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FILM Russen im Western

»Heaven's Gate«. Spielfilm von Michael Cimino. USA 1980; 210 Minuten; Farbe. *
aus DER SPIEGEL 9/1985

Aufstieg und Fall in Hollywood: Als Cimino 1977 seinen Vietnam-Film »Deer Hunter« herausbrachte, war er mit einem Schlag der Liebling der Branche, der neue Wunderknabe im Film-Business.

Als 1981 sein »Heaven''s Gate« ("Himmelstor") herauskam, war Cimino am Boden - sein 100-Millionen-Mark-Mammut-Werk verstümmelt, von der Kritik in der Luft zerrissen, vom Publikum gemieden. Er galt als größenwahnsinniger Verschwender; seine Ausgabenwut bei den Dreharbeiten zum »Himmelstor« hatte nicht nur einen der größten Kino-Flops aller Zeiten hervorgebracht, die Verleihfirma United Artists geriet darüber auch so sehr ins Stolpern, daß sie einen finanziellen Kollaps erlebte, von dem sie sich nicht mehr erholte.

»Heaven''s Gate« wurde zur Filmruine, eine Art Steglitzer Kreisel der Kino-Branche; der Regisseur, der mit Millionen um sich geworfen hatte, war fortan eine Art Aussätziger - er und Coppola teilten sich den Part der bösen Verschwender und Kassenkiller.

Der Skandal um »Heaven''s Gate« hatte schon während der Dreharbeiten begonnen. Immer wieder hatten Reporter von dem Drehort die wunderlichsten Geschichten mitgebracht: Da ließ der Regisseur ganzen Statistenheeren wochenlang Rollschuhunterricht erteilen, damit sie dann, lauter winzige Punkte in einer Mammutszene, perfekte Rollschuhläufer in einer eher kleinen Szene abgeben könnten.

Bei den Studio-Bossen schrillten sämtliche Alarm-Anlagen. Noch ehe der Film in die Vor-Aufführungen gelangte, war sein Ruf schon ruiniert. So wurde in Panik vieles, was Geld gekostet hatte (Tausende von Kostümen für Kurzauftritte von bewegten Massen), noch vor dem eigentlichen Kinostart aus dem Film geschnippelt.

Hollywood schien damals, wenigstens für einen Augenblick, Angst vor der eigenen Gigantomanie ("Krieg der Sterne") zu bekommen. Und vollstreckte diese Angst an einem Werk, das von vornherein mit seinen 45-Millionen-Dollar-Kosten eine abstruse Fehlspekulation auf breiten Zuspruch a la Spielberg und Lucas war: Denn »Heaven''s Gate« verbreitet eine selbstkritische, fast antiamerikanische Atmosphäre um seine Siedler-Geschichte in Wyoming. Und auch die Tatsache, daß die Heldin eine Art Puffmutter ist und gleich zwei Männer gleich herzlich liebt, schien nicht geeignet, den Film für den sonntäglichen Familienbesuch, vorher in die Kirche, nachher zu McDonald''s, nahezulegen.

So ist es kein Wunder, daß die Rehabilitation und Ehrenrettung für »Heaven''s Gate« in Europa, im Kino der europäischen Festivals, begann. Außerhalb Amerikas lernten Ciminos Bilder wieder laufen. Zwar zeigte Cannes 1981 noch eine auf zweieinhalb Stunden zurechtgestutzte Version, die Rhythmus und Logik des Films empfindlich störte, aber die Kritik reagierte mit Respekt, wenn auch mit ratlosem.

1982, in Venedig, wurde »Heaven''s Gate« unverstümmelt, also fast vier Stunden lang, vorgeführt. Seit der Zeit gilt der Film als einer der gigantischen Würfe der Filmgeschichte - ein imponierender

Brocken, voll von optischer Opulenz; ein Film der enthemmt eingesetzten, ingeniös beseelten filmischen Mittel; eine ungeheure Herausforderung für Augen, die an den Pappkulissen von »Dallas« und den Schnitt-Gegenschnitt-Drahtverhauen von »Denver« längst das Sehen verlernt haben.

Natürlich, und auch daran ist kein Zweifel, kam und kommt »Heaven''s Gate« den unterschwelligen Anti-Hollywood- und Anti-Amerika-Stimmungen beim europäischen Publikum entgegen.

Anti-Hollywood-Stimmung: Cimino wurde zum Opfer der Filmindustrie hochstilisiert, die er mit ihren eigenen Mitteln so kühn und selbstherrlich herausgefordert hatte, ein unbestechlicher, kompromißloser Kinomacher unter all den Junk-Food-Produzenten.

Anti-Amerika-Stimmung: Der Film, ein Spätwestern aus der Zeit, da das Land längst verteilt war und neue Einwanderer auf den Haß der Etablierten stießen, zeigt ein Fetzchen amerikanischer Geschichte nicht als Ruhmesblatt, sondern als Schandfleck. Amerika, nicht mit dem Schweiß der Redlichen oder dem Colt der Gerechten urbar gemacht, sondern mit dem Blut der Schwachen getränkt.

»Heaven''s Gate« spielt in einem Distrikt in Wyoming während des ausgehenden 19. Jahrhunderts. In das Gebiet drängen Einwanderer aus Osteuropa, Russen, Juden, Deutsche, die nichts mitgebracht haben als ihre Hoffnungen und eine anarchische Glut und anarchistische Wut.

