionären »nd konterrevolutionären Umtrieben. Und er macht Crumb bekannt: » » 1969 wurde mein erstes Fritz-Buch veröffentlicht. Damals war » » ich berühmt, jedenfalls in der Hip-Subkultur, und Horden von » » großsprecherischen Medienhaien rannten mir die Bude ein. Ich » » versuchte Widerstand zu leisten, doch sie überrollten mich » » wie ein Güterzug ... »
Die Lokomotive heißt Ralph Bakshi, er entreißt Crumb die Fritz-Rechte und verbrät sie in einem Fritz-Trickfilm, welcher den Fritz-Schöpfer derart verstört, daß er sich zum Äußersten »ntschließt: Mir war klar, Fritz mußte beseitigt werden. 1972 » » fühlte ich mich gezwungen, ihn töten zu lassen ... Ein » » weiteres Opfer der »Sechziger« ... »
Die Straußendame Steffi besorgt den Abgang, sie rammt dem mittlerweile nur noch mäßig potenten, dafür unmäßig zynischen Fritz einen Eispickel ins Genick.
Auf der Strecke aber bleibt nicht nur eine Comic-Figur: Ganz bewußt entledigt sich Crumb einer Geldkatze, die ihm bei entsprechender Pflege noch seinen Lebensabend vergoldet hätte.
Er macht auch sonst alles falsch. Statt dem Beispiel eines Bud Sagendorf ("Popeye") oder Charles M. Schulz ("Peanuts") zu folgen und einer begrenzten Zahl von Helden zu weitester Verbreitung zu verhelfen, erfindet er in den späten Sechzigern ein Heer von Helden, die in ständig wechselnden, obskuren Heftchen erscheinen.
1967 sind es 25 solcher Erfindungen, von Mr. Natural bis Stinko the Clown, 1968 bringt er es auf 27 neue Comic-Figuren, 1969 folgen 23 weitere, und es dauert Jahre, bis der Kreativ-Strom in normale Bahnen zurückkehrt, erst 1974 vermerkt mein faktenpraller Wissensquell, die »Robert Crumb Checklist« des amerikanischen Russisch-Professors Don Fiene, lediglich einen Newcomer, Herrn Shlub Mugubb.
Gegen alle wirtschaftliche Vernunft verfährt Crumb bei seinen Publikationen genauso sprunghaft. Anstatt einen erfolgreichen Hefttitel zum Periodikum auszubauen, lanciert er nacheinander »Big Ass Comics«, »The peoples Comics« usw., Hefte, die es selten auf mehr als eine Nummer bringen.
Selbst von Crumbs erster Underground-Publikation, dem legendären »Zap Comix«, erschienen zwischen 1967 und 1975 nicht mehr als neun Folgen, und das wohl auch nur deswegen, weil vom dritten Heft an auch andere Zeichner an »Zap« mitarbeiteten.
Und so fortan: Mr. Natural, nächst Fritz the Cat Crumbs beliebteste Erfindung, ein Guru von unüberbietbarer Weisheit, Dreistheit, Ein- und Vieldeutigkeit, erlebt nur zweimal die Ehre eines nach ihm benannten Heftes, 1969 und 1971. Doch Crumb läßt ihn immerhin bis 1976 weiterleben. Ab Februar dieses Jahres erscheint wöchentlich ein »Mr. Natural«-Strip in der New Yorker Zeitschrift »Village Voice«, im August wird es Crumb zuviel. Er notiert in sein Sketchbook: »Ich möchte keinen regelmäßigen Strip für die Voice mehr zeichnen ... Scheiß'' drauf ... Scheiß'' aufs Geld ... Ich möchte kein verantwortlicher Erwachsener sein ...«
Und im November handelt er: Nachdem Mr. Natural nackt durch die Wohnung seines Uralt-Freundes Flakey Foont getobt ist, karrt ihn der in die Nervenheilanstalt. Mit von der finsteren Partie ist Flakeys Freundin Ruth Schwartz; während Mr. Natural erstarrt auf dem Rücksitz hockt, spricht sie den Epilog: »Arme Sau ... in den Sechzigern war er so scharfsinnig ... Ein Held der Gegenkultur. Millionen liebten ihn. Was ist da schiefgegangen?«
Ja - was wohl? Denn Crumb läßt Mr. Natural lediglich das nacherleben, was ihm bereits Jahre vorher widerfahren ist. 1974 fragt ihn der Interviewer Keith Green, ob er noch viel Fan-Post erhalte: »Nein, eigentlich nicht mehr. Ich bin ein has-been. Ein alter Hut. Ein Teil der Sechziger ... passe ...«
Aber war er das jemals - ein Teil? Ist er nicht immer ein Einzelkämpfer gewesen, trotz der Sammelbezeichnung »Mr. Underground«, die ihm eine etikettengeile Mitwelt aufgepappt hatte? Hat er, abgesehen von der großen Verweigerung, die er von Anbeginn praktizierte, ernsthaft an all die Moden, Drogen, Schlagworte und Hoffnungen der Sechziger geglaubt?
