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BIOLOGIE / MIKROORGANISMEN Saat ins All

aus DER SPIEGEL 20/1967

Die Eindringlinge waren mikroskopisch klein. Von den Strahlen der Sterne ließen sie sich durch den Weltraum treiben. Dann landeten sie auf dem unbelebten Himmelskörper.

Diese kosmische Invasion könnte sich, wie Forscher der amerikanischen Luft- und Raumfahrtbehörde Nasa letzten Monat auf einer Biologen-Tagung in London mutmaßten, vor Jahrmilliarden zugetragen haben -- auf der Erde. Möglicherweise stammen alle Lebewesen dieses Planeten von Mikroben aus fernen Welten ab.

Anzeichen für eine himmlische Herkunft des irdischen Lebens fanden die Nasa-Wissenschaftler in der bislang am wenigsten erforschten Region der Erde: in den oberen Schichten der Lufthülle. Mit Ballons und Raketen ließen sie Detektoren aufsteigen, die nach Lebensspuren am Rande des Weltraums fahndeten. Die Ausbeute der Stratosphären-Jagd war, wie der britische Mikrobiologe Dr. Bernard Dixon jetzt in der Wissenschaftszeitschrift »New Scientist« berichtete, überraschend reich.

70 bis 100 Mikroorganismen -- Bakterien und Viren -- fischten die Filter der Höhensonden rund 15 000 Meter über dem Boden aus jeweils 1000 Kubikmeter Luft, etwa dem Rauminhalt eines Einfamilienhauses. Zehn Kilometer höher fingen sie in jedem solcher Luft-Kuben durchschnittlich noch 15 Mikroben.

Und noch aus 45 Kilometer Höhe, wo die Luft tausendfach dünner ist als an der Erdoberfläche, brachten sie Sporen des Penicillin-produzierenden Schimmelpilzes Penicillium zur Erde.

Den Forschern blieb lange rätselhaft, auf welche Weise die in der oberen Atmosphäre -- weit oberhalb der höchsten Wolkenschichten -- entdeckten Kleinstlebewesen dorthin geraten sein könnten.

Die Stratosphären-Biologen der Nasa hatten als Möglichkeit erwogen: Vulkanausbrüche oder Atomexplosionen könnten Mikroorganismen von der Erde aufgewirbelt haben; gelegentlich werden auch Viren und Bakterien als blinde Passagiere mit Raketen in große Höhen getragen worden sein. Aber angesichts der dichten Schwärme von Mikroben an der Grenze zum All scheinen diese Deutungsversuche kaum hinlänglich.

Daß außerirdische Lebewesen existieren und auf die Erde importiert werden könnten, hatten schon vor Jahren amerikanische Meteoriten-Forscher diskutiert. In Gesteinsbrocken aus dem Weltraum glaubten sie chemische Verbindungen nachgewiesen zu haben, die nur als Abbauprodukte lebender Organismen zu erklären sind.

Nach Ansicht der Wissenschaftler aber, die sich in London trafen, sind Meteorite als Vehikel für kosmische Eindringlinge gar nicht vonnöten: Die Möglichkeit, daß Lebenskeime von anderen belebten Himmelskörpern direkt auf die Erde einwandern, sei keineswegs auszuschließen.

Viele Arten von Bakterien, so wissen die Mikrobiologen seit einigen Jahren, können den Aufenthalt in tiefsten Weltraumtemperaturen ebenso wie im luftleeren Raum, im Vakuum des Weltalls, überdauern.

Zudem berechnete der Nasa-Astronom Dr. Carl Sagan: Alle Viren und einige Bakterien sind leicht genug, um -- wenn sie erst einmal bis zum Rand der Atmosphäre eines Planeten aufgestiegen sind -- von den Strahlen- und Partikelströmen der Sonnen erfaßt und fortgeweht zu werden.

Seit Beginn der Raumfahrt sterilisieren Amerikaner und Russen ihre Raumsonden vor dem Start, damit sie bei der Landung auf anderen Himmelskörpern nicht irdische Keime dorthin einschleppen. Nun ist diese Vorsichtsmaßnahme fragwürdig geworden: Raumreisende Mikrolebewesen könnten ohnehin längst auf Mars, Mond oder Venus angelangt sein.

Denn es scheint sicher, daß mindestens ein Himmelskörper fortwährend Keime ins All ausstreut -- die Erde selbst. Bei günstiger Konstellation so schätzt Nasa-Wissenschaftler Sagan, könnten irdische Mikroben innerhalb weniger Wochen beispielsweise den Mars erreicht haben -- schneller als eine Raumschiffmannschaft.

Und Mikroorganismen von weniger als sechs tausendstel Millimeter Durchmesser könnten sogar das Sonnensystem verlassen und von den Strahlenströmen im All zu lichtjahrfernen, besseren Bakterien-Welten fortgetrieben werden.

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