RAUMFAHRT / SOJUS-GRUPPENFLUG Salve verpufft
Neun Monate lang, seit den letzten bemannten Sojus-Flügen im Januar, lag Stille über dem sowjetischen Raketenbahnhof Baikonur. Unangefochten von roten Rivalen, konnten Amerikas Monderoberer ihren Triumph genießen -- fast schien es, als habe der US-Erfolg den Raumfahrt-Ehrgeiz der Sowjets gedämpft.
Doch am vorletzten Wochenende, während die drei amerikanischen Mond-Heimkehrer in Berlin verspäteten Jubel ernteten, kehrten Rußlands Raumfahrer mit einem Auftritt, der Großes versprach, ins Raum-Rennen zurück: Insgesamt sieben Kosmonauten trug die Raumschiff-Flottille -- Sojus 6, 7 und 8 -- an drei aufeinanderfolgenden Tagen ins Weltall. Nie zuvor hatten so viele Raumfahrer gleichzeitig die Erde umkreist.
Der sowjetische »Salvenstart« (so die Hamburger »Welt"), nur spärlich mit Tass-Meldungen dokumentiert, löste eine Welle von Spekulationen aus. Die Kosmonauten-Invasion, so mutmaßte die »Herald Tribune«, diene dem Versuch, »die erste feste Raumstation der Welt zu errichten«. Und auch »Bild« -- wie stets beraten vom Raumfahrt-Astrologen Heinz Kaminski, dem Direktor des Bochumer Instituts für Weltraumforschung -- prophezeite den nahe bevorstehenden Bau einer »Raketen-Tankstelle in 800 km Höhe": Mit diesem Handstreich werde die Sowjet-Union Amerikas Raumfahrer wieder einmal »überrumpeln«.
Aber· schon Mitte letzter Woche wurde klar, daß es den Sowjets diesmal noch nicht gelingen würde, das erstrebte Nahziel -- Bau einer Raumstation in Erdnähe -- zu erreichen. Mehr noch; Viele westliche Experten nehmen an, daß den sowjetischen Raumfahrttechnikern einiges mißglückte, was für den Gruppenflug im All geplant gewesen war.
Allenfalls konnte die aufwendige Kreuzfahrt im All dazu dienen, künftige Weltraum-Großtaten vorzubereiten. Die Russen übten oder erprobten, >wie sich in rascher Folge drei Raumschiffe auf Kurs bringen lassen -- für jeden der drei aufeinanderfolgenden Starts war ein eigener Countdown nötig;
* wie Raumschiffe mit Handsteuerung manövriert und ihr Kurs nach dem Stand der Gestirne überprüft werden können;
* wie der menschliche Organismus körperliche Arbeit unter Weltraumbedingungen verträgt -- freilich wurde auch dies nur im Innern der Raumschiffe getestet, die durch Öffnen der Luftschleuse zeitweilig dem Weltraum-Vakuum ausgesetzt waren.
Als Vorbereitung für die Konstruktion einer Himmelsstation mochten auch jene Experimente gelten, die letzte Woche in Moskau immer wieder als eine Hauptaufgabe der Sojus-Kosmonauten bezeichnet wurden: die Versuche, neuartige Schweißverfahren zu erproben. Andere, den Irdischen vertraute Konstruktionsweisen, etwa Zusammenschrauben oder -nieten, sind wegen des Rückstoßes beziehungsweise des Drehmoments, das dabei auftritt, im Weltraum untauglich. (Allerdings halten US-Experten inzwischen das bloße Zusammenstecken von Montage-Teilen für eine brauchbare Bauweise im All.)
Zunächst erprobten die Sojus-Raumfahrer während ihres Gruppenflugs ein Schweißverfahren, auf das amerikanische Raumfahrt-Techniker schon vor Jahren verwiesen hatten: die sogenannte Kaltschweiß-Technik. Mit dieser Methode können Metallteile (aber auch andere Materialien, etwa Glas- oder Quarzstücke) fest miteinander verbacken werden -- indem sie in einem Vakuum einfach aufeinandergepreßt werden.