Fritz the Cat ruft die Neger-Krähen zur Revolution auf, jawohl, doch nur, weil er völlig stoned ist: »Erhebt euch! Die Bosse fahren in Limousinen herum, die essen Erdbeeren mit Schlagsahne! Nach der Revolution wird es keine Limousinen mehr geben! Nach der Revolution gibt''s keine Erdbeeren mit Schlagsahne mehr!«
Fritz verkündet die Ideale der Sechziger-Bewegung, Peace and Love, Bewußtseinserweiterung und Spontaneität, gewiß, doch nur so lange, bis er wieder ein Blumenkind ins Bett geschwatzt hat, danach ist er rasch wieder auf dem Teppich: »Gähn ... ein sehr günstiger Fick ...«
Crumb zeichnet, wie die Negerin Angelfood McSpade von weißen Entwicklungshelfern dazu überredet wird, im Interesse ihres kulturellen Aufstiegs Klos auszulecken - zweifellos eine eindeutige Satire. Doch er zeichnet auch entsetzlich bimbohafte Neger, die einen Weißen zusammenschlagen, welcher fortwährend beteuert, Verständnis für ihre Probleme zu haben.
Er zeichnet Whiteman, den Vertreter des Establishments, und seine Mordphantasien, er zeichnet aber auch hirnlose Haight-Ashbury-Hippies, die jedem Modeguru hinterherlaufen. Einen wahnwitzigen Hau haben oder kriegen sie bei ihm alle - die prügelnden Polizisten und die geheimen Volksbefreiungsheere, S.135 »Dale Steinberger, das jüdische Cowgirl« und »Strawberry Fields, das allerletzte Blumenkind« - je länger ich in alten Crumb-Bänden blättere, desto mehr muß ich mich fragen, ob er denn jemals ein nützliches und vollwertiges Mitglied der Bewegung gewesen ist.
War er nicht, sagt er selber 1972: »Ich ging zu diesen Love-ins und schaute mir den Unfug an. Nie hatte ich das Gefühl, wirklich dazuzugehören. Ich kam mir wie ein Reporter von einem anderen Stern vor.« War er doch, sagt ein Vertreter des Establishments, Robert Doty, Kurator des New Yorker Whitney-Museums: »Crumb ist der Daumier seiner Zeit, ein wahrhaftiges Genie, das aus dem underground-movement auftaucht.« War er doch nicht, hält Professor Poteet aus Newark dagegen: »Der Inhalt von Crumbs Werk ist pubertär. Zynisch, doch ziellos macht er alles nieder, herrschende Kultur und Gegenkultur.«
Und vor allem sich selber, hätte der Professor hinzufügen können. 17 seiner Gesichter enthüllt Crumb in dem gleichnamigen Strip, sie reichen von »Crumb, der etablierte, burschwase Kommerz-Cartoonist« bis »Einer von uns ... angesehenes Mitglied der Alternativszene« - und im Laufe der 70er thematisiert er sich und seine Probleme immer häufiger, vor allem seine Probleme mit den Frauen, mit all den vergewaltigten und gewaltigen, unterdrückten und erdrückenden Wesen, die seine Bildergeschichten bis zum Bersten füllen.
1975 teilt er in einem äußerst doppelbödigen, ungemein bilderreichen Rundumschlag ("Dies ist kein komischer Comic") mit, was er an dem modernen Amerika haßt: »Ich hasse die gesamte moderne Pop-Musik, und ich hasse Motorräder ... Fette Kapitalisten ... Losungen brüllende Radikale fast genausosehr ... Weltläufige Intellektuelle ... Die Alternativkultur der Jugend sowie fast alle Teenager ...« usw. usf. - wo aber bleibt das Positive, Mr. Crumb?
»Und was, so höre ich fragen, würde ich unternehmen, um Amerika zu verbessern? Nun, zuerst würde ich die Straßenbahnen wieder einführen ...« Meint der das ernst? Hat der je etwas ernst genommen, wenigstens seine Comics? Dem Herausgeber der Comic-Fachzeitschrift »Funnyworld« schreibt er 1972: »Funnyworld ist ein so ernsthaftes Blatt ... Sollte Serious World heißen ... All die ernsthaften Briefe und Beiträge über Cartoons ... Macht mich richtig krank, Leute!«
1969 bereits ist Crumb aufs Land gezogen, nach Potter Valley, in etwas, was er selber eine Farm und der Besucher Gordian Troeller eine Baracke nennt.
