MEDIZIN Saft ohne Kraft
Ana Aslan, rumänische Altersforscherin, hatte Schwierigkeiten mit dem Gedächtnis. Von einem Reporter des Medizin-Fachblattes »Selecta« befragt, konnte sie sich nicht an die Namen ihrer berühmten Patienten erinnern.
Dabei stellt sich die Zweiundachtzigjährige gern als lebender Beweis für die Wirksamkeit des von ihr entwickelten Präparates gegen das Altern hin: Frau Aslan nimmt seit 28 Jahren »Gero-H 3-Aslan«.
»Die große Entdeckung« der Balkan-Professorin, so verspricht die Werbung, helfe gegen Beschwerden der zweiten Lebenshälfte, etwa gegen »nachlassendes Gedächtnis, rasche Ermüdbarkeit, Faltigwerden der Haut, Schlafstörungen«.
Das Aslan-Medikament und seine zahlreichen Nachahmungen gehören zu den Spitzenreitern der im Fachjargon als Geriatrika bezeichneten Altersbremsen. Ihre Hersteller versprechen Fitneß durch den Wirkstoff Procain, ein altbekanntes Mittel zur lokalen Betäubung. Andere Geriatrika sollen mit Kräutern oder Wunderwurzeln, mit Vitammen und Hormonen »regenerieren und revitalisieren«.
Den Erfolgsbeweis hat jedoch bisher noch keines der rund 70 Geriatrika erbracht, die in der Roten Liste, dem
* 1976 in Bonn mit der damaligen Gesundheitsministerin Katharina Focke.
offiziellen Arzneimittelverzeichnis, aufgeführt sind. Daß all diese Mittel »überflüssig« und »Augenwischerei« seien, mußten sich letzte Woche auf ihrem jährlichen Fortbildungskongreß in Meran Westdeutschlands Apotheker sagen lassen, die den Geriatrika gern ganze Schaufenster einräumen:
Bis heute, so resümierte Professor Helmut Coper, Neuropharmakologe an der Freien Universität Berlin, könne kein Medikament den natürlichen Alterungsprozeß aufhalten. Vermeintliche Wirkung entpuppe sich als vorübergehender Scheineffekt. In manchen Fällen schadeten Geriatrika sogar, weil sie kranke Alte von einer notwendigen Therapie abhielten.
Um dem Urtraum von ewiger Jugend näherzukommen, wurden schon immer Säfte und Pillen geheimnisvoller Machart eingenommen. Nie zuvor jedoch bedeutete Altsein einen derartigen sozialen Makel wie in der gegenwärtigen Leistungsgesellschaft.
Die Angst der Senioren, nicht mehr mithalten zu können, wird in der Werbung für Geriatrika geschickt genutzt -- beispielsweise im Prospekt des Procainpräparates »K. H. 3« der Kölner Firma Schwarzhaupt. Da »zerrt und zieht« die heutige Zeit »am Nervensystem«, Schleimhäute werden dünner, Drüsen kleiner, Zellen schwinden, Verschleiß und Erschöpfung stellen sich ein, während doch »Fitneß« gefordert wird. Golfspieler, Skiläufer und Trimm-dich-Senioren sind optisch Symbole für »die ausgezeichnete Wirkung des K. H. 3«.
Ob Procain oder andere Wirkstoffe -- die propagierten Therapieziele sind immer die gleichen: von der »Verhinderung des biologischen Altersprozesses« über »Regeneration und Revitalisierung« bis hin zu »Ausgleich altersbedingter Mangelzustände« und »Linderung altersbedingter Beschwerden«.
Immer, so Pharmakologe Coper, bleibe es jedoch beim »reinen Wortgeklingel«. Denn es gibt bisher keine Medikamente, mit denen sich die biochemischen Prozesse des Alterns aufhalten ließen. Die auch in Zukunft nicht zu überschreitende genetisch bestimmte Lebensgrenze liegt nach Ansicht Copers bei 100 bis 120 Jahren.
Daß Altern zwangsläufig Defizite an lebenswichtigen Stoffen mit sich bringe, suggerieren die Hersteller von Vitamin-Geriatrika. Vitamingaben werden nach dem Gießkannenprinzip, aber unter der anspruchsvollen Bezeichnung »Basistherapie des Alters« empfohlen. Dagegen Coper: »Normal ernährte alte Menschen haben weder Mangel an Vitaminen noch an Spurenelementen.«
Ebensowenig wie Vitamine können eingenommene oder injizierte Geschlechtshormone körperlichen Abbau verhindern -- und das gilt ebenso für die sagenumwobenen Frischzellen.
Auch typisch altersbedingte Beschwerden wie schlechteres Hören, Sehen und Fühlen sowie nachlassendes Erinnerungsvermögen können mit Medikamenten nicht behoben werden. Spezielle Geriatrika zur Steigerung der Hirndurchblutung wirkten bei Kontrollprüfungen in der Klinik meist nur für Minuten.
Dabei wäre den Herstellern von Geriatrika an wissenschaftlichen Nachweisen sehr gelegen. Doch einstweilen wird der Laie mit Tierexperimenten in die Irre geführt und durch breit beschriebene, nebensächliche Details beeindruckt. Beispielsweise behaupten die Hersteller des K. H. 3, ihr Procain gelange auch in bequemer Pillenform ins Blut. Als Beweis muß ein Versuch mit Ratten herhalten, denen 150 Milligramm Procain pro Kilogramm Gewicht in den Darm gespritzt worden war.
Trotz solcher hohen Konzentration war schon nach 30 Minuten keine Wirkung mehr festzustellen. Bei den üblicherweise von Menschen täglich eingenommenen 50 Milligramm wird eine wirksame Konzentration im Blut gar nicht erst erreicht: Die Procainmenge, die vom Darm ins Blut übertreten kann, ist um Zehnerpotenzen geringer.
Auch Anbieter von Ginseng-Präparaten, die jung und sexuell aktiv erhalten sollen, renommieren gern mit Pseudowissenschaft, etwa einem 3000-Meter-Lauf von Studenten: Wer vorher von dem fernöstlichen Wurzelwerk nahm, war angeblich um durchschnittlich eine Minute schneller. Folgerichtig werden das Wundergemüse ebenso wie die meisten anderen Geriatrika auch jungen Leuten angeraten, am liebsten gleich als Kur über Monate.
Daß sich bei gläubiger Einnahme durchaus Scheineffekte einstellen können, bestreitet Pharmakologe Coper keineswegs. Sie wiegen jedoch die Risiken einer Dauereinnahme nicht auf: In der Annahme, schon genug für ihre Gesundheit getan zu haben, lassen die Patienten echte Leiden wie Arthrose, Durchblutungsstörungen oder Herzinsuffizienz unbehandelt.
Weit wirksamere Jungbrunnen als die Kurpackung zur Silberhochzeit sind -- so folgert Coper -- Rat, Verständnis und Unterstützung durch die Umwelt: »Diese Hilfe von außen und eigene geistige und körperliche Aktivität machen das Leben auch im Alter lebenswert.«