Die »Wasps«, die Großgrundbesitzer, die hier schon länger leben, fühlen sich bedroht von wuselnden, zerlumpten Gruppen mit den vielen hungrigen Kindern. Nicht ohne Grund: Denn die Verzweifelten stehlen, unter anderem, Vieh von der Weide.

Die Handlung von »Heaven''s Gate« setzt in dem Augenblick ein, da die Etablierten zum Gegenschlag ausholen und in einem feinen Club, ganz demokratisch, zwischen englischen Möbeln und bei Whiskey und Sherry, beschließen, über 100 anarchistische »Rädelsführer« durch Schießkommandos wegräumen zu lassen: Todeslisten, die vom Gouverneur, ja vom Justizminister und sogar vom US-Präsidenten gebilligt sind.

Cimino setzt vor diese Geschichte die Szene einer Jahrgangsabschlußfeier der juristischen Fakultät an einer Ivy-League-Universität wie Harvard oder Princeton, die in gleißende und ironische Reden mündet, eine Selbstfeier des rechtsstaatlichen angelsächsischen Sendungsbewußtseins.

Diese Feier endet in einem riesigen Ball, zu dem sich beim Walzer auf der Wiese des Campus Tausende von Paaren drehen. Die kreisende Bewegung dieses Anfangs aus dunklen Anzügen und Rüschenkleidern, Jugendlichkeit und selbstsicherer Wohlerzogenheit, ein Sog an ausladender Feststimmung, gibt dem Film seine Grundstruktur.

Das Kreisen taucht wieder auf, wenn sich die osteuropäischen Einwanderer in Rollschuhen über die Riesentenne von Heaven''s Gate bewegen; ein wilder, fast urtümlicher Kontrast zu der Eleganz des Schulabschlußballs.

Und das Kreisen kehrt schließlich als mörderischer Todesreigen wieder. Wenn die Mordkommando-Truppen sich in einer Wagenburg eingeigelt haben, die von den revoltierenden Einwanderern in Indianer-Manier eingekesselt und bestürmt wird.

Cimino arbeitet mit effektvollen, sinngebenden Kontrasten, wenn er das kleine, schäbige Kopfjäger-Unternehmen in _(Mit Isabelle Huppert und Kris ) _(Kristofferson. )

Wyoming und das Aufbegehren dagegen mit den opulenten Mitteln eines »Krieg und Frieden«-Epos aufbereitet. Geschichte, so zeigt »Heaven''s Gate«, ist in Wahrheit das, was die Geschichte normalerweise vergißt und verdrängt hat.

Und so wie Cimino die Form des monumentalen Schlachtengemäldes für die miese Schlächterei benutzt, so bedient er sich der Mittel der Genre-Malerei, der idyllischen Szenerien, um einen ganz und gar unidyllischen Sachverhalt zu bebildern - so als hätte Manet, nach dem »Frühstück im Freien«, ein »Verhungern im Grünen« gemalt.

Dabei stehen die drei Hauptfiguren eigentlich am Rande: der reiche Rechtsanwalt der »Russen« (Kris Kristofferson), die Bordellwirtin (Isabelle Huppert) und der sie liebende Scharfschütze der Viehzüchter (Christopher Walken), der sich auf die Seite der Gejagten schlägt, als er erfährt, daß auch seine Freundin auf der Proskriptionsliste mit den Anarchisten zum Abschuß freigegeben ist: für die puritanischen Jäger ist das ein Aufwasch.

In dem Wechsel zwischen Szenen von monumentaler Wucht und den Blickverengungen auf winzige Einzelaktionen findet der Film, läßt man ihn nur ungekürzt zu sich selbst kommen, seinen bald ruhigen, bald stoßweisen Atem.

Wenn da etwa ein junger Russe beim hastigen Abschlachten eines gestohlenen Kalbs gezeigt wird, bis hinter dem auf der Leine aufgespannten Laken der Schatten des Gutsbesitzers auftaucht, der ihn durch einen Blattschuß erledigt, dann wird in einer so lakonischen Szene die Moral des Western gleich zweimal auf den Kopf, also auf die Füße gestellt: Die Tötung ist schrecklich gerecht, also ungerecht.

Die lauernden Staats-Banditen, die auf die zurückkehrende Puffmutter warten, sich aus Angst vor dem Sex besaufen und sie vor der endgültigen Wiederherstellung der Moral erst mal gründlich vergewaltigen; der zu den Entrechteten überlaufende Grundbesitzer, der fassungslos erlebt, wie sein Haus in Brand geschossen wird und seine Zeitungstapete, sein ganzer Stolz, verbrennt - solche aus schonungsloser Nähe wahrgenommenen Details belegen, daß der Kampf der Stärkeren gegen die Schwachen gerade dann besonders bestialisch werden kann, wenn er sich den Anschein von Recht und Gerechtigkeit gibt.

Ciminos Vietnam-Film »Deer Hunter« zeigte, daß die Wunden des asiatischen Krieges wie ein Krebsschaden im Bewußtsein der Heimkehrer weiterwucherten. Auch da gehörte das Personal des Films einer ethnischen Minderheit aus Osteuropa an, die genügend eingemeindet war, um den patriotischen Tod sterben zu dürfen.

»Heaven''s Gate« zeigt die Phase, in der die gleiche ethnische Gruppe noch als eine Art innerer Vietcong bekämpft wurde. Hellmuth Karasek

Mit Isabelle Huppert und Kris Kristofferson.

Hellmuth Karasek
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