Angebote etablierter Medien wie »Playboy« oder »Rolling Stone« lehnt er nach wie vor ab, die weltweiten Raubdrucke bringen nichts ein, am Crumb-Boom, an »Mr. Natural«-T-Shirts und »Keep on truckin''«-Poster verdienen andere, er kommt 1972 auf monatlich 1500 Dollar. Und das ist noch ein fettes Jahr.
Weniger fette Zeiten folgen, auch die Comic-Produktion wird magerer, zu Schaffenskrisen kommen finanzielle Sorgen, 1978 zwingen Steuerschulden den »American Hogarth« ("Time"), nach Deutschland zu kommen, wo der Verleger-Versender Lutz Reinecke sein »Sketchbook 1974-78« herausbringen will, weltweit, denn er ist der einzige, der die Herausgabe riskiert.
Ein verzweifeltes und herzwärmendes Buch, Crumbs Versuch, zeichnend und schreibend mit sich, seinem Ruhm und seinem Versagen ins reine zu kommen: »Wenn ich nicht zeichne, bin ich NICHTS«, »Die Leute haben mich ein Genie genannt - und ich hab''s auch noch geglaubt!« - in Worten läßt Crumb ständig die Hosen runter, in den zahllosen Zeichnungen aber zieht er sie energisch wieder hoch und schreitet mit festem Schritt sein Terrain ab, das sich, gemessen an seinen Anfängen, noch mächtig erweitert hat.
Zu den immer wieder zitierten und variierten Figuren der amerikanischen Comic-Geschichte, zu den erprobten Ausgeburten seiner Sex- und Alpträume, zu dem ständigen Registrieren von und Reagieren auf zeitgenössische Scheußlichkeiten ist nun noch die realistische, ganz unkomische Zeichnung gekommen.
Crumb bekennt eine »Schrulle, fast eine Besessenheit ... nein falsch, eine intensive LIEBE zu gewissen Dingen der Vergangenheit«, besonders »für das Amerika zwischen 1860 und 1930 und/ oder das vorindustrielle Europa«, geradezu andächtig zeichnet er Jazzmusiker der 20er Jahre oder »Terrys Art Deco Herd«.
Da scheint der Spaß für Crumb nun wirklich aufzuhören, da entpuppt er sich als Konservativer, als einer von der widerborstigsten Sorte freilich - im kleinen Holland provozierte dieses Buch drei lange Aufsätze, lobende und kopfschüttelnde, in der großen Bundesrepublik jedoch ...
Der Kreis schließt sich, doch bevor er sich ganz gerundet hat, möchte ich noch einmal flink abfragen, ob denn hierzulande wirklich niemandem etwas zu Crumb einfällt. Beginnen wir mal ganz oben: Kunstkritiker! Daß ihr nichts zum komischen Zeichner Crumb sagen könnt - geschenkt. Dabei kommt selten mehr raus als ein wohlwollendes Schulterklopfen, das zumeist die anvisierte Schulter auch noch meterweit verfehlt. Aber ist euch eigentlich klar, daß Crumb die Postmoderne, den spielerischen und verantwortungslosen Umgang mit Formen und Inhalten der bildenden Kunst dieses Jahrhunderts bereits 1967 in »Zap 1« eingeleitet hat? Mit seinen »Ultra Super Modernistic Comics«? Daß er seither all das praktiziert, was heute den Jungen Wilden nachgerühmt wird - Stilpluralismus, Wegwerfkunst und radikale Geschmacklosigkeit? Man wird ja wohl noch mal fragen dürfen.
Literaten! Wie lange noch wollt ihr eure kümmerliche Geschichte in weinerlichen Wälzern ausbreiten? Ist doch alles schon gesagt, viel bildhafter und weinerlicher, als ihr es je schaffen werdet, in Crumbs »Heulsusen-Blues« von 1976, Held: Crybaby Beanhead, Motto: »Hält sich für die einzige Bohne in der Suppe!« Wer würdigt diese vier glorreichen Seiten endlich einmal? Wer weist nach, daß sie die denkbar anrührendste Begründung der neuen Weinerlichkeit enthalten und zugleich ihre denkbar vernichtendste Kritik? Äh, war nur ein Vorschlag.
Kulturträger! Ihr wart doch alle mal so stolz darauf, den tradierten Kulturbegriff S.136 erweitert zu haben, um Trivialkunst und Rockmusik, Alltagsmythen und - erinnert ihr euch noch - Comics? Könntet ihr nicht mal was über - wie? Überlastet? Erst müssen noch der neue Strauß, der neuere Herzog und der allerneueste Frisch abgefackelt werden? Und die 1000 Seiten Pynchon sind noch nicht mal zur Hälfte gegessen? Bin ja schon still. Nicht stören lassen, weiterlesen!