Im Vakuum des Weltraums hatten Nasa-Techniker den Kaltschweiß-Effekt zunächst als Störfaktor kennengelernt. Sie mußten gelegentlich feststellen, daß die Antennen ihrer Raumsonden in den Hülsen festgeschweißt waren oder daß, wie es bei einem. Gemini-Flug geschah, die Aus-
* Georgi Schonin, Walerij Kubassow am Donnerstag letzter Woche; im Hintergrund der Bergungs-Hubschrauber.
stiegsluke der Raumkapsel im Rahmen festgebacken war.
Die Nasa-Ingenieure wußten das Verschweißungs-Phänomen zu erklären: In der Lufthülle der Erde bleiben Metallflächen, die einander berühren, immer noch durch Luftmoleküle oder durch eine dünne Oxydationsschicht (etwa Rost) voneinander getrennt. Im luftleeren Weltraum dagegen lösen sich die Luftmoleküle restlos von der Metall-Oberfläche; Sonnenlicht und kosmische Strahlen fegen zudem die Oxydationsschicht von der Metallfläche. So können die Metall-Moleküle unmittelbar aufeinandertreffen und eine extrem feste Verbindung eingehen -- sie hält der Zugkraft von fast einer Tonne pro Quadratzentimeter stand.
Bislang freilich hatten die Techniker das Kaltschweiß-Verfahren nur in den irdischen, unvollkommenen Vakuumkammern systematisch testen können. Die Sojus-Kosmonauten dagegen wollten offenbar diese Methode unter Weltraumbedingungen, mithin im absolut luftleeren Raum erproben.
Daneben prüften sie, wie die sowjetische Nachrichtenagentur Tass meldete, noch »eine Anzahl weiterer Schweiß-Methoden« -- darunter ein Verfahren, bei dem Metallteile, gleichfalls im Vakuum, mit Hilfe eines· Elektronenstrahls zusammengeschweißt werden. Schon vor mehr als 20 Jahren hatte der deutsche Techniker Karl Heinz Steigerwald ein solches
Elektronenstrahl-Verfahren entwickelt (siehe Seite 52).
Steigerwald konstruierte eine Strahlenkanone, die als Bohrgerät oder als Schweißwerkzeug benutzt werden kann. Das Mehrzweck-Gerät, bei dem das Prinzip des Elektronenmikroskops weiterentwickelt wurde, bündelt einen Elektronen-Strom zu einem scharfen Strahl, der beispielsweise Stahl in Sekundenbruchteilen zum Schmelzen bringt -- allerdings nur, wenn keine hemmenden Luftmoleküle den Elektronenstrahl abbremsen.
Die US-Elektronikfirma Hamilton Standard hat Patente für den Nachbau des Geräts (Nasa-Jargon: »Steigerwald-Gun") erworben und für die Nasa eine handliche Kleinausführung der Strahlenkanone entwickelt. Ob die sowjetischen Weltraum-Handwerker bei ihrem Experiment am Donnerstag ein ähnliches Gerät erprobt haben, blieb letzte Woche unklar.
Vollends aber blieb ungewiß, was ursprünglich die Ziele des aufwendigen Gruppenstarts gewesen sein mochten. Als gegen Ende letzter Woche die Weltraum-Troika wieder zur Landung ansetzte, ging das russische Raum-Experiment, dessen Bedeutung auch in der westlichen Presse eher überschätzt worden war, glanzlos zu Ende. Nichts war vorgeführt worden, was die Amerikaner nicht schon mit ihrer Gemini-Serie längst vorweggenommen hatten.
Nicht einmal zum Koppelmanöver mit anschließendem Austausch von Zeitungen und »Weltraum-Post« wie bei Sojus 4 und 5 hatte es gereicht. Und erst recht nicht war die Weltraumwurst zusammengefügt worden, wie »Bild« sie als mutmaßlich geplante rote Raumstation schon hatte zeichnen lassen. Die Russen, so schien es Ende letzter Woche, agierten im Weltraum, wie schon seit längerem, ohne Fortüne.