Gegenkulturträger! Jede Kultur lebt vom Erinnern. Daß die herrschende Kultur jemanden wie Crumb, wenn überhaupt, nur im Ex-und-hopp-Verfahren mitnimmt - klar. Kurzfristig mag es ja ganz chic und progressiv sein, den Rüssel in die Schmuddelmedien des sogenannten Undergrounds zu tunken, von groteskem Sex und anarchischer Komik zu naschen, um so wohler fühlt man sich hernach wieder auf den etablierten Spielwiesen. Ihr aber ...
Ist euer Gedächtnis ebenso kurz? Ist es durch all die Polit-, Rock- und Filmnostalgien derart blockiert, daß die Geschichte der Szene-Satire und der Szene-Comics sich bereits mit dem vorletzten Seyfried im Dunkel verliert? Will denn niemand mehr wissen, wie alles anfing? Indem er energisch auf eine Neuauflage der »Head Comix« drängt oder sich doch wenigstens Gedanken zum »Sketchbook 1966/67« macht?
Interessiert es denn niemanden, wie es mit Crumb weiterging - auf die Gefahr hin, in dessen Geschichten auch die eigene, manchmal gar nicht so lustige Geschichte der letzten zwölf Jahre wiederzufinden? Nicht angesagt? Wirklich nicht?
Männer! Wolltet ihr nicht so sein wie seine Figuren: Offen wie Mr. Natural, zu wie Bo Bo Bolinski, stürmisch wie Mr. Snoid, begehrt wie Fritz the Cat, liebebedürftig wie Creampuff mit der Hupe? Doch, das wolltet ihr. Wollt es ja immer noch, stimmt''s? Traut euch nur nicht mehr, es zuzugeben - oder? In Ordnung, trau mich ja selbst nicht.
Frauen! Ist dieser Crumb - nein, nicht wahr? Auch nicht irgendwo ganz tief drinnen? Schon gut, vergessen wir''s.
Keine weiteren Wortmeldungen? Dann rasch noch ein Wort in eigener Sache: Es geschieht nur alle Jubeljahre, daß jemand die komische Zeichnung (die komische Bildergeschichte, den komischen Comic) aus dem umfriedeten Bereich milder, kommerzieller Belustigung befreit, das Medium mit den allerpersönlichsten Erfahrungen, Verletzungen, Hoffnungen und Begierden bepackt und es so kunstreich wie ungehindert querfeldein traben läßt - über Stock und Stein, Geld und Gut, Anstand und Sitte, Freund und Feind, Gott und die Welt, Sinn und Verstand.
Busch war so ein Fall, Crumb ist so einer: »Anfangs war ich beim Zeichnen mein eigener Zensor, dann hörte ich einfach mit der Selbstzensur auf - das ist eigentlich alles.«
Verwegene Herrschaften! Ihr Start ist meist glänzend, ihr Ende abzusehen. Runter fallen sie immer, früher oder später, um so spannender, lustvoller, befreiender und lebenssteigernder ist es, ihrem Parforceritt zuzusehen. Unterm Strich ist der Weg das Ziel, fragt sich nur, wie lange der sich hinzieht. Und ob die Zuschauer ihn nicht verlängern können, durch anfeuernde oder warnende Zurufe etwa.
Doch ich merke gerade, daß ich dabei bin, gar nicht mehr von Crumb zu reden, und schon gar nicht mehr für ihn, sondern für all jene Zeichner-Schreiber, die auf ihre sehr viel bescheidenere Weise versuchen, dem Wechselbalg der komischen Bildgeschichte ein paar neue, persönlichere Töne zu entlocken. Sie können dem Schweigen um Crumb nur ebenso betreten wie entmutigt zuhören: Wenn nicht einmal der wahrgenommen wird, wer dann?
S.133
1962 haute ich von zu Hause ab, um mein Glück zu machen, und bekam
einen Job in Cleveland, Ohio, wo ich Farbauszüge für eine große
Glückwunschkartenfirma verfertigte. Ich zeichnete weiter meine
hausgemachten Comics, obwohl ich die Idee, ein professioneller
Cartoonist zu werden, längst aufgegeben hatte. Ich zeichnete Comics
aus dem gleichen Grund wie bisher: um nicht mit anderen Leuten zu
tun zu haben.
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S.134
1969 wurde mein erstes Fritz-Buch veröffentlicht. Damals war ich
berühmt, jedenfalls in der Hip-Subkultur, und Horden von
großsprecherischen Medienhaien rannten mir die Bude ein. Ich
versuchte Widerstand zu leisten, doch sie überrollten mich wie ein
Güterzug ...
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Mir war klar, Fritz mußte beseitigt werden. 1972 fühlte ich mich
gezwungen, ihn töten zu lassen ... Ein weiteres Opfer der
»Sechziger« ...
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S.132Robert Crumb: »Sketchbook 1966/67«. Verlag Zweitausendeins,Frankfurt; 372 Seiten; 25 Mark.*